Geplante Einsparungen in der Arbeitsmarktpolitik dürfen nicht auf dem Rücken der Schwächsten erfolgen!

Geförderte Arbeitsplätze in Sozialen Unternehmen von Kürzungswelle bedroht

Die kommende Regierung muss sparen, soviel ist klar. Doch der sozialpolitische Anspruch einer Regierung in einem der reichsten Länder der Welt muss es sein, die besonders ausgegrenzten Mitglieder unserer Gesellschaft so gut wie möglich zu unterstützen. Genau dies ist nun in Gefahr, wie erste Informationen aus den laufenden Koalitionsgesprächen zwischen SPÖ und ÖVP belegen.

Im vergangenen Jahr erreichte Zahl der Menschen ohne Erwerbsarbeit bisher unbekannte Ausmaße: im November 2013 waren bereits 301.898 Menschen arbeitslos vorgemerkt und weitere 79.684 in Schulungen des AMS. AMS Vorstand Johannes Kopf rechnet mit einem weiteren Anstieg: „Ende Jänner werden wir erschreckende Zahlen sehen: ich rechne mit 450.000 Menschen ohne Arbeit. Erst Ende 2015 wird die Zahl erstmals sinken“ sagte er dem „Kurier“ am 10. November 2013. Viele dieser Menschen sind armutsgefährdet oder leben in Armut. Besonders schwierig gestaltet sich die Situation für langzeitarbeitslose Menschen, die bereits seit Jahren arbeitslos sind oder nur auf kurze Beschäftigungsepisoden zurückblicken können.

AMS Budget: Kürzungswelle bei der Förderung langzeitarbeitsloser Menschen zu befürchten

Die einzig richtige Reaktion auf diese Zahlen wäre eine Erhöhung des arbeitsmarktpolitischen Förderbudgets. Für das Jahr 2014 plante das AMS Österreich ursprünglich eine Erhöhung der Fördermittel um 79 Mio. Euro. Nur so wäre es möglich die – aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit und der Reform der Invaliditätspension – gewachsene Zielgruppe des AMS angemessen zu betreuen und zu unterstützen. Diese bereits beschlossene Erhöhung soll in der kommenden Regierung aus SPÖ und ÖVP nun wieder zurückgenommen werden.

Besonders erschwerend ist, dass bereits mehr als die Hälfte des arbeitsmarktpolitischen Förderbudgets des AMS fix verplant ist. Der nötige Spielraum um diese Kürzungen abzufedern, findet sich nur mehr bei einigen wenigen Programmen: bei Sozialen Integrationsunternehmen, der Eingliederungsbeihilfe (EB) und Kursmaßnahmen.

bdv austria fordert adäquate Ausstattung der Arbeitsmarktpolitik 2014

Judith Pühringer, Geschäftsführerin des bdv austria, der bundesweiten Interessenvertretung der Sozialen Unternehmen:

Im schlimmsten Fall bedeuten diese Kürzungen (oder angesichts der gestiegenen Arbeitslosigkeit auch „zurückgenommene Erhöhungen“) in Sozialen Integrationsunternehmen, dass rund 4.000 geförderte Arbeitsplätze für langzeitarbeitslose und arbeitsmarktferne Menschen nicht angeboten werden können. Dies betrifft jene Menschen, die eine nachhaltige Unterstützung beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt am dringendsten benötigen, wie ältere Menschen, Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder mit keiner über die Pflichtschule hinausgehenden Ausbildung.

Soziale Integrationsunternehmen bieten diesen Menschen befristete Arbeitsplätze und eine an ihre individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten angepasste Beratung und Betreuung durch SozialarbeiterInnen. Sie sind ein Entwicklungsrahmen auf Zeit, sie fördern Kompetenzen und helfen Probleme im persönlichen Umfeld zu lösen, bevor die KlientInnen beim Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt unterstützt werden. Damit haben sie eine bei weitem nachhaltigere Wirkung als andere Förderinstrumente wie die Eingliederungsbeihilfe.

bdv austria ist die bundesweite Interessenvertretung von gemeinnützigen Sozialen Unternehmen im arbeitsmarktpolitischen Bereich. Er vertritt rund 250 Organisationen und Projekte, die langzeitarbeitslose Menschen durch befristete Beschäftigung und individuelle Betreuung wieder in den regulären Arbeitsmarkt integrieren.

bdv austria präsentiert Positionspapier zur Reform der Invaliditätspension

In den vergangenen Monaten hat bdv austria an der Erstellung eines Positionspapiers zur Novellierung der Invaliditätspension gearbeitet. Wir unterstützen zwar den Grundsatz, dass die medizinische und berufliche Rehabilitation Vorrang vor der I-Pension haben soll. Allerdings ist diese Reform keine Lösung für wichtige Probleme des Arbeitsmarktes. Es braucht daher noch ein klares Bekenntnis zu den sozialen und politischen Zielen des Vorhabens, um eine entsprechende Ausgestaltung der Maßnahmen sicherzustellen.

Präambel

bdv austria unterstützt die grundlegenden Ziele der IP-Neu und den Grundsatz, dass die medizinische und berufliche Rehabilitation Vorrang vor der Invaliditätspension haben sollen.

Es handelt sich um ein entscheidendes Reformvorhaben, das – bei entsprechender Umsetzung der begleitenden Maßnahmen – zu einer hohen Erwerbsbeteiligung und der Ermöglichung von existenzsichernder und sinnstiftender Beschäftigung für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen beitragen könnte.

Gleichzeitig ist die Reform der I-Pension keine alleinige Lösung für wichtige Probleme des Arbeitsmarktes.

Es gibt schon seit Jahren ein chronisches Defizit an geeigneten Arbeitsplätzen für gesundheitlich beeinträchtigte Menschen. Zudem gibt es eine steigende Zahl von Menschen, die trotz ausreichender Qualifikation und Motivation von ArbeitgeberInnen weniger akzeptiert werden wie z.B. ältere oder gesundheitlich beeinträchtigte Menschen. Ein ausschließlich aktivierender Ansatz in der aktiven Arbeitsmarktpolitik kann diese Probleme nicht lösen, da viele dieser Menschen nicht mehr in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden können.

Ein Bekenntnis zu den sozialen und politischen Zielen des Reformvorhabens ist dringend nötig, um eine entsprechende Ausgestaltung der Maßnahmen sicherzustellen.

Die Reform der I-Pension muss mehr sein als ein weiterer Baustein der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Sie muss zu einer Verbesserung der finanziellen, sozialen und psychischen Situation der Betroffenen beitragen und ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen – entweder durch existenzsichernde und sinnstiftende Beschäftigung oder durch angemessene Sozialleistungen.

