Soziale Dienstleister fordern „soziale Brille“ bei Umsetzung des Vergaberechts

Bund, Länder und Gemeinden vergeben jedes Jahr an Soziale Dienstleistungsunternehmen Aufträge in Milliardenhöhe. Bis zum 18. April 2016 muss Österreich die EU-Richtlinie zur Vergabe öffentlicher Aufträge in nationales Recht gießen. Der Gesetzgeber habe hier die Chance, wichtigen sozialpolitischen Anliegen wie der qualitätsvollen Pflege, der flächendeckenden Versorgung mit Rettungsdiensten oder auch der wirksamen Integration von langzeitarbeitslosen Menschen den Rücken zu stärken, hieß es bei einem Pressegespräch von vier großen Dachverbänden Sozialer Dienstleister, darunter auch bdv austria, in Wien.

Best- statt Billigstbieterprinzip

Foitik, Vollmann, Marschitz, Neuherz: “Chance beim Vergaberecht nicht vergeben!”

„Soziale Dienstleistungsunternehmen ticken anders als andere Unternehmen, denn sie stellen die Teilhabe an Grundbedürfnissen wie Gesundheit, Wohnen, Bildung und Arbeit sicher. Das bringt eine besondere öffentliche Verantwortung des Staates mit sich, die er bei der Gestaltung des neuen Vergaberechts nun unter Beweis stellen kann“, betonte Markus Neuherz, Geschäftsführer des Dachverbandes berufliche Integration Austria (dabei-austria). Er verweist darauf, dass es auch weiterhin möglich sei, soziale Dienstleistungen durch Förderverträge zu organisieren. Es sei wichtig, dass Pflege, Kinderbetreuung, Gesundheitsversorgung, Arbeitsmarktintegration und andere Soziale Dienstleistungen effizient organisiert seien. Aber ebenso wichtig sei, so Neuherz, dass die Qualität stimme und das Angebot auch in entfernten Regionen verfügbar sei: „Preisdumping hat im Sozialsektor nichts verloren. Das Billigstbieterprinzip muss einem Bestbieterprinzip weichen.“

Vorrang von Unternehmen mit sozialem Mehrwert

Vergabe-PK
Vollmann: “Öffentliche Vergabe auch als politisches Instrument nutzen”

Das fordert auch bdv austria-Vorstandsvorsitzende Manuela Vollmann: “Im Kursbereich haben wir in der Vergangenheit gesehen, dass es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht immer um die Qualität geht. Wir scheuen nicht den Wettbewerb, aber es muss ein Wettbewerb der Qualität sein, bei dem nicht der Preis alle anderen Kriterien überwiegt.”

Insgesamt sei die öffentliche Auftragsvergabe ist auch ein politisches Instrument, etwa um Gleichstellung am Arbeitsmarkt zu unterstützen, so Vollmann weiter: “Das ist möglich und wir fordern, dass das auch gemacht wird.” In Zeiten dramatisch steigender Langzeitarbeitslosigkeit, mangelnder Aussichten etwa für Arbeitslose über 50 oder behinderte Menschen sowie eines wachsenden Drucks am Arbeitsmarkt sei es für die politisch Verantwortlichen ein Gebot der Stunde, alle Mittel zu ergreifen, um die Jobchancen benachteiligter Menschen zu erhöhen, ist die bdv austria-Vorstandsvorsitzende überzeugt. Dazu zählten befristete Arbeitsplätze in gemeinnützigen Beschäftigungsbetrieben ebenso wie gemeinnützige Beratungs- und Kursmaßnahmen. Vollmann: „Österreich soll den Ball der Europäischen Union aufnehmen und jenen Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge den Vorrang geben, die mehr als 30 Prozent an benachteiligten Menschen beschäftigen.“

Soziale Kriterien vor

Walter Marschitz, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Sozialwirtschaft Österreich, plädiert für die Erstellung einer Liste von Kriterien für die Vergabe sozialer Dienstleistungen: „Die Einbeziehung ökologischer Kriterien in die Vergabe öffentlicher Aufträge ist in Österreich bereits gang und gäbe. Der Gesetzgeber muss nun beim Vergaberecht dringend die soziale Brille aufsetzen. Was bislang fehlt, ist eine Liste einschlägiger Kriterien wie etwa Regionalität, Barrierefreiheit oder Versorgungssicherheit. Eine solche könnte im Anhang des Gesetzestextes Bund, Ländern und Gemeinden als Orientierungshilfe dienen“, schlägt Marschitz vor.

Gemeinnützigkeit stärken

„Soziale Dienstleister, die öffentliche Aufträge erhalten, sollen den Gewinn daraus wieder in ihren Kernauftrag investieren. Leben retten darf nicht der Gewinnmaximierung unterworfen werden. Wer nicht das Gemeinwohl in den Fokus rückt, spart bei den Bedürfnissen der Menschen. In Bereichen wie dem Rettungswesen wäre das fatal“, ist Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes, überzeugt. Zudem würden sich gemeinwohlorientierte Unternehmen im Sinne ihrer anwaltschaftlichen Tätigkeit zudem für die Rechte der Menschen einsetzen. Das Rote Kreuz ist Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt.

Etwa 6.600 Unternehmen und Organisationen werden in Österreich dem sozialen Dienstleistungssektor zugeordnet. Die Angebotspalette erstreckt sich von der Kinder- und Jugendhilfe über Behindertenarbeit bis hin zur psychosozialer Arbeit, Gesundheits- und Sozialdiensten sowie arbeitsmarktpolitischen Dienstleistungen. Das Eigenwirtschaftsvolumen des Sektors aus Leistungsverträgen, Subventionen, Spenden und Eigenleistungen beträgt laut einer Studie von 2012 3,9 Milliarden Euro.

Stellungnahme der Dachverbände:

Stellungnahme_BAG, bdv, dabei, SWÖ

Die Dachverbände haben das PSR-Institut sowie Nikolaus Dimmel mit einer zweiteiligen Studie zum Thema beauftragt:

Vergabestudie Teil 01 Nikolaus Dimmel

Vergabestudie Teil 02 PSR-Institut

Berichte zur Pressekonferenz:

Ö1-Abendjournal-20-10-2015

Tiroler Tageszeitung online

DerStandard

Wiener Zeitung

Die Presse