Vor den Vorhang: „Talent-Scout ist kein Spaziergang für die jungen Flüchtlinge“

Robert Baljak, Geschäftsführer des Vorarlberger Sozialen Unternehmens Integra, weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, plötzlich in einem fremden Land neu anzufangen: Als Fünfjähriger landete der gebürtige Kroate und Sohn einer so genannten „Gastarbeiterfamilie“ von einem Tag zum anderen in einem Vorarlberger Kindergarten: „Ich kenne das Gefühl, fremd zu sein und sich nicht ausdrücken zu können“, so Baljak. Wohl auch aus diesem Grund initiierte er wegen der wachsenden Anzahl der Kriegsflüchtlinge in Österreich vor einem Jahr gemeinsam mit der Arbeiterkammer das Pilotprojekt „Talent-Scout“.

Dieses Programm bietet Flüchtlingen zwischen 15 und 19 Jahren innerhalb von drei Monaten eine erste Orientierung in Ausbildungs- und Berufsfragen. Arbeitstrainings, ein Intensivdeutschkurs, Einzel- und Gruppencoachings sowie diverse Bildungsangebote wie Exkursionen und Kultur- und Wertevermittlung bilden den bunten Programmmix. Insgesamt 200 Mädchen und Burschen sollen heuer per Talent-Scout die Chance erhalten, ihre beruflichen Fähigkeiten, Wünsche und Möglichkeiten in Österreich abzuklären.

„Talent-Scout ist kein Spaziergang für die jungen Flüchtlinge. Wenn sie zu uns ins Projekt kommen, müssen sie mit dem System in Österreich konfrontiert werden. Es bringt nichts, sie in Watte zu packen“, ist Projektleiter Mika Seidl überzeugt. Alleine der Deutschkurs, der die jungen Flüchtlinge innerhalb von fünf bis sechs Wochen vom Anfängerniveau (A1) auf ein fortgeschrittenes Anfängerniveau (A2) bringen soll, ist für die meisten eine enorme Herausforderung. „Der Großteil schafft es aber“, freut sich Seidl.

 „Ohne Sprache geht es nicht“

Jassim (l.) und Sharif (r.) möchten sich in ihrer neuen Heimat Österreich eine Zukunft aufbauen. Talent-Scout unterstützt sie dabei.

Auch der neunzehnjährigen Sharif aus Afghanistan findet die deutsche Sprache laut eigenen Aussagen „kompliziert und schwierig.“ Man müsse viel lernen. Aber „Ohne geht es nicht, da kann man nicht hier leben“, ist er überzeugt. Sharif ist Angehöriger der Hazara, einer persischsprachigen ethnischen Minderheit, deren Angehörigen in Afghanistan diskriminiert und verfolgt werden. Seine Eltern hat er schon als Kind verloren, seine einzige Schwester (45) lebt im Iran. Für Sharif war es ohne Papiere im Iran allerdings zu gefährlich.

Nach einer langen Fluchtodyssee, minderjährig und völlig auf sich allein gestellt, landete Sharif im Frühling 2015 in Österreich. Derzeit lebt er in einem Grundversorgungsquartier des Roten Kreuzes. Eine Vorarlberger Familie kümmert sich um ihn, macht mit ihm Ausflüge. Momentan wartet Sharif sehnsüchtig auf seinen Asylbescheid. Für Herbst 2016 ist er bereits in der Hauptschule Dornbirn angemeldet: „Die will ich fertig machen und dann weiterschauen.“

Hoffnung auf einen Neustart

Der 19jährige Jassim ist seit Winter 2015 in Österreich und lebt nun in einer kleinen Wohnung in Rankweil. Als syrischer Kriegsflüchtling hat bereits Asyl erhalten. Wie Sharif ist auch er froh über die Unterstützung durch das Talent Scout-Programm. Jassim ist der jüngste in der Familie, seine Eltern, sechs Schwestern und drei Brüder leben weiterhin im Kriegsgebiet, erzählt er in beachtlichem Deutsch. In Syrien habe er keine Perspektive gehabt, sagte er, wegen des Krieges und auch, weil der Islam so extrem sei. Jassims größtes Ziel ist es, rasch zu arbeiten und Geld zu verdienen, auch, damit er seine Familie unterstützen kann. Jassim hat keine Berufsausbildung, in Österreich könnte er sich eine Ausbildung als Krankenpfleger vorstellen.

Nicht alle jungen Menschen, die nach meist traumatischen Fluchterfahrungen und oft völlig auf sich allein gestellt, in Österreich ein neues Leben beginnen möchten, haben so realistische Vorstellungen des Machbaren wie Sharif und Jassim. „Die Erwartungen, aber auch die Chancen der jungen Flüchtlinge hängen oft sehr stark vom Herkunftsland ab“, weiß Seidl. Im Dauerkriegsland Afghanistan haben viele 18jährige überhaupt nur ein paar Jahre die Schule besucht. Und in Syrien gilt oft nur etwas, wer studiert hat. Eine Lehrausbildung existiert dort gar nicht. Seidl: „Es ist nicht immer einfach, die Jugendlichen davon zu überzeugen, dass beispielsweise Tischler hier ein anerkannter, existenzsichernder Beruf ist. Und dass es für jemanden, der mit 18 Jahren nur vier Jahre Schule hinter sich hat, unrealistisch ist, Arzt zu werden, zumindest auf dem direkten Weg.“

Integra-Geschäftsführer Baljak initiierte gemeinsam mit der AK das Projekt Talent-Scout, das jugendliche Flüchtlinge unterstützt.

Was aber sind die Erfolgskriterien für ein Projekt wie dieses? Neben der Kombination von Wissen und praktischem Arbeitstraining vor allem Flexibilität, sind sich Integra-Chef Baljak und Talent-Scout-Projektleiter Seidl einig. Wo man mit einer bestimmten Zielgruppe noch auf keine Erfahrungen zurückgreifen können, brauche man die Chance, Pläne ständig zu adaptieren, so Baljak. Seidl nennt dazu ein Beispiel: „In der Planung sind wir davon ausgegangen, dass die jugendlichen Flüchtlinge woanders Deutsch lernen. In der Realität ist es aber so, dass manche noch nach vielen Monaten keinen Deutschkurs bekommen haben, andere wiederum schon nach zwei Wochen. Uns war schnell klar: Wenn wir die Jugendlichen nachhaltig unterstützen möchten, müssen wir auch selbst ein A2-Deutschmodul anbieten.“

Der Weg in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis ist für sehr junge Flüchtlinge freilich trotz der grundsätzlich offenen Türen der großen Vorarlberger Wirtschaftsunternehmen und der Unterstützung durch Förderprogramme ein langer. Seidl: „Zu glauben, man kann einen jungen Menschen aus einem Kriegsland mit wenigen Schuljahren und ohne Sprachkenntnisse in wenigen Monaten fit für eine Berufsausbildung machen, halte ich für realitätsfern. Realistisch sind ein bis zwei Jahre.“