Forderungen des bdv austria

Die Reform der Invaliditätspension muss für gesundheitlich beeinträchtigte Menschen den Zugang zu Sozialleistungen und ihnen – soweit dies gesundheitlich möglich ist – eine existenzsichernde und sinnstiftende Beschäftigung ermöglichen. Die folgenden Vorschläge sind wichtige Bausteine, um dieses Ziel Wirklichkeit werden zu lassen.

1. Existenzsichernde und sinnstiftende Beschäftigung für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen

1.1. Welche Arbeitsplätze werden benötigt?

Von gesundheitlichen Problemen betroffene Menschen sollen einen Anspruch auf hochwertige Beschäftigung in Sozialen Unternehmen mit einer marktüblichen kollektivvertraglichen Bezahlung erhalten. Der öffentliche Dienstleistungssektor könnte als erweiterter Arbeitsmarkt für diese Zielgruppe ausgebaut werden.

Unsere Gesellschaft muss Menschen mit gesundheitlichen Problemen angemessene und menschenwürdige Arbeitsplätze mit marktüblicher Bezahlung anbieten können – in Unternehmen ebenso wie im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen.

1.2. Wie könnten neue Arbeitsplätze für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen geschaffen werden?

Die angespannte Situation am Arbeitsmarkt erschwert die Reintegration von Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen. Die Frage ist, ob genügend Arbeitsplätze für im Rahmen der IP-Neu umgeschulte und rehabilitierte Menschen vorhanden sind. Gleichzeitig sollte die Umschulung von am Arbeitsmarkt völlig chancenlosen Menschen vermieden werden. Ein passendes Anreizsystem, welches die Beschäftigung von gesundheitlich beeinträchtigten und langzeitarbeitslosen Menschen fördert, wäre ein großer Schritt vorwärts. Auch die öffentliche Beschaffung sollte in stärkerem Ausmaß als sozial-, arbeitsmarkt- und umweltpolitisches Instrument wahrgenommen und genutzt werden. (Ein Bonus-Malus-System für ältere Beschäftigte wird durch die Sozialpartner ausgearbeitet und soll in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden.)

Als weitere Maßnahme sollten in Sozialen Unternehmen zahlreiche neue Arbeitsplätze für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen geschaffen werden – besonders für jene, die beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt mehr Betreuung und Unterstützung benötigen oder nur teilleistungsfähig sind. Dabei braucht es vor allem länger andauernde Beschäftigungsmöglichkeiten – sowohl mit flexiblen Übergängen zwischen geförderten und nicht geförderten Beschäftigungsmodellen, als auch zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung, wobei jedoch sichergestellt werden muss, dass mit einer Ausdehnung der Arbeitszeit keine finanziellen Nachteile verbunden sind.

Wir müssen neue Arbeitsplätze für Menschen mit gesundheitlichen Problemen schaffen. Ein Anreizsystem zur Beschäftigung dieser Menschen wäre ein erster Schritt, es braucht aber auch neue Arbeitsplätze in Sozialen Unternehmen – für jene Menschen, die beim Wiedereinstieg mehr Unterstützung benötigen.

1.3. Nur ein ganzheitlicher Ansatz kann zu nachhaltigen Lösungen im Sinne der betroffenen Menschen führen.

Beratungs- und Betreuungseinrichtungen im arbeitsmarktpolitischen Bereich müssen von ihren AuftraggeberInnen in die Lage versetzt werden, flexibel auf die individuelle Situation ihrer KlientInnen eingehen zu können. Das Ziel der Maßnahmen für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen muss die Verbesserung ihrer finanziellen, sozialen und psychischen Situation sein und ihnen ermöglichen, sich im Leben wieder nach vorne zu orientieren. Der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt soll in Folge ein mögliches Ergebnis dieses Prozesses sein. Er darf jedoch nicht das einzige Kriterium für eine erfolgreiche Durchführung der Maßnahme sein.

Die meisten unserer KlientInnen haben vielseitige Probleme beim (Wieder-) Einstieg in den Arbeitsmarkt. Unser Ziel muss daher zuerst die Verbesserung ihrer finanziellen, sozialen und psychischen Situation sein – nach dieser Stabilisierung kann der Wiedereinstieg in Arbeitsmarkt als Ziel gesetzt werden.

1.4. Armutsfallen verhindern und flexible Übergänge zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen

Es muss für eine ausreichende finanzielle Absicherung von jenen Personen gesorgt werden, die trotz erfolgreicher medizinischer und / oder beruflicher Rehabilitation keiner existenzsichernden Beschäftigung mehr nachgehen können. Dies wäre beispielsweise durch angepasste Modelle wie den Kombilohn, die Eingliederungsbeihilfe oder andere Lohnergänzungen möglich.

Vergleichbare Modelle sind auch gefragt, um BezieherInnen von Transferleistungen einen flexiblen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, ohne dadurch finanzielle Einbußen oder den Verlust von sozialrechtlichen Ansprüchen in Kauf nehmen zu müssen. Dies wäre beispielsweise für TeilnehmerInnen niederschwelliger Beschäftigungsprojekte mit stundenweiser Beschäftigung wichtig, um einen langsamen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Auch für BezieherInnen der bedarfsorientierten Mindestsicherung, die mehrere Personen versorgen müssen und am Arbeitsmarkt nicht in der Lage sind, ein vergleichbares Erwerbseinkommen zu erwirtschaften, sind neue Lohnergänzungsmodelle dringend nötig.

Um arbeitslose Menschen optimal beim (Wieder-) Einstieg in den Arbeitsmarkt unterstützen zu können brauchen wir möglichst flexible Übergänge zwischen Arbeitslosigkeit, geförderter Beschäftigung und ungeförderter Beschäftigung. Dafür müssen auch die bestehenden Zuverdienstregeln angepasst werden.

2. Welche Angebote gibt es für Menschen, denen der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nicht gelingt?

2.1. Für ungelernte Beschäftigte braucht es einen verbesserten Zugang zur Invaliditätspension falls eine existenzsichernde Beschäftigung am Arbeitsmarkt nicht mehr möglich ist.

Derzeit haben Personen ohne Berufsschutz – selbst mit erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen – keinen Zugang zur Invaliditätspension, solange sie theoretisch noch die Hälfte des niedrigst denkbaren Vollzeit-Arbeitslohns erwerben können. Für diese Menschen sollte der Zugang zur Invaliditätspension erleichtert werden: Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sind, 80% des niedrigst denkbaren Einkommens oder zumindest ein Einkommen in Höhe der Ausgleichszulage zu verdienen, sollten Anspruch auf Rehabilitation erhalten und damit auch Zugang zur Invaliditätspension, falls eine berufliche Rehabilitation nicht (mehr) sinnvoll erscheint.

