Vor den Vorhang: “Hauptsache eine Arbeit”

Ende April gab es in Niederösterreich 13,4 Prozent mehr Arbeitslose als noch vor einem Jahr. Überdurchschnittlich stark angestiegen sind die Arbeitslosenzahlen bei den Ausländern – und zwar um 22,6 Prozent auf 9.819 Personen. „Die schwächsten Gruppen mit den austauschbarsten Jobs sind in wirtschaftlich schwierigen Zeiten am schnellsten arbeitslos“, sagt Johanna Reithner, Leiterin von FAIR in St. Pölten. Diese Beratungsstelle ist Teil der Volkshilfe Beschäftigung und unterstützt Migranten bei der Jobsuche. 772 Klienten wurden im Vorjahr beraten, heuer waren es bereits 650.

„Die Hälfte unserer Kunden ist drei Monate nach Beratungsende in einer Beschäftigung oder Weiterbildung“, sagt Reithner. Einer von diesen erfolgreich vermittelten Migranten ist Herr S. aus Jordanien. Er hat über FAIR eine Stelle in einem Industriebetrieb gefunden. Zuvor hat er in St. Pölten als Kellner gearbeitet – obwohl er in Jordanien Supervisor in einem Fünf-Sterne-Hotel war, wie er erzählt: „Aber das war mir nicht so wichtig – Hauptsache eine Arbeit“, sagt der 33-Jährige.

Johanna Reithner, Leiterin von FAIR in St. Pölten, im Beratungsgespräch mit Herrn S. aus Jordanien

Verlorenes Potenzial mit negativen Folgen

„Wenn die Abschlüsse nicht anerkannt werden, bauen wir uns eine Falle für die Zukunft. Hier geht großes Potenzial verloren. Zudem verdrängen Migranten dadurch andere Hilfskräfte, die sich ohnehin am Jobmarkt schwer tun“, so Reithner.

Über die Anerkennung von Qualifikationen berät eine Anlaufstelle namens AST. Die Beratungsstelle FAIR arbeitet eng mit AST zusammen und wird vom AMS und der Stadt St. Pölten gefördert. Ähnliche Beratungsstellen gibt es mit dem „Kulturpunkt“ sowie dem „Berufszen trum für MigrantInnen“ in Wiener Neustadt. Diese Anlaufstellen sind für den Raum südlich von Wien vorgesehen, FAIR für den Zentralraum. Im Wald- und Weinviertel erfolgt die Beratung von Migranten telefonisch oder über andere Projekte, etwa die Frauenberatung Gmünd.

Beratungsbedarf bei Migranten höher

Bei Migranten gibt es höheren Beratungsbedarf, wie Reithner erzählt: „Viele wissen nicht über ihre Rechte Bescheid – etwa, dass sie ein Recht auf einen Lohnzettel haben oder dass es einen Kollektivvertrag gibt.“ Die sechs Mitarbeiter von FAIR sprechen insgesamt 17 Sprachen. Seit Mitte März gibt es dort eine Beraterin mit Arabisch-Kenntnissen, die mit einer Warteschlange von 200 Klienten konfrontiert ist. Auch bei den Deutschkursen gibt es zum Teil lange Wartezeiten. „Einerseits müssen Migranten Deutsch lernen, andererseits gibt es zu wenig Möglichkeiten dafür“, so Reithner. Laut AMS NÖ gibt es heuer 1.880 Deutschkursplätze, im Laufe des Jahres sollen weitere 720 dazukommen.

*Dieser Bericht ist am 11.Mai 2015 in der NÖN erschienen. Wir danken der Wochenzeitung für die freundliche Abdruckgenehmigung.