Interview mit Manuela Vollmann

Martina Könighofer, Öffentlichkeitsarbeiterin von arbeit plus – Soziale Unternehmen bat arbeit plus Vorstandsvorsitzende Manuela Vollmann anlässlich ihres 30 Jahr Jubiläums als Gründerin des ABZ*AUSTRIA zum Gespräch.

Erst einmal herzliche Gratulation! Vor 30 Jahren hast du den Grundstein für ABZ*AUSTRIA gelegt und es von einem lokalen Projekt für Wiedereinsteiger*innen und den Betrieben vom Meidlinger Schöpfwerk zu einem der wichtigsten Player*innen im Bereich “Frauen und Arbeitsmarkt” in Österreich entwickelt. Mit knapp 170 Mitarbeiter*innen begleitet ihr Jahr für Jahr 8000 Frauen* durch Beratung, Qualifizierung und gute Unternehmenskooperationen auf ihrem Weg (zurück) in den Arbeitsmarkt und habt in den Bereichen Gleichstellung und Gender Mainstreaming vieles bewegt. 

Vor rund 30 Jahren wurden ja viele Soziale Unternehmen im Sinne einer aktiven Arbeitsmarktpolitik neu gegründet, nachdem sich in den 80ern mit dem Ende der Vollbeschäftigungsära herauskristallisiert hatte, dass sich strukturelle Arbeitslosigkeit massiv verfestigt.

Siehst du hierbei Parallelen zur aktuellen, dramatischen Lage am Arbeitsmarkt und was sind die Learnings der letzten 30 Jahre, die wir gerade jetzt nutzen können?

In den 80ern stieg die Quote der teilzeitbeschäftigten Frauen an. Von 1975 bis 1985 blieb der Anteil der weiblichen Beschäftigten relativ konstant, danach ging der Anstieg der weiblichen Teilzeitquote mit der generell steigenden Frauen und vor allem Müttererwerbstätigkeit einher, bei den Männern stieg der Anteil an Teilzeitkräften zwar prinzipiell auch an, von 0,6 % auf 3,4 % die letzten 25 Jahre, aber da gibt es bis heute keinen echten Wandel weg von typischen männlichen Vollerwerbstätigkeiten. Aktuell ist es so, dass wir schon seit der Finanzkrise eine sehr hohe, verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit von Frauen und Männern hatten und haben. Jetzt trifft die Corona-Krise gerade auch Menschen, die schon sehr lange erwerbsarbeitslos sind, zusätzlich zu jenen Arbeitslosen, die durch die Pandemie hinzugekommenen sind. Gerade Frauen reduzieren aktuell Erwerbsarbeitszeit und damit auch Einkommen, um Home Schooling, Care-Arbeit und Beruf überhaupt noch unter einen Hut bekommen zu können. Was bleibt und hier sehe ich eine Parallele ist, dass Frauen nach wie vor auf Grund der Vereinbarkeitsproblematik weniger Stunden in der Erwerbsarbeit leisten können und damit auch auf Ausbildungen, Karriere und letztendlich auf Einkommen und Pension verzichten müssen.

Vor 30 Jahren konnte ich meine Berufung, für die Gleichstellung von Frauen und Männer einzutreten, zum Beruf machen. Das war eine glückliche Fügung und mein unternehmerisches Können, das mir meine Mutter mitgegeben hat, hat mir sehr geholfen, erfolgreich zu sein. Wir haben damals von experimenteller Arbeitsmarktpolitik gesprochen. Ich finde, das passt heute immer noch sehr gut – auch wenn der Ausdruck „experimentell“ manchen unpassend erscheinen mag, wenn es um Arbeitsmarktpolitik geht. Ich glaube, das ist es, was es gerade jetzt braucht: nicht nur eine aktive Arbeitsmarktpolitik, sondern wirklich innovative, neu gedachte Projekte und vor allem Programme. Damals hat es geheißen „Versucht es, macht Pilotprojekte, probiert etwas aus!“ Mit ABZ*AUSTRIA haben wir damals Wiedereinsteigerinnen, die bereits sehr lange weg vom Arbeitsmarkt waren unterstützt und das immer in einer Verknüpfung von Bildung und Empowerment, Arbeit und Lernen.

Heute sprechen viele über die Digitalisierung. Damit Technik für etwas Gutes in unseren Leben umsetzbar ist, brauchen wir die Menschen. Ohne sie wird Digitalisierung, die auch einen gesellschaftlichen Mehrwert mit sich bringt, nicht möglich sein. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Wir müssen Digitalisierung so gestalten, dass diese nicht nur bereits gut qualifizierte Menschen davon profitieren, sondern auch für Frauen und Männer, die nie die Chance hatten, genügend Lernkompetenz mit auf den Weg zu bekommen. Wir brauchen Bildung, lebensbegleitendes Lernen, genauso stark wie damals. Ich kann mich noch gut an den IT-Hype erinnern. Permanent wurde verlautbart, wie zentral IT-Kompetenzen sind und welche neuen Jobmöglichkeiten sich für Frauen dadurch eröffnen würden. Ich habe Déjà-vus, wenn ich jetzt wieder höre wie wichtig die „digitale Kompetenzen“ für neues Arbeiten sein werden.