Aus unserer Sicht sollten alle Menschen Zugang zur Invaliditätspension erhalten, die aus gesundheitlichen Gründen keiner existenzsichernden Beschäftigung mehr nachgehen können.

2.2. Es braucht dauerhaftere Modelle geförderter Beschäftigung für Menschen, die am Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass vielen gesundheitlich beeinträchtigen Menschen auch nach medizinischen oder beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen kein nachhaltiger Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt gelingen wird. Diesen Menschen müssen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten in einem erweiterten Bereich des Arbeitsmarktes oder ein Zugang zur Invaliditätspension angeboten werden. Soziale Unternehmen erfüllen für arbeitsmarktferne Menschen seit Jahren eine Brückenfunktion in den ersten Arbeitsmarkt. Auch für gesundheitlich beeinträchtigte Menschen, denen der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt (vorerst) nicht gelingt, sollten zahlreiche neue Arbeitsplätze im sogenannten zweiten und dritten Arbeitsmarkt geschaffen werden. Diese Arbeitsplätze sollten sowohl eine längerfristige Beschäftigung, als auch flexible Übergänge zwischen verschiedenen Formen geförderter und nicht geförderter Beschäftigung ermöglichen.

Für Menschen, denen der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nicht gelingt, müssen dauerhaftere Arbeitsplätze in Sozialen Unternehmen geschaffen werden – mit möglichst flexiblen Übergängen zwischen verschiedenen Formen geförderter und nicht geförderter Beschäftigung.

3. Einsparungen durch die IP-Neu für maßgeschneiderte Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote nutzen

3.1. Es braucht ein Aus- & Weiterbildungsgeld für alle betroffenen Menschen.

Beschäftigte mit Berufsschutz erhalten durch die IP-Neu Anspruch auf Umschulungsgeld und eine Umschulung auf ihrem Qualifikationsniveau. Ungelernte Beschäftigte haben nur Anspruch auf medizinische Rehabilitation, obwohl gerade sie enorm von Weiterbildung bei ihrer Reintegration in den Arbeitsmarkt profitieren könnten.

bdv austria fordert die Einführung eines Aus- und Weiterbildungsgeldes für alle Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

3.2. bdv austria fordert eine Bildungsoffensive für Menschen mit geringer formaler Ausbildung.

In den kommenden Jahren werden zahlreiche Arbeitsplätze für Menschen ohne formale Ausbildung ersatzlos verloren gehen. Schon jetzt sind Menschen mit formalen Qualifikationen unterhalb eines Lehrabschlusses deutlich öfter und länger von Arbeitslosigkeit betroffen als andere Bildungsgruppen. Wir setzen uns deshalb für eine Qualifizierungsoffensive für Menschen mit geringen formalen Ausbildungen ein. Die Einsparungen aus der Reform der Invaliditätspension sollten für diese Bildungsoffensive eingesetzt werden.

Ein großer Teil des Lernens findet heute nicht in Bildungseinrichtungen, sondern im natürlichen Lebensumfeld (beispielsweise in der Arbeit, der Freizeit oder im familiären Kontext) statt. Diese Kompetenzen sind bisher jedoch genauso unsichtbar wie nicht abgeschlossene Ausbildungen. Durch die Entwicklung eines systematischen Kompetenzerfassungssystems für die informell und nonformal erworbenen Kompetenzen von bildungsbenachteiligten Personen und dessen Anbindung an den Nationalen Qualifikationsrahmen könnten bestehende Kompetenzen sichtbar gemacht werden. Gerade die in Sozialen Unternehmen täglich gelebte Kombination von Arbeiten und Lernen ist eine Chance für bildungsbenachteiligte Menschen, um Bildungsabschlüsse auf alternativen Wegen zu erreichen, beziehungsweise bestehende Qualifikationen sichtbar zu machen.

bdv austria unterstützt die Pilotierung eines Kompetenzerfassungssystems für nonformal und informell erworbene Qualifikationen. Gleichzeitig müssen Soziale Unternehmen als Lernorte anerkannt werden und ihre personellen und finanziellen Ressourcen entsprechend erweitert werden.

4. Sonstige Forderungen

4.1. Die Neuregelung der Invaliditätspension muss für alle Versicherungssysteme gelten.

Derzeit gilt die Reform der Invaliditätspension nur für unselbständig Beschäftigte (ASVG-Versicherte), während Landwirte, Beamte und Selbständige nicht davon betroffen sind. Anstelle einer Harmonisierung des Systems erfolgt eine weitere Differenzierung, da zum Beispiel selbständig Erwerbstätige weiterhin befristete I-Pensionen beziehen können.

Für alle erwerbstätigen Menschen in Österreich sollten die gleichen Zugangsregeln für die Invaliditätspension gelten.

4.2. Es braucht eine neue von Respekt und Rücksichtnahme geprägte Form der Zusammenarbeit des AMS mit seinen KundInnen.

Die Zuweisung zu Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation und Reintegration muss an die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Menschen angepasst werden und deren Wünsche berücksichtigen. Sie muss freiwillig und mit Zustimmung der betroffenen Menschen passieren, um bestmögliche Ergebnisse zu ermöglichen. Ebenso sollte die Verfügbarkeit von freien Plätzen nicht als maßgebliches Kriterium für die Zuweisung herangezogen werden.

Die Zuweisung zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen muss in Zukunft auf Freiwilligkeit beruhen und die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der betroffenen Menschen stärker berücksichtigen. Nur so können sozialökonomische Betriebe und gemeinnützige Beschäftigungsprojekte ihre volle Wirksamkeit entfalten.

 

BEIGEWUM startet Initiative „Erbschaften besteuern“

Der Beirat für gesellschafts- wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM) hat eine Initiative zur Wiedereinführung der Erbschaftssteuer in Österreich gestartet: Die Einführung einer Erbschaftssteuer ist ökonomisch sinnvoll und sozial gerecht! Unterstützen auch Sie die Initiative auf www.erbschaften-besteuern.at

Erbschaften sind in Österreich äußerst konzentriert: Wenige Menschen empfangen sehr große Hinterlassenschaften und werden damit ohne zu arbeiten reich. Seit der Abschaffung der Erbschaftssteuer im Jahr 2008 ist das niedrige Aufkommen aus vermögensbezogenen Steuern noch weiter gesunken.

