Soziale Unternehmen als Herzstück der europäischen Wirtschaftsstrategie

Im Oktober 2011 hat die Europäische Kommission eine Mitteilung über die sogenannte „Social Business Initiative“ veröffentlicht. Diese Initiative soll in Europa passende Rahmenbedingungen für Soziale Unternehmen schaffen. Doch was sind die wichtigsten Agendapunkte dieser Initiative und was kann sie zur europäischen Wirtschaftsstrategie beitragen?

Soziale Unternehmen sind Unternehmen, deren Hauptzweck nicht die Gewinnorientierung oder Vermögensvermehrung der Anteilseigner ist, sondern der soziale Zweck und die soziale Wirkung, die sie mit ihren jeweiligen Unternehmungen verfolgen. Schon jetzt sind etwa zehn Prozent aller Unternehmen in der Europäischen Union Soziale Unternehmen mit rund elf Millionen beschäftigten Menschen. Kommissar Michel Barnier, bekannt als großer Fan eines liberalisierten Binnenmarkts und einer liberalen europäischen Wirtschaftsordnung, hat mit folgender Ankündigung aufhorchen lassen:

“Es wird kein Wirtschaftswachstum und keine Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa ohne Social Entrepreneurship geben.“

Diese Ankündigung beinhaltete auch einen ambitionierten Aktionsplan für die Jahre 2012 bis 2017 mit drei Schwerpunktsetzungen und zehn Initiativen rund um das Thema Soziale Unternehmen. Noch bemerkenswerter: Die Kommission nominierte – in einem durchaus niederschwelligen Prozess – unabhängige ExpertInnen aus dem breiten Stakeholderkreis von Sozialen Unternehmen in ganz Europa für eine beratende ExpertInnengruppe um die einzelnen geplanten Initiativen im Detail zu diskutieren, zu vergleichen und im Lauf der nächsten sechs Jahre zu evaluieren. 48 Personen wurden europaweit in diese „GECES-Gruppe“ (Groupe d´Experts de la Commission sur l´Entrepreneuriat Social) nominiert – auf Basis ihrer jeweiligen Expertise und Erfahrung und mit Rücksicht auf Geschlechterbalance und geographische Herkunft. Die Gruppe umfasst Menschen aus Sozialen Unternehmen selbst, VertreterInnen aus deren Netzwerkorganisationen und außerdem Financiers, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Zusätzlich werden die jeweils zuständigen VertreterInnen der nationalen Regierungen zu den Sitzungen der Gruppe eingeladen.

So bemerkenswert also die Zusammensetzung und Nominierung der Gruppe, so herausfordernd ist die Aufgabe, die vor ihr liegt: Die heißen Eisen in den Debatten rund um die Stärkung und Etablierung von Sozialen Unternehmen sind schon auf nationaler Ebene herausfordernd und werden zum Teil sehr kontroversiell geführt: Wie werden Soziale Unternehmen überhaupt definiert? Sind Soziale Unternehmen per se reine Non-Profit Unternehmen, die ihre Gewinne reinvestieren? Tun sie das nur zu einem überwiegenden Teil oder ist das nebensächlich? Wie kann der Erfolg von Sozialen Unternehmen tatsächlich gemessen, bewertet und quantifiziert werden? Im europäischen Kontext werden diese Diskussionen weiter vervielfältigt, da unterschiedliche Traditionen sozialer Sicherungssysteme und Sozialer Unternehmen aufeinander treffen: Die Bandbreite reicht vom historischen System der sozialen Kooperativen in Italien, der angelsächsischen Tradition des liberalen Wohlfahrtsstaates mit starker Privatisierung von sozialen Dienstleistungen an social enterprises bis hin zu den neueren Mitgliedsländern der Europäischen Union, in denen die Idee von Sozialen Unternehmen eine sehr neue ist und erste Unternehmen gerade erst entstanden sind.

Was sind nun die wichtigsten Agendapunkte der Initiative? Die drei Prioritäten und damit verbundenen zehn Maßnahmen betreffen:

 

1. Maßnahmen um für Soziale Unternehmen den Zugang zu alternativen Finanzierungsarten zu erleichtern

 

Mitte März 2013 beschloss eine breite Mehrheit des Europäischen Parlaments eine Verordnung zur Schaffung von Fonds für Soziales Unternehmertum (EuSEF). Der Fonds soll in Summe mit 92 Millionen Euro gespeist werden um Sozialen Unternehmen den Zugang zu alternativen Finanzierungsinstrumenten zu erleichtern. Ein erster Pilotfonds für 50 Millionen Euro soll über den Europäischen Investmentfonds ab 2014 zugänglich werden. Denkbar ist auch die Einrichtung eines Garantiefonds, um die immer wieder auftretenden Liquiditätsengpässe bei Sozialen Unternehmen (die oft durch Europäische Projekte entstehen) auszugleichen.

