Was bringt die europäische Vernetzung? Ein Interview mit Judith Pühringer

Judith Pühringer, die Geschäftsführerin des bdv austria, vertritt die österreichischen Sozialen Unternehmen seit Oktober 2011 in der von der Europäischen Kommission eingerichteten ExpertInnengruppe GECES. Diese ist ein wichtiger Teil der Social Business Initiative der Europäischen Kommission um die Gründung und Entwicklung von Sozialen Unternehmen zu fördern.

Nach einem ersten Treffen im Juni 2012 hat sich diese Gruppe aus internationalen ExpertInnen Ende November zum zweiten Mal getroffen. Zeit um nachzufragen, was dort eigentlich besprochen wird und wie die europäische Vernetzung des bdv austria den Sozialen Unternehmen in Österreich nutzt.

Philipp Hammer: Wieso hat sich bdv austria eigentlich für einen Sitz in der GECES beworben? Alle wichtigen Richtlinien für die sozialökonomischen Betriebe, die gemeinnützigen Beschäftigungsprojekte oder die Beratungs- und Betreuungseinrichtungen werden doch in Österreich beschlossen?

Judith Pühringer: Ich glaube es ist unglaublich wichtig, dass sich bdv austria im Namen seiner Mitglieder stark in den europäischen Diskurs rund um Soziale Unternehmen einbringt und engagiert. bdv austria tut das in Wirklichkeit schon fast seit seiner Gründung: die Mitgliedschaft in ENSIE, dem Europäischen Netzwerk für Soziale Integrationsunternehmen in Europa, war uns immer wichtig – seit bald vier Jahren ist Charlotte Gruber als Mitglied des bdv austria Vorstands auch Präsidentin von ENSIE. Durch diese und andere europäische Vernetzungen erleben wir einerseits, wie Soziale Unternehmen in anderen Mitgliedsstaaten ticken, andererseits auch, dass viele (arbeitsmarkt-) politische Weichenstellungen in Brüssel getroffen werden.

Unsere Bewerbung für die GECES Gruppe war daher nur die Konsequenz aus den vorangegangenen Aktivitäten. Durch die Social Business Initiative der Europäischen Kommission bekommt das Thema Soziale Unternehmen mehr Gewicht – daher wurde diese ExpertInnengruppe auch ins Leben gerufen. Wir sind sehr stolz, dass wir Soziale Unternehmen in dieser Gruppe vertreten können. Auch ENSIE ist Mitglied der GECES Gruppe, ebenso wie Ashoka Europe oder das EUCLID Network. Seitens der Politik freuen wir uns, dass nun auch das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) eine Vertreterin in die Gruppe entsenden wird.

Philipp Hammer: Hat die Kommission endlich erkannt, welche wichtigen Leistungen Soziale Unternehmen für die Gesellschaft und die Arbeitsmarktpolitik erbringen? Wieso interessiert sie sich plötzlich für diesen Sektor?

Judith Pühringer: Ja – ich glaube, dass Potential wird langsam erkannt. Aber auch deshalb, weil die Krise in vielen Mitgliedstaaten Europas neue Fragen aufgeworfen hat: Wie kann der zum Teil extrem hohen (Jugend-) Arbeitslosigkeit begegnet werden? Wie können langzeitarbeitslose Menschen besser beschäftigt und betreut werden, und wie finden sie den Weg in den Arbeitsmarkt zurück? Was sind Unternehmensmodelle der Zukunft? Welche Rahmenbedingungen brauchen diese Unternehmen?

In Griechenland beispielweise sind Soziale Unternehmen große Hoffnungsträger: die Europäische Kommission eine eigene Taskforce gegründet, die ganz konkret den Aufbau und Ausbau von Sozialen Unternehmen in Griechenland begleiten und betreuen soll. Es liegt viel Hoffnung auf diesem “Sektor” und gleichzeitig muss man auch recht vorsichtig sein: es gibt viele InteressentInnen für diesen neuen Kuchen – auch solche, die in vielem sehr “klassische” Zugänge zum Thema Investment und Unternehmen haben und wenig innovativ sind. Kommissionspräsident Barroso sagt über die neue Initiative: “Social business can indeed be a very powerful agenda for change.” Es geht darum, Sozialen Unternehmen, die Veränderung wollen, gute Rahmenbedingungen in verschiedenen Staaten Europas zu bieten.