Die Wiedereinführung einer Abgabe auf Erbschaften ist Voraussetzung für Gerechtigkeit, denn die soziale Herkunft darf nicht über die Zukunft der Menschen entscheiden. Wir brauchen die Erbschaftssteuer zum notwendigen Ausbau sozialer Dienstleistungen, um allen Kindern gute Bildungschancen zu geben und ein Altern in Würde für Alle zu ermöglichen.

Wir fordern deshalb die neue Bundesregierung auf, so rasch wie möglich eine Steuer auf Erbschaften und Schenkungen einzuführen: www.erbschaften-besteuern.at

 

Sozialwirtschaft als Alternativwirtschaft?

Dieser Artikel wurde im von der Armutskonferenz herausgegebenen Buch „Was allen gehört. Commons – Neue Perspektiven in der Armutsbekämpfung“ veröffentlicht. Das Buch kann bei der Armutskonferenz bestellt werden und ist auch als Download verfügbar. Alle Details finden Sie auf der Website der Armutskonferenz.

In diesem Beitrag sollen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Konzept der Solidarischen Ökonomie und der Landschaft Sozialer Unternehmen in Österreich untersucht werden. Dabei möchten wir im Besonderen auf gemeinnützige Soziale Unternehmen aus dem arbeitsmarktpolitischen Bereich eingehen – auf sozialökonomische Betriebe und gemeinnützige Beschäftigungsprojekte. Diese Organisationen sind nicht profitorientiert und beschäftigen arbeitsmarktferne Menschen, um sie mit Hilfe einer zeitlich befristeten Beschäftigung und sozialarbeiterischer Betreuung langsam wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Das Ziel einer sogenannten Transitbeschäftigung in diesen Unternehmen ist die Vermittlung zu einem Arbeitsplatz im regulären Arbeitsmarkt.

Solidarische Ökonomie und Social Business als alternative Wirtschaftsformen

Sowohl Solidarische Ökonomie als auch Social Business und Soziale Unternehmen werden – jeweils von sehr unterschiedlichen Akteur_innen – als alternative und zukunftsorientierte Formen des Wirtschaftens in einer kapitalistischen Ökonomie gesehen. Oft werden diese Begriffe aber auch verquickt, jeweils vereinnahmt und sind anfällig für Konflikte im Inneren sowie für Vereinnahmungsversuchen von Außen. (vgl. Exner / Kratzwald 2012: 9)

Der rund um Social Entrepreneurship und Soziale Unternehmen geführte Diskurs ist dabei oft sehr unpolitisch und beschränkt sich auf die Lösung sozialer Probleme durch das unternehmerische Denken und Handeln von außergewöhnlichen Unternehmer_innenpersönlichkeiten. „Every single problem can be converted to a social business“ meint Muhammad Yunus und definiert Soziale Unternehmen ohne weitere Einschränkungen als „non-loss, non-dividend company that is created to address and solve a social problem“. Überspitzt zusammengefasst gäbe es für jedes Problem ein passendes Geschäftsmodell, welches nur durch innovative Unternehmer_innen entdeckt und entwickelt werden müsste. So verleitend einfach dieses Modell klingt, so gefährlich kann es werden, wenn der Staat aus seiner gesellschafts- und sozialpolitischen Verantwortung entlassen und die strukturellen Ursachen für Ungerechtigkeit und soziale Probleme ignoriert werden. Habisch hat unserer Ansicht nach völlig recht: „Gesellschaftliche UnternehmerInnen können und wollen (und sollen Anm. d. A.) (sozial-)staatliches Handeln nicht breitflächig ersetzen. (…) Es ist der Sozialstaat, der die innovativen Impulse gesellschaftlichen Unternehmertums institutionalisieren und mithin ‚auf Dauerbetrieb’ umstellen kann.“ (Habisch 2011: 58)

In den Diskussionen rund um das Thema Solidarische Ökonomie tritt Gemeinschaft, freiwillige Kooperation und Solidarität an die Stelle der für Social Entrepreneurship oft prägenden Unternehmer_in. Sven Giegold definiert die Solidarische Ökonomie als „Formen des Wirtschaftens, die menschliche Bedürfnisse auf Basis freiwilliger Kooperation, Selbstorganisation und gegenseitiger Hilfe befriedigen. Das Prinzip der Solidarität steht dabei im Gegensatz zur Orientierung an Konkurrenz, falsch verstandener, da unsolidarischer Eigenverantwortung und Gewinnmaximierung in kapitalistischen Marktwirtschaften.“ (Giegold 2012: 266) In den oft stark lokal verwurzelten solidarökonomischen Unternehmen geht es also vor allem um die Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen und nicht um den erwirtschafteten Gewinn. Das Motiv und Ziel ihres Wirtschaftens ist zum Beispiel die Schaffung von Wohnraum, Produkten oder Arbeitsplätzen. Anstelle des Kapitals steht die Arbeit und Entwicklung der Menschen im Zentrum der Unternehmen, wobei gemeinschaftlich und demokratisch über die Nutzung von Ressourcen und Produktionsmitteln entschieden wird. (vgl. Voß 2010: 11-19)

Die von uns zusammenfassend und vereinfachend als Soziale Unternehmen bezeichneten sozialökonomischen Betriebe, gemeinnützigen Beschäftigungsprojekte oder gemeinnützigen Beratungs- und Betreuungseinrichtungen im arbeitsmarktpolitischen Bereich erfüllen natürlich nicht die wichtigsten Eigenschaften um als Teil der Solidarischen Ökonomie bezeichnet zu werden: ihnen mangelt es vor allem an einer demokratischen Unternehmensform, in der alle Beschäftigten auf Basis von freiwilliger Kooperation und Solidarität zusammenarbeiten. Gleichzeitig passen sie aber auch nicht uneingeschränkt in die neue und „strahlende“ Welt rund um Corporate Social Responsibility (CSR) und Social Entrepreneurship, die uneingeschränkt auf die Problemlösungskraft von Unternehmen vertrauen. Sie stehen aus unserer Sicht zwischen diesen beiden Welten und könnten sich in Zukunft zu einem wichtigen Teil von alternativen und solidarischen Unternehmen in Österreich weiterentwickeln: sozialökonomische Betriebe und gemeinnützige Beschäftigungsprojekte sind bereits jetzt gemeinnützige Unternehmen, die nicht nach höchstmöglichen Profiten streben, sondern versuchen langzeitarbeitslose und benachteiligte Menschen beim (Wieder-) Einstieg in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu unterstützen. Trotzdem sind sie in Österreich aber immer noch hierarchisch geführte Unternehmen, während vergleichbare Betriebe in Italien oder Belgien großteils als Genossenschaften organisiert sind. Die Groupe Terre in Belgien funktioniert beispielsweise als gemeinnütziges und basisdemokratisch geführtes Unternehmen mit rund 300 dauerhaft beschäftigten Menschen. Alle Mitarbeiter_innen, die länger als ein Jahr für Terre arbeiten haben in der Generalversammlung jeweils eine Stimme und entscheiden so über den Ankauf von Produktionsmitteln, die zukünftige Entwicklung des Unternehmens und auch über das Gehalt der leitenden Angestellten.