Im Moment werden Zugangskriterien für diesen Fonds entwickelt. Eine weitere Maßnahme betrifft den ESF (Europäischer Sozialfonds) und den EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung), die jetzt für die Jahre 2014 bis 2020 programmiert werden. Es ist theoretisch möglich, dass Mitgliedsstaaten einen Teil dieser Gelder direkt für Soziale Unternehmen reservieren. Vor allem Länder, die besonders stark von der Wirtschaftskrise betroffen sind, haben davon Gebrauch gemacht und werden hier ab 2014 Prioritäten setzen, um die Regionen zu stärken und qualitätsvolle Arbeitsplätze anbieten zu können.

 

2. Die Sichtbarkeit Sozialer Unternehmen erhöhen

 

Es gibt noch vergleichsweise wenig europäische Daten über die Situation von Sozialen Unternehmen. Gleichzeitig sollen die Unternehmen und Projekte miteinander vernetzt werden und Best-Practice Beispiele sichtbar gemacht werden. Ein starker Fokus liegt dabei auf dem Thema Wirkung. Die GECES Gruppe hat eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet um sich mit dem Thema Wirkungs- und Erfolgsmessung von Sozialen Unternehmen in den einzelnen Mitgliedsstaaten beschäftigt. Ein freiwilliges „Labelingsystem“ für Soziale Unternehmen wird noch für viel Diskussionsstoff sorgen: nach welchen (Qualitäts-) Kriterien werden Soziale Unternehmen identifiziert und erlangen dadurch Zugang zu alternativen Finanzierungen? In Ländern wie Österreich ist ein gemeinsames Label (das auch für KonsumentInnen erkennbar ist) für Soziale Unternehmen noch nicht in Sicht. Einige Gruppen, zum Beispiel Soziale Integrationsunternehmen, denken aber bereits darüber nach. Wie würde so ein Label aber für den Finanzierungsmarkt aussehen? Ist so etwas überhaupt gewünscht geschweige denn auf europäischer Ebene möglich?

 

3. Gesetzliche Rahmenbedingungen für Soziale Unternehmen verbessern

 

Die wichtige Rolle von Sozialen Unternehmen wurde in der zweiten Binnenmarktakte der Europäischen Kommission im Herbst 2012 in einem eigenen Kapitel bestätigt und bildet auch eines der Schwerpunktthemen im 815 Millionen Euro schweren „Programm für Beschäftigung und Soziale Innovation“ (EaSI) zwischen 2014 und 2020. Auf europäischer Ebene braucht es Erleichterungen um Stiftungen und Genossenschaften nach europäischem Recht gründen zu können. Diese Regelungen müssen auch auf nationaler Ebene zu verstärkten Aktivitäten führen: In Österreich bedarf es einer dringenden Reform des Stiftungsrechts. Hier sind nur sechs Prozent aller Stiftungen gemeinnützig und schütten jedes Jahr nur rund 20 bis 25 Millionen Euro an gemeinnützige Projekte aus. In Deutschland gibt es im Vergleich dazu 95 Prozent gemeinnützige Stiftungen, die jährlich 15 Milliarden Euro ausschütten. Dringend braucht es in Österreich auch ein eigenes Gemeinnützigkeitsrecht – bisher wird die Gemeinnützigkeit nur aus dem Steuerrecht abgeleitet. Ein riesiges Thema das ebenfalls in diesem dritten Schwerpunkt steckt ist das Thema Vergabe: Auf europäische Ebene ist geplant, dass im Rahmen von Ausschreibungen und Vergaben verstärkt soziale Qualitätskriterien wie Arbeitsbedingungen Berücksichtigung finden können oder dass bestimmte Vergabekontrakte für Soziale Unternehmen reserviert werden. Auch hier werden die europäischen Vorhaben Anlass und Aufhänger dafür sein müssen, um passende nationale – und im Fall von Ausschreibungen und der Vergabe auch regionale – Regelungen für eine sozial verantwortliche Vergabepolitik durchzusetzen.

Genau darin besteht die große Chance der europaweiten Social Business Initiative: Ein großes Referenzprojekt für die Sichtbarkeit Sozialer Unternehmen auf europäischer Ebene zu schaffen, um den Diskurs und die politischen Anstrengungen auf nationaler Ebene zu stärken, zu untermauern und zu festigen. Wenn es tatsächlich gelingt, dass besonders in den Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit staatlich und privat finanzierte Soziale Unternehmen neue Impulse für die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik setzen können und diese als Alternativen zum herrschenden Wirtschaftsmodell Beachtung finden, dann wird die Initiative einen kleinen Beitrag dazu geleistet haben, dass Profitmaximierung nicht das beherrschende Paradigma der europäischen Wirtschaftsstrategie bleibt.

Eine gekürzte Version dieses Artikels von Judith Pühringer erschien am 10. Oktober 2013 in Karrieren-Standards, einem branchenspezifischen Jahresheft des Standard. An dieser Stelle veröffentlichen wir gerne die ungekürzte Fassung. Judith Pühringer ist Mitglied der GECES Gruppe für Österreich und Geschäftsführerin des bdv austria.