„Wir wollten nicht mehr länger warten!“ Manuela Vollmann im Interview

Manuela Vollmann ist seit 1992 Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführerin von abz*austria und langjährige Vorstandsvorsitzende des bdv austria. Im März 2013 wurde sie für ihr langjähriges und erfolgreiches Engagement für die Gleichstellung von Frauen und Männern in Bildung, Wirtschaft und Arbeitsmarkt mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien ausgezeichnet. In diesem Interview berichtet sie über die Entwicklung von abz*austria seit der Gründung vor mehr als 20 Jahren.

Philipp Hammer: Liebe Manuela, zunächst nochmals herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des Goldenen Verdienstzeichens der Stadt Wien. Wie bist du vor 20 Jahren überhaupt auf die Idee gekommen mit dem abz*austria ein Soziales Unternehmen im arbeitsmarktpolitischen Bereich zu gründen? Wieso ist abz*austria kein profitorientiertes Unternehmen geworden?

Manuela Vollmann: Gleich vorweg, ich habe nicht die Idee für abz*austria gehabt. Vor rund 20 Jahren waren mehrere Familien am Schöpfwerk in Wien von Delogierungen bedroht. Auf Anregung des regionalen Stadtteilzentrums Bassena wurde daraufhin eine Studie in Auftrag gegeben um das Problem zu untersuchen und Lösungen aufzuzeigen. Das Ergebnis war, dass die dort wohnenden und von Delogierung bedrohten Frauen beim Berufs(wieder)einstieg unterstützt werden sollten, um so ihre Familien ernähren zu können. Um einen der ausgeschriebenen Jobs habe ich mich beworben und wurde nach einem Hearing ausgesucht das Projekt gemeinsam mit einer Kollegin zu starten.

Es war von Anfang an klar, dass viel Aufbauarbeit notwendig sein würde. Allerdings sehe ich das als Vorteil, weil auf diese Weise alles durch uns gestaltet werden konnte. Obwohl es am Beginn des Projektes für viele unvorstellbar war, haben wir es geschafft die Stadt Wien gemeinsam mit der Arbeitsmarktverwaltung (heute: Arbeitsmarktservice Wien) für die Unterstützung eines Projektes für Wiedereinsteigerinnen zu gewinnen und in unsere Arbeit auch privatwirtschaftliche Unternehmen einzubeziehen. Wir haben es geschafft diese Organisationen und Unternehmen mit ihren unterschiedlichen Interessen zusammen zu bringen – trotz herausfordernden Beginns. Wir starteten mit einem PC, einem Telefonbuch und einem Telefon, um das Projekt zu planen – mit der Vision im Kopf, dass Wiedereinsteigerinnen eine gute Ausbildung und dann einen guten Job bekommen werden. Wir haben den Verein gegründet und nach und nach alles Nötige selbst aufgestellt.

Du siehst ich war – obwohl ich angestellt war – gleichzeitig auch Unternehmerin: niemand von den offiziellen Personen im Umfeld des Projektes wollte Obfrau werden. Wir wollten aber nicht auf Entscheidungen warten, sondern endlich etwas tun und haben uns dann entschlossen den Verein eben selbst zu gründen. So hat sich ergeben, dass ich diesem Verein und Unternehmen vorstehe und mit meinem Privatvermögen hafte. Wir waren alle operativ tätig und konnten diese Verantwortung einfacher mittragen, da wir das Unternehmen auch gestalten konnten. An dieser Struktur hat sich bei uns in den letzten 20 Jahren nichts verändert. Mittlerweile beschäftigen wir aber rund 110 Mitarbeiterinnen und 30 freie Trainerinnen.

Philipp Hammer: Was siehst du als wichtigste Meilensteine in der Entwicklung von abz*austria? Was waren die Gründe wieso abz*austria im Gegensatz zu vielen anderen Frauenorganisationen während der letzten 20 Jahre kontinuierlich hat wachsen können?

Manuela Vollmann: Ich glaube es gibt drei Gründe mit denen die Entwicklung von abz*austria in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erklärt werden kann:

Einerseits sind wir bewusst ein Modellunternehmen bei der Vereinbarung von Erwerbsarbeit mit unterschiedlichen Lebensphasen und Familienmodellen. abz*austria hat bereits seit vielen Jahren positive Erfahrungen mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und der Vertrauensarbeitszeit gemacht. In der Gleitzeitvereinbarung sind Rahmenbedingungen geregelt, die den MitarbeiterInnen erlauben, unter Berücksichtigung ihrer Tätigkeitsbereiche ihre Arbeitszeit flexibel zu planen. Da es außerdem keine Kernarbeitszeit gibt und sich der Gleitzeitrahmen von 6 bis 22 Uhr erstreckt, haben die MitarbeiterInnen die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit an ihre persönlichen Bedürfnisse anzupassen. Das durchschnittliche Wochenstundenausmaß der Teilzeitbeschäftigten lag 2012 bei 25 Stunden pro Woche, es gab 27 verschiedene Arbeitszeitmodelle. Seit 17 Jahren ist auch das Top-Job-Sharing der Geschäftsführerinnen ein Vorzeigemodell und bietet die optimale Möglichkeit, Familie und Privatleben mit der Verantwortung einer Führungsposition zu vereinbaren.

Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass unsere Angebote und Projekte nie nur aus theoretischen Überlegungen heraus entstehen. Unsere Produkte – sei es für Unternehmen, erwerbslose Frauen, Väter in Karenz oder für Migrantinnen entstehen immer aus dem Bedarf unserer KundInnen. Wir haben im letzten Jahr in 30 Projekten rund 7.000 TeilnehmerInnen qualifiziert, gecoacht und beraten. Davon waren rund 2.300 TeilnehmerInnen in Aus- und Weiterbildungen, Workshops und Orientierungskursen bei abz*austria. Die Schulungsinhalte erstreckten sich von nicht-traditionellen Branchen (handwerkliche Werkstätten, Facharbeiterinnenausbildung Maschinenfertigungstechnik) über Ausbildungen im Bereich Einzelhandel, Soziales Kompetenztraining, Workshops „Wege in die finanzielle Eigenständigkeit“ bis hin zu Vorbereitungskursen auf den Hauptschulabschluss. Durch diese Arbeit haben wir engen Kontakt mit unseren Zielgruppen und wissen was gebraucht wird. So entstehen bei uns neue Konzepte und Ideen mit denen wir aktuelle Themen und Probleme immer sehr früh aufgreifen können. Mittlerweile ist es unser Asset, dass wir immer etwas früher wissen, welche Zukunftsthemen es gibt. Wichtig ist aber nicht nur die Nähe zu den erwerbslosen und beschäftigten Frauen in unseren Projekten, sondern auch die Nähe zur Wirtschaft und zum öffentlichen Bereich wie den Ministerien oder dem AMS.

Wir haben Statuten und ganz klare Ziele: wir fördern die Vielfalt in Gesellschaft und Wirtschaft und die Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt. Unternehmen die mit uns arbeiten, können sich mit diesen Zielen identifizieren. Nur so kann es auch für uns funktionieren, denn wir wollen keine trendigen Themen aufzugreifen und für Gewinn verkaufen, sondern wir haben seit 20 Jahren ein klares Ziel, das wir durch unser Handeln verfolgen. Das können Unternehmen gemeinsam mit uns erreichen.

Philipp Hammer: Was hat dich in diesen mehr als 20 Jahren Arbeit bei abz*austria am meisten betroffen gemacht?

Manuela Vollmann: Gute Frage, gerade derzeit. Kompetenzen bekomme ich nicht zwangsläufig ausschließlich über Weiterbildungen, sondern auch durch Praxis. Arbeiten und Lernen gehören zusammen und genau das haben wir schon am Beginn von abz*austria vor 20 Jahren in unserem Konzept berücksichtigt und entsprechend agiert. Aus dieser Sicht ist es schon ein Wehrmutstropfen, dass es uns nicht langfristig gelungen ist das Programm „Arbeiten und Lernen“ in unserem Non-Profit Unternehmen und am österreichischem Arbeitsmarkt zu etablieren. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden (schmunzelnd). Arbeiten und Lernen ermöglicht allen Zielgruppen sehr praxisnahes und lustvolles Erlernen von Fachwissen und die Stärkung von Kompetenzen und Fähigkeiten.

Philipp Hammer: Spürt ihr die aktuelle Wirtschaftskrise am Arbeitsmarkt eigentlich bei euch in den Beratungseinrichtungen?

Manuela Vollmann: Es gibt aktuell sehr hohen Druck auf viele Klientinnen, denn die Auswirkungen der Wirtschaftskrise sind für Frauen nach wie vor spürbar. Die existenziellen Notlagen von immer mehr Frauen sind auch in den Beratungsstellen deutlich merkbar. Der Leistungsdruck auf berufstätige Frauen und der organisatorische Druck für Frauen mit Kinderbetreuungspflichten steigen. Um diese Situation positiv zu verändern, wenden sich viele Frauen mit dem Wunsch nach beruflicher Neuorientierung an die Beratungsstellen und an das neue Frauenberufszentrum, das wir seit Jänner dieses Jahres für das Arbeitsmarktservice Wien durchführen. Vertraulichkeit ist dabei ein wesentlicher Faktor für einerseits eine positive Arbeitsbeziehung und andererseits eine Ziel führende Umsetzung neuer beruflicher Wege, die sich aus der Beratung ergeben.

Philipp Hammer: Vielen Dank für dieses spannende Interview!