Bei bestehenden Sozialen Unternehmen ist auch die Freiwilligkeit bei der zeitlich befristeten Beschäftigung von Transitmitarbeiter_innen nicht gesichert: laut den aktuellen Förderrichtlinien werden Transitmitarbeiter_innen den Sozialen Unternehmen durch das AMS zugewiesen und die Weigerung eine Stelle als Transitmitarbeiter_in anzunehmen kann zu einer Sperre des Arbeitslosengeldes führen. Die Transitbeschäftigung in einem Sozialen Unternehmen ist daher – wie oft von manchen Arbeitsloseninitiativen betont – im Grunde eine „Zwangsmaßnahme“.

Trotz dieser Feststellung glauben wir daran, dass Soziale Unternehmen eine Unternehmensform der Gegenwart und Zukunft sind und Potenzial haben, sich weiter an die Ideale der Solidarischen Ökonomie anzunähern: sie sind bereits jetzt Unternehmen, die in einem durch Wettbewerb, Druck und Konkurrenz geprägten Arbeitsmarkt einen Unterschied ausmachen: für viele befristet beschäftigte Transitmitarbeiter_innen, die oft zum ersten Mal in ihrem Erwerbsleben Wertschätzung, Menschlichkeit und Anerkennung erfahren, aber auch in ihrem Anspruch wirtschaftlich zu sein und ihrem Bemühen darum, ihren sozialen Integrationsauftrag durch qualitätsvolle und existenzsichernde Beschäftigung sowie durch Beratung und Bildung zu erfüllen.

Soziale (Integrations-) Unternehmen und Perspektiven zur Weiterentwicklung

Andreas Exner und Brigitte Kratzwald ist zuzustimmen, wenn sie feststellen, dass die „sozialökonomischen Betriebe in Österreich (…) eher das Gegenteil einer Alternative zum Kapitalismus“ sind. (Exner / Kratzwald 2012: 9) Sie sind entstanden um vom kapitalistischen Arbeitsmarkt ausgegrenzte Menschen aufzufangen und durch auf maximal ein Jahr befristete Beschäftigung in einem geschützten Rahmen wieder auf den regulären Arbeitsmarkt vorzubereiten. Sie bieten daher keine dauerhafte Alternative zur Erwerbsarbeit in einem durch den Kapitalismus geprägten Arbeitsmarkt. Trotzdem sind diese gemeinnützigen Unternehmen aber durch einige Elemente geprägt, die eigentlich für die Solidarische Ökonomie kennzeichnend sind:

Das Entstehen von Solidarischen Ökonomien ist oft eng mit Fehlentwicklungen in Markt und Staat verknüpft. Organisationen im Bereich der solidarischen Ökonomie entstehen „in der Regel aus der Kritik am vorhandenen Angebot des Staates oder des Marktes“ und versuchen „jene Blindstellen zu bedienen, die weder von profitorientierten Unternehmen noch von staatlichen Stellen und auch nicht über die informelle Eigenarbeit befriedigend abgedeckt werden können.“ (Anastasiadis o.J.: 1) Die Sozialwirtschaft beziehungsweise im Speziellen die gemeinnützigen Sozialen (Integrations-) Unternehmen in Österreich positionieren sich genau in diesem Bereich zwischen Staat, Markt und Eigenarbeit. Viele von ihnen entstanden ursprünglich aus Selbsthilfegruppen oder aus den Initiativen engagierter Sozialarbeiter_innen im arbeitsmarktpolitischen Bereich, die sich während der Krise in den 1970er und 1980er Jahre mit einer steigenden Arbeitslosigkeit (und damit einem Versagen von Staat und Markt) konfrontiert sahen. Die sogenannte experimentelle Arbeitsmarktpolitik und die Aktion 8000 unter Sozialminister Alfred Dallinger förderte nicht nur das Entstehen dieser Initiativen sondern sicherte auch ihr dauerhaft Bestehen und gilt als einer der wichtigsten Faktoren für die Entwicklung jener Betriebe und Organisationen, die heute als sozialökonomische Betriebe und gemeinnützige Beschäftigungsprojekte bekannt sind.

Soziale Organisationen arbeiten sehr oft mit und für Menschen, die selbst keine Lobby haben, ihre Anliegen und Forderungen kaum lautstark und vor relevanten Entscheidungsträger_innen formulieren können und ihnen zustehende Rechtsansprüche alleine nur unzureichend durchsetzen können. Sie sehen sich daher oft nicht nur als Dienstleister, sondern auch als Unterstützer_innen und Vertreter_innen der bei Ihnen beschäftigten Transitmitarbeiter_innen. Der Kostendruck durch staatliche Auftraggeber_innen stellt jedoch eine erhebliche Gefahr dar: „Die Decke zwischen wirtschaftlichem und sozialem Handeln ist hauchdünn (…). Langfristig betrachtet gefährdet eine Strategie öffentlicher Beauftragung, die alleinig auf den Preis und nicht auf die Qualität ihre Aufmerksamkeit lenkt das innovative und gesellschaftsgestaltende Element“ (vgl. Anastasiadis o.J.: 8) dieser Organisationen. Gerade diese „Anwaltschaft“ und das Eintreten für bestimmte Personen und Personengruppen in politischen Prozessen ist es aber, das unserer Meinung nach tatsächlich und langfristig „soziale Probleme an der Wurzel lösen kann“, weil Fragen von Verteilung gestellt und Machtverhältnisse verändert werden.

Gerade angesichts dieser Advocacyfunktion ist die fehlende Teilhabe und Mitbestimmung der Mitarbeiter_innen ein berechtigter Kritikpunkt an Sozialen Unternehmen. Wir sehen daher die Rechtsform der Genossenschaften als interessantes und wirksames Vorbild für die künftige Weiterentwicklung der Sozialen Unternehmen: sie würde nicht nur die Partizipation und Mitbestimmung der Mitarbeiter_innen garantieren, sondern auch Solidarität innerhalb des Unternehmens sicherstellen.

Analog dazu sollte in Zukunft anstelle des Zwangs im Zugang zu einer Transitbeschäftigung die Freiwilligkeit treten: die Transitbeschäftigung in sozialökonomischen Betrieben und gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten ist laut den aktuellen Förderrichtlinien nur nach einer Zuweisung durch das AMS möglich – bei einer Ablehnung einer zugewiesenen Stelle drohen Sanktionen wie der Entzug des Arbeitslosengeldes. Unter diesem Zwangscharakter leiden nicht nur jene Transitmitarbeiter_innen, die unfreiwillig beschäftigt werden, sondern auch das eigentliche Ziel der Sozialen Unternehmen: die Reintegration ihrer Beschäftigten in den Arbeitsmarkt, da der Zwang im Gegensatz zur Förderung und Unterstützung der Transitmitarbeiter_innen in einem geschützten Bereich des Arbeitsmarktes steht.

Wünschenswert wäre aus unserer Sicht auch der Ausbau der Schnittstellenfunktion der Transitbeschäftigung in sozialintegrativen Unternehmen als Verbindung zwischen dem regulären Arbeitsmarkt sowie einem auf dauerhaftere Beschäftigung ausgelegten Übergangsarbeitsmarkt für Menschen, die am regulären Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen können. In Österreich ist dieser Übergangsarbeitsmarkt vergleichsweise stark ausgebaut, es existiert jedoch nur eine kleine Zahl an dauerhafteren Arbeitsplätzen. Gemeinsam mit der einseitigen Zielsetzung für sozialintegrative Unternehmen (Integration in den ersten Arbeitsmarkt) führt dies für die betroffenen Personen oft zu einem endlosen Kreislauf und der wiederholten Transitbeschäftigung ohne realistischer Chancen auf eine dauerhafte Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt. (vgl. Dimmel 2000: 95) Dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten wären der erste Schritt, um (Transit-) Mitarbeiter_innen auch in Bezug auf Beteiligung und Teilhabe anders in die Unternehmen zu integrieren als bisher.

Neben dem Drehen an kleinen Schrauben – wohin könnte die Reise für Soziale Unternehmen gehen? Welche ersten Schritte hin zu einer solidarökonomischen und commonsbasierten Produktionsweise könnten Soziale Unternehmen gehen? Exner und Kratzwald unterscheiden commonsbasierte Produktionsweisen und Entscheidungsstrukturen auf jeweils unterschiedlichen Organisationsniveaus. (vgl. Exner / Kratzwald 2012: 92)

Einerseits gibt es die schon erwähnte Organisationsform der Genossenschaft oder Kooperative, die auf sozialer Gleichheit der Mitglieder und freiwilliger Kooperation basiert. Ziel ist nicht die Kapitalverwertung sondern die Förderung der Mitglieder, es herrscht das Identitätsprinzip (Käufer_in und Verkäufer_in, Mieter_in und Vermieter_in etc. fallen in einer Rolle zusammen) und außerdem das Demokratieprinzip. Exner und Kratzwald betonen aber, dass Genossenschaften, solange sie in die Marktwirtschaft eingebunden sind, keine Solidarische Ökonomie bilden, sondern lediglich ein entscheidender Schritt in Richtung einer Solidarischen Postwachstumsökonomie sein könnten beziehungsweise für eine Solidarische Ökonomie förderlich sein können, wenn sich Kooperativen in sozialen Kämpfen mit dem Ziel der Aneignung von Ressourcen verorten. (vgl. Exner / Kratzwald 2012: 95)

Einige internationale Beispiele von Kooperativen gehen in Bezug auf die Prinzipien des Commoning und der Solidarischen Ökonomie weiter: So beispielsweise das Netzwerk der Kooperativen in Venezuela CECOSESOLA, die das Profitprinzip gänzlich ablehnt, über kein Management verfügt und wo es den Mitgliedern wesentlich um die Herausbildung neuer sozialer Beziehungen gegen die Muster der patriarchalen und von Machthierarchie geprägten Gesellschaft geht. Die Mondragón Corporación Cooperativa im Baskenland ist ein anderes Beispiel, zu dem es aber auch viele kritische Stimmen und Untersuchungen gab, was beispielsweise die Rolle des Managements oder auch die Diskriminierung von Frauen betrifft. Ein anderes Beispiel ist die jüdische Kibbutz-Bewegung, die vor allem im urbanen Raum wieder stärkeren Zulauf erfährt. (vgl. Exner / Kratzwald 2012: 101 – 104)

Ein Patentrezept für das Commoning im Bereich der (Solidarischen) Ökonomie gibt es vermutlich nicht. Exner und Kratzwald folgern in ihrem Buch dass „Veränderung nur gelingen kann, wenn praktische Lösungen für die Bewältigung der Widersprüche zwischen Kooperation und Konkurrenz, konstituierender und konstituierter Macht, zwischen Commons und Kapital gefunden werden.“ (Exner / Kratzwald 2012: 124 – 125) Entscheidend für eine gelungene Lösung jenseits von Markt und Staat ist weniger die jeweilige Organisationsform, als vielmehr die Perspektive der Beteiligten und das Verhältnis zum bestehenden System, die als Grundlage dienen können um Tätigkeiten des Commoning im wirtschaftlichen Leben und in der konkreten Arbeitsumgebung zu identifizieren, zu stärken und weiterzuentwickeln. Die Grundfrage ist also die, ob eine Unternehmensalternative die jeweilige Autonomie der Beteiligten erhöht und ihnen neue Verwirklichungschancen jenseits von Markt und Staat zur Verfügung stellt. Es geht daher immer auch um (übergreifende) soziale Kämpfe und Aushandlungsprozesse.

Soziale Unternehmen der Sozialwirtschaft haben unserer Meinung nach ein großes Potential diese Prinzipien zu entdecken, zu erlernen und umzusetzen, weil sie bereits jetzt einige wesentliche entscheidende Unterschiede zu herkömmlichen, konkurrenz- und profitorientierten Unternehmen aufweisen und nicht zuletzt auch deshalb, weil die Frage nach sozialen Kämpfen und Fragen von Verteilungsgerechtigkeit zumindest in der Gründungsidee vieler Sozialer Unternehmen eine sehr zentrale Rolle gespielt hat und weiterhin spielt.

