Während Österreich kürzt, investiert Deutschland in arbeitslose Menschen

Die deutschen Hartz-Reformen werden immer wieder als Vorbild für eine Reform der Arbeitsmarktpolitik in Österreich herangezogen. Mit ihnen wurde ab 2005 der deutsche Arbeitsmarkt dereguliert und der Druck auf arbeitslose Menschen erhöht. Heute sind in Deutschland zwar so viele Menschen wie noch nie beschäftigt, doch die Zahl der von Transferleistungen abhängigen Menschen hat sich in den letzten Jahren kaum verändert.

Auch die Veranstalter*innen der arbeitsmarktpolitischen Fachtagung „Pro Arbeit Sozial 2018“ teilen diese kritische Einschätzung: „Der Arbeitsmarkt in Deutschland entwickelt sich günstig (…). Aber von der positiven Entwicklung profitieren nicht alle in gleichem Maß. Die Entwicklung lässt besonders Langzeitarbeitslose und Langzeitleistungsbeziehende“ von Hartz IV zurück: Seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 befindet sich rund eine Million Menschen im Langzeitleistungsbezug. Die Zahl der langzeitarbeitslosen Menschen ist in den letzten Jahren zwar leicht auf 900.000 Personen gesunken, jedoch steigt die Dauer der Arbeitslosigkeit weiter an und die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich immer mehr. Kerstin Bruckmeier vom IAB schlägt daher einen sozialen Arbeitsmarkt vor, welcher Personen ohne Vermittlungschance eine staatlich geförderte Beschäftigung und damit soziale Teilhabe ermöglichen soll.

Während Österreich kürzt …

Die neue österreichische Bundesregierung orientiert sich dennoch am „Vorbild“ Hartz IV. Laut dem im Dezember 2017 veröffentlichten Regierungsprogramm sollen Arbeitslosengeld und Notstandshilfe zu einem „Arbeitslosengeld neu“ zusammengeführt werden, das jedoch – anders als die Notstandshilfe – nur mehr für eine befristete Zeit ausbezahlt werden soll. Wer keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr hat wird in Zukunft offenbar nur mehr die Mindestsicherung beziehen können. Gleichzeitig sind drastische Kürzungen beim Förderbudget des Arbeitsmarktservice geplant. Für arbeitsmarktpolitische Fördermaßnahmen des AMS wird 2018 rund 30 Prozent weniger Budget zur Verfügung stehen als ursprünglich geplant. Besonders für geflüchtete, ältere und langzeitarbeitslose Menschen wird es deutlich weniger Angebote geben als bisher.

… investiert Deutschland in arbeitslose Menschen

Deutschland schlägt gerade einen anderen Weg ein. Die Veranstalter*innen der Fachtagung sind sich einig, dass es trotz der niedrigen und weiter sinkenden Arbeitslosigkeit in Deutschland weitere Maßnahmen braucht, um besonders Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Sie fordern daher den Ausbau der öffentlich geförderten Beschäftigung und die Schaffung eines sozialen Arbeitsmarktes.

Diese langjährige Forderung soll mit dem Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU sowie der SPD offenbar Wirklichkeit werden. Während nun in Österreich die Fördermittel für aktive Arbeitsmarktpolitik gekürzt werden, plant die große Koalition in Deutschland jedes Jahr eine Milliarde Euro zusätzlich für die Förderung arbeitsloser Menschen auszugeben. Weitere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sollen durch die Umwidmung (“Aktivierung”) von Sozialleistungen finanziert werden: Durch diesen “Passiv-Aktiv-Transfer” soll Arbeit anstelle von Arbeitslosigkeit finanziert werden. Diese Umwidmung von passiven Mitteln wird in Österreich schon seit mehreren Jahren genutzt, um Programme für ältere, langzeitarbeitslose oder geflüchtete Menschen zu finanzieren. Laut dem Regierungsprogramm von ÖVP & FPÖ ist diese Praxis nun jedoch nicht mehr erwünscht.

Befähigende Arbeitsmarktpolitik als Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit

Unter dem Titel „Befähigende Arbeitsmarktpolitik – Neue Wege aus der Langzeitarbeitslosigkeit“ wurden bei der zweitägigen Fachtagung jedoch nicht nur die aktuellen Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt dargestellt, sondern auch Konzepte zur Unterstützung langzeitarbeitsloser Menschen präsentiert.

Die befähigende Arbeitsmarktpolitik wird als Gegensatz zum Ansatz der Aktivierung gesehen: Sie geht davon aus, dass Arbeitslosigkeit nicht freiwillig gewählt ist und daher auch nicht durch stärkeren Existenzdruck auf arbeitslose Menschen bekämpft werden kann. Stattdessen setzt sie auf den Wunsch nach Teilhabe. „Sanktionen und Zwang widersprechen dem befähigenden Ansatz.“ Dementsprechend beruhen alle im Rahmen der Tagung vorgestellten Projekte auf der freiwilligen Teilnahme der von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Menschen.

Ein Beispiel dafür ist das Modellprojekt Soziale Teilhabe in Baden-Württemberg. Dieses verknüpft bestehende Maßnahmen zu einer längeren Maßnahmenkette, um besonders arbeitsmarktfernen Menschen doch beim (Wieder-) Einstieg in den regulären Arbeitsmarkt zu unterstützen.

Weitere Informationen

Auf dieser Website finden Sie eine umfangreiche Dokumentation der Tagung: