Tagung in Oberösterreich war voller Ideen für eine “schöne neue Welt”

„Es ist wichtig und notwendig für Sozialorganisationen, selbstbewusst am sozial-politischen Diskurs teilzunehmen“, so begrüßte Dorothea Dorfbauer, Vorstandsvorsitzende der Sozialplattform OÖ, die rund 120 TeilnehmerInnen bei der Tagung „Schöne neue Welt“ in der Arbeiterkammer Linz. Sie forderte eine gesellschaftskritische Haltung ein, ermunterte zu neuen Ideen und betonte den partizipativen Ansatz in der Sozialpolitik.

Sichtbar werden

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Gerti Niedl (l.) und Michaela Moser brachten die Perspektiven der von Armut betroffenen Menschen ein.

Teilhabe und Partizipation bilden die Grundlage für die Initiative „Sichtbar werden“ der Armutskonferenz Österreich. Dabei organisieren sich Armutsbetroffene und Menschen mit Armutserfahrung selbst und treten in Auseinandersetzung mit Politikern und Politikerinnen, Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen – Anliegen, Leistungen, Probleme und Forderungen von selbstorganisierten Betroffenengruppen und SelbstvertreterInnen werden aufgezeigt und Möglichkeiten des Austausches, der Vernetzung und (Weiter-)Entwicklung von Veränderungsstrategien geschaffen.

Michaela Moser ist im Koordinationsteam der Armutskonferenz Österreich und und steht hinter dem Motto „Nicht ohne uns über uns – sondern mit uns“. Eine schöne neue Welt ist für sie nicht ohne Teilhabe aller möglich. Sie betonte, dass Sozialorganisationen einen differenzierteren Zugang zu ihren Klienten und Klientinnen haben als gewinnorientierte Unternehmen, die ebenfalls soziale Dienstleistungen anbieten. Gerti Niedl (Interessenvertretung pro mente) und Henriette Gschwendtner (Interessenvertretung Exit-sozial) sind in der Plattform „Sichtbar werden“ aktiv und haben zu Beginn der Tagung Einblick in ihr Leben gewährt. Beide beschrieben die Stigmatisierung und soziale Ächtung, die damit einherging, als ihre psychische Erkrankung ihr bisheriges Leben, Erwerbsarbeit bzw. Versorgung der Kinder nicht mehr möglich machte. Henriette Gschwendtner und Gerti Niedl erzählten, dass die sozialen Organisationen (Exit-sozial, pro mente OÖ) bedeutend für sie waren und nach wie vor sind. Die enorme Erfahrung, die Armutsbetroffene haben, sollte von möglichst vielen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen genutzt werden.

Zwei Zeitalter des Kapitalismus

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Jakob Kapeller schlug eine europäische Aufsichtsagentur für Unternehmen vor.

Jakob Kapeller, Philosoph und Ökonom am Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie sowie dem Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft (ICAE) der Universität Linz, setzte sich mit der ambivalenten Beziehung von Kapitalismus und gutem Leben im Verlauf der Geschichte auseinander. Eröffnend meinte Kapeller, dass der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form wenig zur schönen neuen Welt beitragen könne. Zu den Segnungen des Kapitalismus gehören sicherlich technologischer Fortschritt und Wirtschaftswachstum, wohingegen zunehmende Ungleichheit, Ausbeutung von Mensch und Umwelt sowie die Monetarsierung sozialer Beziehung zu den Verwerfungen zählen. Im 20. Jahrhundert unterscheidet man zwei Zeitalter des Kapitalismus. Zwischen 1945 und 1974 spricht man vom „Goldenen Zeitalter“, in diese Zeit fällt der Ausbau staatlicher Tätigkeiten, Planung und Kontrolle von Preisen und Löhnen sowie der sogenannte Korporatismus (= verschiedene Formen der Beteiligung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen an politischen Entscheidungsprozessen) mit der Stärkung der Gewerkschaften. Auch international standen Stabilität und stark regulierte Kapitalflüsse im Zentrum.

Kapeller zitierte Konrad Adenauer (erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland): „Jedoch besitzt der Wettbewerb eine immanente Tendenz, sich durch Kartelle, Konzentration und Monopolbildung zu zerstören. (…) Mit sozialpolitischen Maßnahmen soll denjenigen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden, die nicht am Wettbewerbsprozess teilnehmen können und sich ihre eigene Existenz nicht aus eigener Kraft sichern können.“ Der finanzdominierte Kapitalismus nach 1974 kombinierte flexible Arbeitsmärkte, kurzfristige Fertigung, Finanzspekulation, Sozialabbau und einen internationalen Aktionsradius für die Wirtschaft und brachte weniger Wachstum für wenige. Zentralen Wendepunkt bildete die Liberalisierung von Handels- und Kapitalströmen.