Literatur

  • Anastasiadis, Maria (o.J.): Solidarische Ökonomie. Bestandsaufnahme und Perspektiven in Österreich. (abgerufen am 26. Mai 2013)
  • Birkhölzer, Karl (2006): Soziale Unternehmen: Ausweg aus Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung? In: Altvater, Elmar / Sekler, Nicola (Hg.): Solidarische Ökonomie. Reader des Wissenschaftlichen Beirats von Attac. Hamburg.
  • Dimmel, Nikolaus (2000): Gemeinnützige Zwangsarbeit? Arbeitsmarktintegration zwischen Arbeitspflicht und innovativen Beschäftigungsmaßnahmen. Wien.
  • Edwards, Michael (2008): Small Change. Why Business won´t save the world. San Francisco.
  • Exner, Andreas / Kratzwald, Brigitte (2012): Solidarische Ökonomie & Commons. Wien.
  • Giegold, Sven (2012): Solidarische Ökonomie. In: Brand, Ulrich / Lösch, Bettina / Opratko, Benjamin / Thimmel, Stefan (Hg.): ABC der Alternativen 2.0. Hamburg.
  • Habisch, André (2011): Gesellschaftliches Unternehmertum – Blinder Fleck wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Gemeinwohltheorien. In: Hackenberg, Helga / Empter, Stefan (Hg.): Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen. Wiesbaden. 49-66.
  • Ostrom, Elinor (2011): Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom Gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter. München.
  • Pühringer, Judith / Philipp Hammer (2013): Soziale Unternehmen und die Ökonomie der Aufmerksamkeit. In: Kurswechsel 2/2013.
  • Voß, Elisabeth (2010): Wegweiser Solidarische Ökonomie. Anders Wirtschaften ist möglich! Neu-Ulm.

Allianz Wege aus der Krise: Budgetpolitik demokratisieren – In die Zukunft investieren

Egal wer in den nächsten 5 Jahren regiert – Österreich benötigt umfassende Reformen. Die Allianz „Wege aus der Krise“ präsentiert daher ein Programm für die Legislaturperiode 2013 – 2018. Dieses Zukunftsbudget sorgt für mehr Steuergerechtigkeit, eine gerechtere Verteilung von Arbeit, den Ausbau und die Verbesserung öffentlicher Dienstleistungen und mehr Chancengleichheit für Frauen, es verringert Armut, trägt zur Ökologisierung der Wirtschaft bei und reduziert das Budgetdefizit.

Die Budgetpolitik muss umfassend demokratisiert werden, so die gemeinsame Forderung zahlreicher NGOs und Gewerkschaften. Für BürgerInnen muss nachvollziehbar und verständlich sein, wofür und wie ihre Steuergelder ausgegeben werden. Ein Informationsfreiheitsgesetz soll die Offenlegung der Budgetdaten garantieren. Zudem müssen zivilgesellschaftliche Organisationen etwa bei Hearings des Budgetausschusses des Parlaments oder bei der Steuerreform eingebunden werden.

Das Zukunftsbudget von „Wege aus der Krise“ sorgt für mehr Steuergerechtigkeit, eine gerechtere Verteilung von Arbeit, den Ausbau und die Verbesserung öffentlicher Dienstleistungen und mehr Chancengleichheit für Frauen, es verringert Armut, trägt zur Ökologisierung der Wirtschaft bei und reduziert das Budgetdefizit. Zukunftsinvestitionen in Höhe von 6,6 Milliarden Euro, einer steuerlichen Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen (1,8 Milliarden Euro) und einer Reduktion des Defizits (1,5 Milliarden Euro) steht eine sozial-ökologische Steuerreform im Ausmaß von knapp 10 Milliarden Euro gegenüber.* Damit werden mehr als 150.000 gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen und die Lebensqualität der Menschen in vielen Bereichen verbessert:

ArbeitnehmerInnen entlasten statt Vermögenskonzentration

Bis 2018 muss die Steuerlast in Österreich endlich gerechter verteilt sein: In einem ersten Schritt werden untere und mittlere Einkommen durch einen Absetzbetrag bis 3.400 Euro entlastet. Zugleich leisten große Vermögen durch eine Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuer einen gerechten Beitrag zu den Staatsausgaben. Die Einschränkung von Überstunden und eine Arbeitszeitverkürzung – mittelfristig auf 35 Wochenstunden – bei vollem Lohnausgleich entlasten die Menschen, schaffen mehr als 100.000 Arbeitsplätze und verteilen Arbeit somit gerechter.

Bildung für alle statt Bildungsmisere

Bis 2018 müssen endlich umfassende Investitionen und Reformen im Bildungssektor erfolgen: Knapp zwei Milliarden Euro werden in den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen, in die bessere Bezahlung des pädagogischen Personals und in die Hochschulen investiert.

Leistbares Wohnen für alle statt Kostenexplosion

Bis 2018 muss das Grundrecht auf Wohnen für alle erfüllt und Wohnen wieder leistbar sein: Die Wohnbauförderung wird inklusive der Rückflüsse wieder zweckgewidmet und vorrangig für geförderte Mietwohnungen in Ballungszentren ausgegeben. Das Mietrechtsgesetz und das Richtwertsystem werden auf den freien Markt ausgeweitet. Geförderte Mietwohnungen werden verpflichtend an armutsgefährdete oder in manifester Armut lebende Menschen vergeben.

Sanfte Mobilität und saubere Energie für alle statt Klimawandel

Bis 2018 muss Österreich einen fairen Beitrag zum Klimaschutz leisten: Österreich hat seine Kyoto-Ziele verfehlt und wird dafür rund 600 Millionen Euro Strafe zahlen – so ein Debakel darf sich nicht wiederholen. Die thermische Sanierungsrate wird dafür auf drei Prozent gehoben und bestehende Gebäude möglichst auf Niedrigenergiestandard saniert. 200 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. 350 Millionen Euro gehen in den Ausbau von Regionalbahnen, die Einführung eines Ein-Stunden-Taktes beim Eisenbahnverkehr und die Verdichtung des gesamten Netzes. Das sind wichtige Schritte für eine Mobilitätsoffensive, die eine echte Alternative zum Individualverkehr schafft. Zusätzlich soll eine aufkommensneutrale öko-soziale Steuerreform Anreize zum sparsamen Umgang mit Energie und zum Umstieg auf erneuerbare Energie setzen.

Qualitative Pflege für alle statt Pflegenotstand

Bis 2018 muss qualitative Pflege für alle leistbar sein: Rund eine Milliarde Euro wird in den Ausbau von mobiler Pflege und Pflegediensten, in die Erhöhung des Pflegegeldes, eine Qualifizierungsoffensive und höhere Gehälter in öffentlich finanzierten Pflegeeinrichtungen investiert.