Philipp Hammer: Mit welchen Themen beschäftigt sich die GECES genau?

Judith Pühringer: GECES wird sechs Jahre lang die Umsetzung der sogenannten Social Business Initiative in Europa begleiten. Innerhalb dieser Initiative sollen drei große Maßnahmen umgesetzt werden.

Die erste Maßnahme betrifft den Zugang zu (alternativer) Finanzierung für Soziale Unternehmen – hier geht es darum, dass Rahmenbedingungen für einen “European Social Entrepreneurship Funds” geschaffen werden, Mikrokredite sollen zugänglicher werden, 92.28 Millionen Euro sollen zusätzlich an Finanzierung für einzelne Soziale Unternehmen zur Verfügung stehen. Innerhalb des ESF und des EFRE ist es möglich, eine sogenannte Investitionspriorität “Soziale Unternehmen” festzulegen. Fünf Mitgliedstaaten werden aller Voraussicht nach von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, in Österreich gibt es in der Empfehlung der EC in Bezug auf Programmierung des ESF zumindest eine Erwähnung der Sozialen Unternehmen. Weitere Schwerpunkte sind Maßnahmen zur Steigerung der Sichtbarkeit von Sozialen Unternehmen in Europa (Datenbank, Best Practice Beispiele, Austauschmöglichkeiten…) und Maßnahmen, die die rechtlichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten erleichtern sollen. Dieser Punkt reicht von einer Vereinfachung der Gründung einer Europäischen Genossenschaft bis hin zu Vorschlägen für Erleichterungen oder Ausnahmebestimmungen für Soziale Unternehmen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen.

Philipp Hammer: Was bedeuten diese Schlüsselmaßnahmen konkret für die Sozialen Unternehmen in Österreich? Welche Veränderungen sind in den kommenden Jahren möglich?

Judith Pühringer: Das hängt davon ab, wie sehr es uns gelingt das BMASK davon zu überzeugen, dass es einen Innovationsschub und einfachere Rahmenbedingungen für Soziale Unternehmen braucht und wir die gute europäische Stimmung und die vorhandenen Mittel dafür nützen können. Schade, dass wir es nicht schaffen werden, innerhalb des ESF eine Investitionspriorität zu diesem Thema zu setzen, aber gerade im STRAT.AT Prozess sind vielleicht einige fondsübergreifende Projekte möglich. Ich hoffe, dass es gelingen wird, dass sich einige ganz neue Soziale Unternehmen auch mit Hilfe von Finanzierungen aus Europa gründen werden und dass wir Inspirationen von Best-Practice Beispielen in ganz Europa bekommen werden. Im Bereich Vergabe und Ausschreibungen stehen auch einige Veränderungen durch europäische Verordnungen an, die sich sehr positiv auf Soziale Unternehmen auswirken können.

Philipp Hammer: Welchen Beitrag leistest du in der GECES? Was ist dein wichtigstes Anliegen das du in die ExpertInnengruppe einbringen willst?

Judith Pühringer: Einerseits ist es sehr wichtig, ein Gefühl dafür zu bekommen, in welche Richtungen die Diskussionen und Meinungen gehen – das ist sehr sehr breit: Es gibt einige Player, die sehr stark auf die Businessseite beharren und eine neue Form des Investment wittern – ohne dass der Staat hier noch Verantwortung übernimmt. Ich finde es sehr wichtig, hier immer den Kontext herzustellen und stark darauf hinzuweisen, dass Unternehmen alleine keine gesellschaftliche Veränderung bringen werden. Es braucht immer eine gute Einbettung in ein funktionierendes System der Sozialpolitik und der Armutsbekämpfung. Auf diese wichtige Verbindung hinzuweisen sehe ich als meine Aufgabe – stellvertretend für die Sichtweise der Sozialen Unternehmen in Österreich: Es braucht Zugang zu Finanzierung und es braucht Zugang und Möglichkeit für Innovation als Unternehmen – es braucht aber auch eine große und funktionierende staatliche Verantwortung. Dieses Spannungsfeld ist und bleibt bestehen – und bleibt eine spannende Herausforderung.

Philipp Hammer: Vielen Dank für das Interview!

Judith Pühringer