Die Globalisierung hat eine Reduktion staatlicher Macht bewirkt, im globalisierten Markt stehen nicht nur Unternehmen sondern auch Gesellschaften in Wettbewerb. Macht besitzt, wer zentrale Schnittstellen besetzt (profitable gatekeeping). So liegen beispielsweise 80 % der Kontrollrechte für 43.060 Konzerne bei nur 737 Firmen (das sind knapp 2 %). Kapeller stellte auch die Frage, welchen Wohlstand wir eigentlich wollen: Zeitwohlstand oder Güterwohlstand? Er erwähnte das sogenannte „Rat Race“: Mehr Konsum geht einher mit weniger Zufriedenheit und mehr Arbeit. In Ländern mit höherer Ungleichheit besteht mehr Bereitschaft zu arbeiten.

Welche Vorschläge an die Politik kann es nun geben? Jakob Kapeller schlug eine europäische Aufsichtsagentur für Unternehmen und Handelswaren vor, um die Märkte zu zähmen. Wer definierte Arbeits-, Nachhaltigkeits- und Qualitätsstandards nach Ablauf eines Zeitrahmens nicht einhält, wird sanktioniert und weiter beraten, um diese Ziele zu erreichen. Auch die Arbeitszeitverkürzung fortzusetzen könne eine Maßnahme sein. Bereits Viktor Adler wurde auf seine Forderung nach Arbeitszeitverkürzung entgegengehalten, dass die Wettberwerbsfähigkeit damit reduziert wird. Ein Totschlagargument, das uns auch nach über 100 Jahren bekannt vorkommt.

“Handel ist kein Selbstzweck”

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Aus dem Bruttoinlandsprodukt solle das Gemeinwohlprodukt werden, schlug Christian Felber vor.

Christian Felber ist Mitbegründer der Gemeinwohl-Ökonomie und der Bank für Gemeinwohl. Er will vom Kapitalismus wieder zur echten Ökonomie gelangen, denn sie leitet sich vom griechischen „oikonomia“ ab. Geld ist nur ein Mittel, „Oikos“ war im antiken Griechenland die Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft, deren Wohlergehen das höchste Gut war. Demgegenüber steht „chrematistike“ – Geld ist Zweck. Für Felber ist Handel kein Selbstzweck, er plädiert dafür auch den freien Kapitalverkehr zu hinterfragen.

Artikel 151 der bayrischen Verfassung besagt: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“ Gemeinwohl als Ziel der Wirtschaft ist also weder eine neue Erfindung noch ein revolutionärer Denkansatz, sondern politische Zielvorgabe mit Verfassungsrang. Felber schlägt vor, wirtschaftlichen Erfolg neu zu bewerten: Aus dem Bruttoinlandsprodukt soll das Gemeinwohlprodukt werden, Finanzbilanz wird zu Gemeinwohl-Bilanz, Finanzrendite zu Gemeinwohl-Mehrwert. Auch für ihn ist Arbeitszeitverkürzung eine zentrale Maßnahme, um Arbeit besser zu verteilen (inklusive Fürsorgearbeit) und ökologisch nachhaltiger zu agieren. Zusätzlich schlägt er ein Freijahr pro Dekade des Erwerbslebens vor.

Der repräsentativen Demokratie stellt er kein gutes Zeugnis aus, Felber plädiert für einen Verfassungsprozess von unten, mit kommunalen Verfassungskonventen. Für partizipative Entscheidungsprozesse schlägt er „Systemisches Konsensieren“ vor. (= ist ein konsensnahes Entscheidungsverfahren. Eine Gruppe ermittelt aus einer Reihe selbst entwickelter Lösungsvorschläge jenen Vorschlag, der in der Gruppe die geringste Ablehnung erfährt. .

Sozialorganisationen sieht Christian Felber als Puffer im politischen System, die durch einen gesellschaftlichen Fokus auf Gemeinwohl nicht verzichtbar sind, aber entlastet werden.

Gelungene Überraschung

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Josef Pürmayr (Sozialplattform OÖ) mit der frischgebackenen „FAIRtreterin des Jahres“ Elisabeth Rosenmayr (Exit-sozial)

Als Überraschung überreichte Dorothea Dorfbauer den im letzten Jahr eingeführten Preis „FAIRtreterin des Jahres“ an Elisabeth Rosenmayr (Exit-sozial), die diese Auszeichnung durch ihr Engagement für faire Rahmen- und Arbeitsbedingungen für soziale Arbeit erhielt.