Chancengleichheit für Frauen statt Diskriminierung

Bis 2018 muss die Chancengleichheit für Frauen substantiell verbessert sein: Sie profitieren insbesondere von der steuerliche Entlastung unterer Einkommen, Investitionen in Kinderbetreuung, Ganztagsschulen und öffentlichen Verkehr und von leistbarem Wohnen. Ein Genderbeirat im Budgetausschuss des Parlaments soll das Budget in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit prüfen und laufend Reformvorschläge erarbeiten.

Das Zukunftsbudget beinhaltet zudem konkrete Maßnahmen für eine verbesserte Armutsprävention und -bekämpfung (700 Millionen Euro), eine menschenwürdigere Asyl- und Integrationspolitik (90 Millionen Euro) und eine solidarischere Entwicklungszusammenarbeit (72 Millionen Euro).

Weitere Informationen

Tabellen für die Einnahmen und Ausgabenseite finden Sie in der Kurzversion des Budgets. Die Langversion mit allen Details ist hier zu finden. Die Allianz Wege aus der Krise ist ein Zusammenschluss von elf Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen: Attac, Die Armutskonferenz, GdG-KMSfB, GLOBAL 2000, GPA-djp, Greenpeace, KABÖ, ÖH, PROGE, SOS Mitmensch, vida. Das Zivilgesellschaftliche Zukunftsbudget wurde von der Allianz in Zusammenarbeit mit der AG Globale Verantwortung, der Gewerkschaft Bau-Holz, dem Neunerhaus und der Plattform 20.000 Frauen erarbeitet.

bdv austria unterstützt Initiative „Europa geht anders“

Verhindern wir die ‚Troika für Alle‘ – Nein zum Wettbewerbspakt

Der Countdown läuft. Der Europäische Rat plant Ende Juni 2013 einen Beschluss über einen Pakt für „Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz“. Damit soll die Krisenpolitik der Europäischen Union in Griechenland, Spanien oder Portugal auf ganz Europa ausgedehnt werden. Die Politik der Europäischen Union ist erfolglos, sie führt zu Massenarbeitslosigkeit und steigenden Schulden. Statt das neoliberale Rezept zu ändern, wird die Dosis erhöht. Der sogenannte „Wettbewerbspakt“ ist nichts anderes als ein Pakt für Lohndumping, Sozialabbau und Privatisierung.

Troika für Alle. Alle Mitgliedsstaaten sollen verpflichtet werden, „Strukturreformen“ umzusetzen. Die desaströse Kürzungspolitik, wie sie in Griechenland, Spanien oder Portugal verordnet wurde, zeigt, was unter „Strukturreformen“ zu verstehen ist: Einschränkung sozialer Leistungen wie Pensionskürzungen, Zerschlagung der Branchenkollektivverträge und Privatisierung von Wasser, Bildung, Energieversorgung.

Europa geht anders. Wir lehnen diesen Plan der EU-Kommission entschieden ab. Wir fordern alle Menschen, die ein anderes Europa wollen, auf, Druck auf ihre Regierungen und Parlamente auszuüben, damit möglichst viele Regierungschefs beim kommenden Europäischen Rat dem Wettbewerbspakt eine Absage erteilen.

Es braucht eine Kehrtwende hin zu einem demokratischen, sozialen und ökologischen Europa der Vielen!

bdv austria ist seiner Geschäftsführerin Judith Pühringer einer der ErstunterzeichnerInnen der Initiative „Europa geht anders“. Unterstützen auch Sie den Aufruf!

Für eine sozialwirtschaftliche Altkleidersammlung

In der Vergangenheit wurden gebrauchte Textilien und Schuhe in Österreich traditionell von gemeinnützigen und karitativen Organisationen gesammelt und beispielsweise bedürftigen Personen in Österreich oder europäischen Krisenregionen zur Verfügung gestellt. Heute hat dieser Aspekt der Altkleidersammlung stark an Bedeutung verloren. Die Sammlung von Altkleidern ist mittlerweile – ähnlich wie jene von LKW-Planen – für manche der sammelnden Organisationen zu einem richtigen Geschäftszweig geworden: Altkleider sind kein Abfallprodukt, sondern werden in großen Mengen weltweit gehandelt. Auf dem Weltmarkt für Altkleider ist in den letzten Jahren die Nachfrage und der Preis für gebrauchte Kleidung stark gestiegen, weshalb neben den bestehenden gemeinnützigen Sammlern auch immer mehr profitorientierte Organisationen Sammelcontainer aufstellen und Modeketten Altkleider zurücknehmen.

Viele der in Österreich Altkleider sammelnden Organisationen sind gemeinnützig und finanzieren mithilfe der Sammlung von Altkleidern ihre sozialen und arbeitsmarktpolitischen Projekte. In vielen sozialen Integrationsunternehmen werden die Alttextilien nicht nur gesammelt, sondern auch arbeitsintensiv sortiert, verarbeitet und die besten Stücke kostengünstig in ReUse-Shops zum Verkauf angeboten, bevor der Rest am Weltmarkt verkauft wird. Mit diesen Tätigkeiten und den daraus erwirtschafteten Erlösen schaffen beziehungsweise erhalten sie Arbeitsplätze in der Region – Arbeitsplätze auf denen langzeitarbeitslose Menschen beim (Wieder-) Einstieg in den Arbeitsmarkt unterstützt werden. Diese Arbeitsplätze sind zunehmends bedroht, da die gemeinnützigen Organisationen teilweise deutliche Rückgänge bei der Menge der gesammelten Altkleider zu verzeichnen haben. Ein vor wenigen Tagen in den Salzburger Nachrichten erschienener Artikel beschreibt dieses Thema am Beispiel zweier Salzburger sozialökonomischer Betriebe, ein weiterer Artikel in der Kleinen Zeitung am Beispiel von Contrapunkt aus Kärnten – das zugrundeliegende Problem ist aber österreichweit vorhanden.

Die Interessenvertretung RepaNet versucht derzeit verstärkt auf diese Zusammenhänge aufmerksam zu machen und die im Bereich der Alttextiliensammlung tätigen Sozialen Unternehmen stärker zu vernetzen. Wenn Sie ebenfalls daran teilnehmen wollen wenden Sie sich bitte an uns. Eine Kooperation zwischen Gemeinden und Altkleider sammenden Sozialen Unternehmen wäre sozial, ökologisch und wirtschaftlich wünschenswert – um bedürftige Personen zu unterstützen, Arbeitsplätze und Wertschöpfung in der Region zu erhalten und durch verkürzte Transportwege sowie die Vermeidung von Abfällen die Umwelt zu schonen. Ende Juni wird in Graz auch eine Tagung zu diesem Thema stattfinden.