Vor den Vorhang: „Frauenförderung ist wichtiger denn je“

Frau Diethör, Sie haben 1995 die Frauenservicestelle Frau&Arbeit in Salzburg aufgebaut. Wie hat sie sich seitdem entwickelt?

Daniela Diethör: Damals, vor zwanzig Jahren, habe ich alleine begonnen. Mittlerweile ist das Team auf 23 fix angestellte Frauen angewachsen. Dazu kommen noch 20 Verwaltungsfachkräfte, für die Frau&Arbeit Anstellungsträger ist. Die Frauenservicestelle deckt heute eine sehr große Bandbreite an Anliegen ab, die Arbeit, Beruf und Rahmenbedingungen betreffen – mit speziellen Beratungen und Angeboten für Frauen in den unterschiedlichsten Lebenslagen: von der Sexarbeiterin über AlleinerzieherInnen, bildungsferne Personen, Akademikerinnen, Frauen über 45 bis hin zu Unternehmerinnen, Frauen in Führungspositionen und Frauen mit Migrationshintergrund. Und wir entwickeln unsere Angebote ständig weiter.

Sie sind auch Dienstgeberplattform?

Diethör: Ja, das ist ein Projekt, das sehr gut läuft. Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele Direktorinnen und Direktoren an Salzburger Pflichtschulen überlastet sind, aber keine öffentlichen Planstellen zu ihrer Unterstützung vorgesehen sind. Frau & Arbeit fungiert hier im Auftrag des Landes als Dienstgeberplattform für administrative Assistentinnen im Schulbereich: Wir koordinieren Einstellung, Vertragsabwicklung und Lohnabrechnung, kümmern uns um Controlling der Arbeitszeiten und sind Informationsdrehscheibe für Fördergeber, Schulleitung und Assistentinnen. Aktuell sind 20 Frauen im gesamten Bundesland Salzburg beschäftigt.

Warum braucht es Ihrer Meinung nach frauenspezifische Beratungs- und Unterstützungsangebote?

Diethör: Weil Frauen ohne Frage nach wie vor gleich mehrfach benachteiligt sind: Sie verdienen oft um Etliches weniger als ihre männlichen Kollegen, und das zu einem Teil nur deshalb, weil sie Frauen sind. Sie werden schneller als „zu alt“ für den Arbeitsmarkt angesehen. Sie leisten den Großteil der unbezahlten Arbeit wie Kinderbetreuung oder Pflege und haben deshalb oft brüchige Erwerbskarrieren. Aus diesem Grund wiederum sind sie häufiger von Altersarmut betroffen. Freilich ist auch die Berufswahl von Frauen seit Jahren sehr einseitig. Aus diesem Grund zielen und zielten einige unserer Projekte darauf ab, mehr Mädchen und Frauen für Handwerk und Technik zu interessieren.

Haben sich die Problemfelder in den letzten 20 Jahren verändert?

Diethör: Ich würde sagen, die Themen sind seit den Anfängen zwar die gleichen geblieben, die Problemlagen haben sich aber massiv verschärft. So leiden heutzutage viele unserer Klientinnen an Burn-out oder Überlastungssyndromen. Angst und Unsicherheit sind oftmals Themen in unseren Beratungen; das rührt auch daher, dass die Lebenshaltungskosten viel stärker gestiegen sind als die Einkommen. Und: Je älter die Frauen sind, desto schwieriger wird es überdies, nach einem Jobverlust wieder Arbeit zu finden. Mein Eindruck ist: Die Frauen sind heute besser ausgebildet und bleiben kürzer bei den Kindern zu Hause als früher, sie tun sich aber dennoch schwerer, nach einer Berufspause wieder eine Stelle zu finden.

 

Stehen die Unternehmen nicht ebenfalls unter großem Druck?