Als Soziale Unternehmen sind wir nahe dran an unseren Zielgruppen. Durch diese Nähe können wir schnell erkennen, was notwendig ist und was gerade wirklich gebraucht wird. Unsere Projekte entstehen nicht in der Theorie am grünen Tisch, sondern aus den Bedarfen der Menschen, die in unseren Sozialen Unternehmen beraten, qualifiziert, begleitet, empowered oder auch beschäftigt werden. So zum Beispiel 2015, als wir – in sehr guter Zusammenarbeit mit dem AMS und anderen Trägern – den Kompetenzcheck für geflüchtete Menschen mit unserer Expertise in Bezug auf die Gender-Perspektive entwickelt haben und den wir bis heute durchführen. Eine große Freude ist, dass wir dafür 2019 den United Nations Public Services Award bekommen haben – nämlich nicht nur wir, sondern alle Kooperationspartnerinnen, die mit uns, so schnell auf die Flüchtlingssituation reagiert haben. Um eine effiziente und nachhaltige Integration auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen, mussten die Qualifikationen und Kompetenzen der Zugewanderten sichtbar gemacht werden. Aus diesem Bestreben heraus hat das Arbeitsmarktservice Österreich das Projekt Kompetenzcheck initiiert, das von ABZ*AUSTRIA und dem BFI für Frauen pilotiert wurde und seit 2016 in Bietergemeinschaft mit Update Training und dem BFI Wien umgesetzt wird.

Momentan gibt es noch eine sehr aktuelle Herausforderung: Es gibt einen großen Bedarf an Menschen, die bereit sind, Gesundheitsberufe auszuüben. Auch hierbei gilt es wieder, eng und gut abgestimmt zu kooperieren. Die Zusammenarbeit der Sozialpartner*innen mit sozialen Einrichtungen, die Pflegeanbieter oder -ausbilder sind, setzt auch auf die Brückenfunktion Sozialer Unternehmen. Sie können die Verbindung zwischen Arbeitslosen und diesen Zukunftsberufen herstellen und setzen Beratungen, Schulungen und Ausbildungen um.

Die Covid-19 Krise wirkt wie ein Brennglas. Bereits zuvor bestehende Probleme werden verschärft. Das sehen wir besonders in Hinblick auf die aktuelle Situation von Frauen am Arbeitsmarkt. Kann dieses Brennglas auch einen positiven, neuen Funken entzünden? Welche Chancen siehst du darin?

Die Corona Pandemiehat mit Aspekten wie Home Schooling, Home Office, etc. einen neuen Blick auf unbezahlte und bezahlte Arbeit eröffnet und mehr Aufmerksamkeit auf dieses Thema gelenkt. Diese Awareness sollten wir nutzen, um genau hinzuschauen und Strategien zu entwickeln, wie bezahlte und unbezahlte Arbeit fairer aufgeteilt werden kann: Welche Genderprogramme sollten entwickelt werden? Wie können Unternehmen gestärkt werden, die Väter darin unterstützen, aktiv ihre Vaterrolle zu übernehmen?  – Da  bleiben wir dran, um Neues und Innovatives zu entwickeln!

Es gibt sehr viel Frauen, die arbeitslos geworden oder in Kurzarbeit sind, z.B. im Tourismus, aber auch im Handel. Ich stelle gerne anderen Arbeitsmarktexpert*innen und Entscheidungsträger*innen die Frage: „Wird es diese Jobs nach Corona wieder geben?“ – und viele verneinen. Ich sehe darin eine große Chance für Frauen und Branchen. Die Tourismusbranche generiert zwar sehr viel BIP, aber die Arbeitsbedingungen und Bezahlung sind nicht so, wie wir es in einem Wirtschaftssystem im 21. Jahrhundert haben wollen. Und da sehe ich große Möglichkeiten Wirtschaftszweige zu reformieren, aber auch jenen Menschen, die vielleicht schon zuvor in diesem Bereich nicht gut aufgehoben waren, weil die Branche nicht zu ihren jeweiligen Lebensphasen gepasst hat, den Weg zu neuen Zukunftsberufen zu ebnen. Zukunftsberufe sind  nicht nur  jene in der Pflege. Schon vor 30 Jahren haben wir versucht  Berufe im handwerklichen, im technischen und auch im digitalen Bereich für Frauen zu öffnen: E-Mobilität, Kreislaufwirtschaft, Umweltmanagement – da tun sich Jobs auf! Und in genau diesen Bereichen müssen  jetzt schon  Programme starten, damit Frauen auch in diesen Zukunftsberufen und Ausbildungen reüssieren können. Dort verdienen sie mehr und damit schließt sich auch der Gender Pay Gap und auch der Gender Pension Gap.

