Vor den Vorhang: “Weit weg von Sozialprojekt oder Kuschelpädagogik“

Wolfurt. Tagtäglich müssen die beiden Integra-Geschäftsführer Stefan Koch und Robert Baljak mit ihrem Team einen Spagat stemmen, müssen zugleich sozial und wirtschaftlich sein, denn sie unterstützen Menschen, die lange Zeit auf Arbeitsuche sind, sorgen gleichzeitig aber auch dafür, dass ihre Produkte und Dienstleistungen Geld einbringen. Neben den Förderungen finanziert sich Integra nämlich zu 50 Prozent selbst. Insgesamt stehen für heuer 10,5 Millionen Euro an Budget zur Verfügung, zwölf Prozent mehr als im Vorjahr.

Koch und Baljak wissen, dass es Menschen gibt, die diese Zahlen durchaus kritisch sehen. Letztlich, und das ist ihr Hauptargument, geht es bei Integra um Menschen. Menschen, die lange arbeitslos sind, und denen oft die Perspektive fehlt. In Konkurrenz zur Wirtschaft steht man aber nicht. So gibt es Projekte im Bereich Schutzwaldaufforstung, Secondhand-Geschäfte, Postpartnerschaften oder Hilfe im Haushalt, um nur einige zu nennen. Das Ziel ist es immer, Arbeit zu schaffen, aber niemandem etwas wegzunehmen. An insgesamt 19 Standorten hat Integra aktuell 442 Teilnehmer. Der Großteil sind Langzeitarbeitslose, Jugendliche, aber auch Menschen ohne jede Jobchance. Sie werden von 82 Trainern betreut. Und das nicht nur im Bereich der Qualifizierung, sondern auch bei psychologischen Schwierigkeiten. Viele haben einen „privaten Rucksack“, der durch eine Arbeitslosigkeit oft noch verschlimmert wird.

Robert Baljak (Geschäftsführung Bereich Bildung) und Stefan Koch (Geschäftsführung Bereich Arbeit). VN/KH
Robert Baljak (Geschäftsführung Bereich Bildung) und Stefan Koch (Geschäftsführung Bereich Arbeit). Foto: VN/KH

Kein Sozialverein

Koch und Baljak wollen dabei keine Kuschelpädagogen sein, kein Sozialverein. Sie wollen die Menschen fordern. „Auch wenn das nicht immer gut ankommt. Die Dankbarkeit kommt oft später“, merkt Koch an. Aber eine Opferhaltung bringe niemandem etwas, denn man müsse die Menschen ja auf den Arbeitsmarkt vorbereiten. „Das Schlimmste ist, wenn jemand die Arbeit bei uns als chillig bezeichnet“, gibt Baljak schmunzelnd zu.

Wenn man schon bei Vorbehalten ist: Die Geschäftsführer sind davon überzeugt, dass es sinnvoller ist, in Integra zu investieren als in die reine Arbeitslosenverwaltung. Das ist keine rein subjektive Haltung, dazu gibt es auch Berechnungen. „Wenn man bedenkt, dass ein Arbeitsloser laut Rechnungshof mindestens 19.000 Euro im Jahr kostet, und zieht man die Nettoförderkosten, also direkte Subventionen und fiskalische Effekte, ab, bleibt ein volkswirtschaftlicher Nutzen von 2,17 Millionen Euro pro Jahr“, rechnet Koch vor. Dabei seien die indirekten Folgekosten der Arbeitslosigkeit für Sozial- oder Gesundheitssystem noch gar nicht eingerechnet.

Marktnähe und Qualität

Stillstand gibt es bei Integra nicht. Auch heuer stehen wieder neue Projekte an. Neben dem Kindersecondhand zum Beispiel das Bilder- und Rahmen-Projekt. „Der Bilderrahmenerzeuger ist in Pension gegangen, hatte keinen Nachfolger. Das wird nun von Integra in der Produktionsschule Oberland mit Jugendlichen und Tischlern weitergeführt“, erklärt Baljak. Auch hier wird Wert auf Qualität und Termintreue gelegt, so wie im richtigen Arbeitsleben auch. Diese Marktnähe brauche es auch, um einen leichteren Einstieg ins Berufsleben zu finden. Ein gutes Beispiel dafür ist das Gasthaus Eichamt in Bludenz, das von Integra geführt wird, und wo Jugendliche auf eine Lehrstelle vorbereitet werden. Das wird sehr gut angenommen, auch wenn es im Vorfeld Bedenken von außen gab.

Aber mit dem Kontakt zu Integra verschwinden dann oft auch die Vorurteile. Oder wie es ein Kunde treffend formuliert: „Ich würde niemand anderem meinen Porsche anvertrauen.“ Das ist nur ein Beispiel, aber es zeigt, wie sehr sich auch die Sicht der Kunden verändert hat. „Man kann jeden brauchen. Wenn man jemandem einen Sinn und Struktur gibt, ist jeder Mensch leistungsfähig, auch wenn er ein Handicap hat. Das ermöglicht uns, bessere Produkte anzubieten“, erklären Baljak und Koch.

Einsparungen falsch

Sorgen bereiten ihnen die Einsparungen des Bundes von rund zehn Prozent im nächsten Jahr. Die Arbeit von Integra habe ja auch eine gesellschaftspolitische Tragweite. Denn ein Mensch sei ohne Arbeit und Bildung nichts, und wenn man jemandem die Daseinsberechtigung nehme, das Gefühl gebe, nicht gebraucht zu werden, sei er arm. Darum hoffen Stefan Koch und Robert Baljak bis zuletzt, dass diese Pläne doch noch einmal überdacht werden.

*Der Artikel von Hanna Reiner ist in den Vorarlberger Nachrichten vom 21. April 2015 erschienen. Wir bedanken uns bei den VN herzlich für die freundliche Abdruckgenehmigung!