Diethör: Ja, da haben Sie vollkommen recht. Die Wirtschaft im Bundesland Salzburg ist sehr klein strukturiert, über 80 Prozent der Unternehmen haben 0 bis 9 Mitarbeiter/innen. Für viele ist das Geschäft sehr hart. Dennoch glauben wir, dass motivierte und loyale MitarbeiterInnen, die sich in ihren Problemen und Anliegen im Betrieb unterstützt fühlen, zum Unternehmenserfolg beitragen. In den letzten Jahren haben wir zwei EU-Projekte abgewickelt: INTERREG-ProFiT und LEADER Work-Life-Coaching, in denen es um die Möglichkeit der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in den Unternehmen ging. Vielfach sind es nicht kostenintensive Maßnahmen, sondern es geht schlicht um Bewusstseinsbildung und das Aufzeigen, dass auch Aktionen, die wenig kosten, viel bringen können: beispielsweise einige Arbeiten von Zuhause aus erledigen, Wasch- und Bügelservice im Hotel nutzen zu können, Sitzungen nicht abends anberaumen, flexible Arbeitszeitmodelle anbieten. Vieles kann sich ändern, indem man die Perspektive ändert.

Wie unterstützen Sie Frauen die am Arbeitsmarkt als „zu alt“ gelten – also für jene ab 45?

Diethör: Mit einem vom Land Salzburg geförderten Projekt, das auf die Zielgruppe 45+ zugeschnitten ist. Wir begleiten Frauen auf dem Weg zu einer neuen existenzsichernden Beschäftigung oder bei drohendem Arbeitsplatzverlust mit Einzelberatungen, Coachings, Workshops und der 7-teiligen Kompetenzbilanz (ein von Frau&Arbeit entwickeltes Tool). Den aktuellen Arbeitsmarkt können wir zwar nicht verändern, wir können unsere Kundinnen jedoch dabei unterstützen, ihre Kompetenzen, Potenziale und beruflichen Alternativen (wieder-)zuentdecken. Dadurch werden Resignation und Hilflosigkeit der Frauen langsam wieder zu neuem Vertrauen in sich selbst und die Arbeitssuchenden können bei potenziellen ArbeitgeberInnen selbstbewusst Werbung für sich, ihre Berufs- und Lebenserfahrung, ihre Zuverlässigkeit, Flexibilität, Freude am Lernen und anderes mehr machen. Für viele unserer Kundinnen ist das der Schritt in ein neues fixes Arbeitsverhältnis.

Wie erreichen Sie Frauen, die Ihre Unterstützung benötigen?

Diethör: Frau & Arbeit ist in der Stadt Salzburg bekannt, viele kommen durch Mundpropaganda oder auf Anraten des AMS und anderer KooperationspartnerInnen zu uns. Auf dem Land ist das oft schon schwieriger. Aus diesem Grund haben wir auch die mobile Beratung entwickelt: Im Flachgau und Tennengau kommen wir zu den Frauen, wir kooperieren hier mit den Gemeinden und regionalen NGOs. Zudem bilden wir Integrationslotsinnen aus, das sind Frauen mit Migrationshintergrund. Diese erreichen und informieren Frauen ihrer eigenen Herkunft in deren Sprache zu den Themen Arbeitsmarkt, Bildung und Gesundheit. Das klappt sehr gut. Und auf diese Weise erreichen wir Personengruppen, die wir sonst nicht erreichen würden. Information und Beratung ist ja oft der erste Schritt, damit sich konkrete Lebenssituationen verbessern.

Welche strukturellen Veränderungen sind Ihrer Meinung nach wichtig, damit sich die Lebensbedingungen von Frauen in Österreich insgesamt verbessern?

Diethör: Zunächst einmal muss die Einkommensschere geschlossen werden. Es kann nicht sein, dass in einer vergleichbaren Position Frauen weniger verdienen als Männer; Löhne und Gehälter müssen existenzsichernd sein. Außerdem brauchen wir meiner Meinung nach ein bedingungsloses Grundeinkommen. Entwürdigend ist, dass jemand, der Vollzeit arbeitet, sein Leben nicht finanzieren kann. Insgesamt beginnt die Chancenungleichheit aber schon beim Bildungssystem, das soziale Unterschiede eher einzementiert als ausgleicht. Aus diesem Grund bin ich persönlich eine Verfechterin einer qualitätsvollen Ganztagsschule. Letztendlich ist meiner Meinung nach aber eine Neubewertung von Arbeit in der Gesellschaft dringend notwendig, ebenso wie die Arbeitszeitverkürzung bei Lohnausgleich und eine Aufwertung von Teilzeitarbeit. Auch über die viele unbezahlte Arbeit, die überwiegend Frauen leisten, sollte gesprochen werden.