Eine weitere Chance, die sich jetzt auch verstärkt zeigt,  ist das Verbinden von Arbeiten und Lernen, jedenfalls auch eine Notwendigkeit für Unternehmen. Für uns als Soziale Unternehmen zählt das Verbinden von Theorie und „learning by doing“ in Form von „work space learning“ zu unserem Alltag. Diese langjährig erprobte Expertise wird auch immer mehr von Unternehmen aus der Wirtschaft gefragt, zum Beispiel im Bereich der digitalen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter*innen. So kann es zu neuen, verstärkten Kooperationen mit den Unternehmen in den Regionen, mit denen wir als Soziale Unternehmen ohnehin bereits lange kooperieren, kommen.

Du siehst also ein verstärktes Bewusstsein in Bezug auf die Verteilung von Arbeit, neue Perspektiven auf Branchen der Zukunft und noch intensivere Unternehmens-Kooperationen als die Chancen, die es gilt, jetzt wahrzunehmen. Neben den Kooperationen mit Unternehmen – Welche weiteren Allianzen erscheinen dir momentan besonders wichtig?

Wenn man Innovation betreiben will, wenn man mutig sein will, braucht es Verbündete, die in Unternehmen, in Organisationen und in der Sozialpartnerschaft verankert sind. Das ist immer eine gute Möglichkeit, um Silos aufzubrechen. Das ist es, was es im Moment auf der politischen und unternehmerischen Ebene braucht: über den Tellerrand hinauszublicken. Ganz konkret: Wir haben jetzt ein Arbeitsministerium. Ich bedauere es ein wenig, dass das Familienthema nicht dabei ist, denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein ganz zentrales Thema im Kontext von Arbeit. Ein Thema, das nicht gelöst werden kann, wenn man nicht auch die Wirtschaft, den Klimaschutz und viele weitere Aspekte miteinbezieht. Auch auf der Ministerien-Ebene braucht es jetzt mehr Überschneidungen. Es braucht sie auf struktureller Ebene – sonst werden wir den Arbeitsmarkt, die Bildung und auch die Gleichstellung nicht vorantreiben.

Zum Abschluss hast du noch 3 Wünsche frei: Was wünscht du dir – anlässlich deines 30-jährigen Jubiläums als ABZ*AUSTRIA Geschäftsführerin – für die kommenden Jahre? Und was anlässlich des Internationalen Frauentages?

Ich wünsche mir die faktische Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt, in Bildung und Wirtschaft. Wenn es seitens der Regierung heißt „Koste es was es wolle“, finde ich das begrüßenswert. Wir sehen gerade jetzt, wie ein Wohlfahrtsstaat Strukturen unterstützen kann, damit wir halbwegs gut durch diese Pandemie kommen. Bei „Koste es was es wolle“ muss man allerdings ganz genau folgendes beachten: Was sind die nächsten Schritte? Worin wird investiert? Wenn wir diese Investitionen nicht mit einer wirkungsorientierten Folgenabschätzung was das Thema Geschlechtergerechtigkeit betrifft, verbinden, dann versäumen wir etwas.. Österreich hat eine Abteilung im BMKÖS, in der es um Folgeabschätzung von investierten Geldern geht. Ich finde, das sollte nicht nur Österreich machen, das müsste auch die Europäische Union verstärkt tun: Wirkungsorientierung voranzustellen und auch zu evaluieren, wie sich Investitionen auf die faktische Gleichstellung von Frauen und Männern auswirkt,keinen Euro zu investieren, ohne die Wirkung abzuschätzen – was Geschlechtergerechtigkeit, aber auch Umwelt angeht.

Selbstverständlich wünsche ich mir auch innovative, mutige und kreative, arbeitsmarktpolitische Programme im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Hierzu gibt es viel Know-How in Österreich, wir sind strukturell sehr gut aufgestellt und sollten diese Strukturen, diese Brücken, auch gut nutzen. Dabei geht es darum, dass die NPOs mit im Boot sind. Bei unserem letzten Gespräch mit Bundesminister Kocher haben wir von arbeit plus angeregt, eine Taskforce Beschäftigung und aktive Arbeitsmarktpolitik ins Leben zu rufen, um als arbeit plus gemeinsam mit anderen, die sich hierzu berufen fühlen, aus diesen Learnings wirklich gute Programme zu schnüren.

Es ist notwendig im Bereich „New Work“ neue Schritte zu gehen – neue Arbeitsorganisationsformen und lebensphasenorientierte Modelle zu entwickeln. Durch Home Office haben wir einen Remote Work Boost erhalten. Das aufzugreifen und unsere Arbeitswelt menschenwürdig zu gestalten – so, dass die Menschen gut arbeiten können, dass Menschen die Vereinbarkeit auch gut leben können, das wünsche ich mir. Wir Frauen fordern das schon sehr lange. In diesem Zusammenhang finde ich das Zitat von Johanna Dohnal sehr schön und passend: „Wir Feminist*innen, wir Frauen wollen nicht unbedingt eine „weibliche“, wir wollen eine menschliche Zukunft.“ Denn eine menschliche Zukunft ist für alle gut, für die gesamte Gesellschaft. Und ich darf als Manuela Vollmann noch dazu sagen: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wir, als Team von arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich, freuen uns schon, mit dir gemeinsam, als unsere Vorstandsvorsitze, auch weiterhin intensiv an der Realisierung dieser Wünsche zu arbeiten. Vielen Dank für das Gespräch.