Offener Brief: Arbeitslose dürfen nicht zu Sündenböcken gemacht werden

Die Sozialplattform Oberösterreich kritisiert in einem Offenen Brief an den Präsidenten der Wirtschatskammer OÖ, Dr. Rudolf Trauner, dass die Wirtschaftskammer OÖ derzeit in verschiedenen regionalen Medien auf Basis von Einzelfällen den „Missbrauch“ des Arbeitslosenversicherungssystems thematisiere. In dem Brief, den neben bdv austria 28 weitere Organisationen und Vereine unterstützen, heißt es wörtlich: „Durch diese Präsentation von Einzelbeispielen wird unserer Ansicht nach suggeriert, dass arbeitslose Personen prinzipiell bzw. in großer Anzahl unwillig seien, eine zumutbare Arbeitsstelle anzunehmen bzw. überhaupt zu Bewerbungsgesprächen zu erscheinen. Sie unterstellen den Arbeitslosen somit unlautere Ausnutzung des Arbeitslosenversicherungssystems und fordern schärfere Zumutbarkeitsregelungen für die Annahme einer Beschäftigung. Wir, die UnterstützerInnen dieses Briefes, wissen aus unserer Arbeitspraxis, dass der weitaus größere Teil der arbeitslosen Menschen sehr unter der Arbeitslosigkeit leidet und bestrebt ist, eine Arbeitsstelle zu finden. Noch schärfere Zumutbarkeitsbestimmungen werden das Problem nicht lösen angesichts der Tatsache, dass hunderttausende Arbeitsplätze fehlen, um Vollbeschäftigung herzustellen.“

 

 

bdv austria plädiert für eine gerechtere Arbeitsteilung

Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen ist nicht leicht und betrifft vor allem Frauen. Das zeigt auch eine Studie von L&R Sozialforschung, die die Arbeiterkammer Wien kürzlich vorgestellt hat. Demnach sei der Alleinverdienerhaushalt ein „Minderheitenprogramm“. Mehr als drei Viertel der Befragten, die in Paarhaushalten mit Kindern unter 12 Jahren leben, geben an,  dass in ihrer Familie beide Partner berufstätig seien. Die Studie zeige aber auch, dass Erwerbsarbeit und unbezahlte Kinderbetreuungsarbeit zwischen Eltern noch immer sehr ungleich aufgeteilt ist. Das deckt sich der jüngsten Arbeitsmarktanalyse der AK Wien,  der zufolge heute knapp jede zweite berufstätige Frau in Teilzeit arbeitet, während es vor 20 Jahren jede vierte war.

„Für die von der Mehrfachbelastung betroffenen Frauen bedeutet dies, dass sie wegen der Kinder oft keiner existenzsichernden Arbeit nachgehen können. Das ist mit ein Grund, warum Frauen häufiger von Armut betroffen sind als Männer. Dazu kommt, dass viele Frauen zudem gezwungen sind, eine Arbeit unter ihren Qualifikationen anzunehmen, weil anspruchsvollere Stellen häufig nicht auf Teilzeitbasis angeboten werden“ , weiß  Judith Pühringer, die Geschäftsführerin des bdv austria, dem Netzwerk gemeinnütziger, arbeitsmarktpolitischer Unternehmen in Österreich.

Eine gerechtere Aufteilung der Lohnarbeit – weniger Vollzeit (plus Überstunden) bei Männern und mehr Arbeitszeit bei Frauen scheitere derzeit aber häufig auch an den Bedingungen in den Betrieben selbst, so die Arbeitsmarktexpertin: „Es braucht familienfreundlichere Strukturen in den Unternehmen. Und die Politik ist gefordert, hier etwa mit Anreizen für modernes Karenzmanagement in Unternehmen, weiteren Investitionen in Kinderbetreuungsplätze und qualitätvoller Beratung von Wiedereinsteigerinnen die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.“

Die L&R-Studie „Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung“ finden Sie auf der Website der AK Wien.