„Herausforderung angenommen“: Das war die Mitarbeiter*innentagung 2018!

„Wir spüren es alle: Nach dem Rückenwind der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, blicken die Sozialen Unternehmen nun raueren Zeiten entgegen. Doch egal, woher der Wind weht: Gute Seglerinnen und Segler bringen das Schiff immer vorwärts“, sagt arbeit plus-Vorstandsvorsitzende Manuela Vollmann in ihren Eröffnungsworten und streut den rund 110 Teilnehmer*innen der arbeit plus -Tagung 2018 Rosen: „Ein Grund für unsere Zuversicht sind Sie, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialen Unternehmen.“

Manuela Vollmann: „Brauchen uns nicht zu verstecken.“

Vollmann ist überzeugt: „Ich denke, Sie und wir brauchen uns nicht zu verstecken. Wenn wir weiterhin bei dem bleiben, was wir können, authentisch sind und gut unseren Job machen, sind wir für die kommende Reise gut gerüstet.“ Bündnispartner*innen sowie Kooperationen, auch mit der Wirtschaft, würden dabei künftig eine noch größere Rolle spielen.

Rund 110 Mitarbeiter*innen Sozialer Unternehmen waren bei der Tagung dabei.

Die Tagung findet vom 26. bis 27. Februar in St. Pölten statt und richtet sich an alle Personalentwickler*innen, Arbeitsanleiter*innen, Berater*innen, Trainer*innen, kurz: alle Schlüsselkräfte der Sozialen Unternehmen in Österreich. Veranstaltet wird sie von den Beschäftigungsbetriebe Steiermark (BBS)  und arbeit plus Niederösterreich in Zusammenarbeit mit arbeit plus Österreich. Zwei Halbtage lang setzen sich die Teilnehmer*innen unter der professionellen Moderation von Silvia Wolf (Jugend am Werk Steiermark) intensiv mit zentralen Themen wie Digitalisierung, den Spannungsfeldern in der Vermittlungsarbeit sowie den Schwierigkeiten und Erfolgen in ihrem herausfordernden Berufsalltag auseinander.

Digitalisierung als Chance

Irene Kribernegg: „Digitalisierung als Chance“

„Digitalisierung bringt viele Herausforderungen, aber auch viele Chancen“, betont Irene Kribernegg (ILWIS Relations & Recruiting) in ihrem spannenden Fachvortrag zu möglichen Bewerbungsstrategien im Netz. Schlüsselarbeitskräfte in Sozialen Unternehmen seien hier mit einem „digitalen Spagat“ konfrontiert, da sie oft mit Menschen arbeiten, die kaum Berührungspunkte mit dem Internet und mobilen Endgeräten haben: „Die Frage ist, stecken wir den Kopf in den Sand, oder gehen wir auf Angriff?!“.

Silvia Wolf führte engagiert durchs Programm.

Weil Unternehmen beim Recruiting zunehmend auf das Internet setzen, rät Kribernegg den Personalentwicker*innen  Outplacer*innen, dafür zu sorgen „dass ihre Klient*innen im Netz gefunden werden“, etwa, indem sie auf digitalen Recruitingsplattformen wie Hokify und Sozialen & Business Network Plattformen wie Facebook oder Xing präsent seien. Auch eine eigene, individuelle Bewerbungwebsite könne im Einzelfall für Auffindbarkeit sorgen, wie Kribernegg mit anschaulichen Beispielen demonstriert. Weitere Tipps der Expertin: „Unterschätzen Sie die regionalen Jobbörsen, wie etwa www.steirerjobs.at oder www.jobwein.at – fürs Weinviertel – nicht. Seien Sie aber auch mutig und ,anders:´ Ein authentisches Bewerbungsvideo kann auf emotionale Weise Türen aufstoßen.“

Angst vor dem Computer nehmen

Die „Pinnwandrunden“ regten zum Nachdenken an.

Im Rahmen der späteren „Pinnwand-Runde“, in der die Tagungsteilnehmer*innen zu bestimmten Themen ihre Meinung kundtun, kommt das Thema Digitalisierung & Bewerbung noch einmal zur Sprache. „Wichtig ist, den Menschen die Angst vor Neuem zu nehmen und ihnen zu vermitteln, Online-Bewerbungen sind gar keine Hexerei“, lautet eine Meinung.  Andere finden: „Ich arbeite viel mit älteren Menschen, die nichts mit einem PC anfangen und das auch nicht wollen. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, dies zu ändern“, und: „Für unser Klientel sind unsere persönlichen Kontakte zu Firmen oft wichtiger als digitale Werkzeuge. Mir fehlt die Zeit für EDV-Trainings und es ist auch eine sehr individuelle Entscheidung, ob man bei Facebook und Co. präsent sein möchte.“

Um arbeitsmarktfernen Menschen die Scheu zu nehmen, bietet das niederösterreichische Soziale Unternehmen GESA EDV-Schulungen, auch für jene an, „die noch nie eine Maus in der Hand gehalten haben.“ Die GESA ist übrigens im Rahmen des Abendprogramms später auch Ort eines beeindruckenden Lokalaugenscheins: Hinter dem Stammhaus in der Daniel Gran-Straße 36 in St. Pölten entsteht derzeit das „Haus des Lernens“. Die Errichtung des nunmehr fast fertigen Baus ist eine Innovation, weil fast ausschließlich natürlich nachwachsende Baumaterialien wie Stroh (für das Innenleben der Wände), Lehm und Holz verwendet werden. Zusätzlich werden im Rahmen des Bauvorhabens arbeitssuchende Personen beschäftigt und qualifiziert. Im neuen Haus werden Lernwerkstätten, Büros und Seminarräume eingerichtet.

Stark und fit

Action im Workshop „Stark und Fit“

Eine breite Palette an Tipps und Tricks bieten die vier Workshops am Nachmittag. Unter dem Motto „Stark und fit“ animieren Petra Zöchner und Mario Szkledar (p&m OG) die Teilnehmer*innen dazu, „den Kopf für die nächsten eineinhalb Stunden draußen zu lassen, denn denken tun wir eh genug“. Die zahlreichen Übungen zur Entspannung im Alltag werden gleich an Ort und Stelle ausprobiert: Bei Müdigkeit rät Zöchner beispielsweise, die Finger an den Schläfen kreisen zu lassen: „Das aktiviert und dort befinden sich übrigens auch Akupunkturpunkte gegen Kopfschmerzen.“

Wenn Qualifikationen reisen

Im Workshop „Wenn Qualifikationen reisen“ geleitet Edith Zitz (inspire -Verein für Bildung und Management) die Anwesenden sicher durch den Regel-Dschungel bei der Anerkennung und Bewertung von (Berufs-)Qualifikationen, die im Ausland erworben wurden. Der Workshop „Rüstig und erfahren“ von Angelika Thaller und Klaus Jäger (FAB) thematisiert die Chancen und Hemmnisse der Zielgruppe 50plus. „Österreich hat sich bei den Erwerbsquoten von älteren Menschen verbessert, aber noch nicht genug“, sagt Thaller. Sie plädiert in diesem Zusammenhang auch für ein Umdenken bei den Unternehmen: „Es gibt nach wie vor Firmen, die prinzipiell keine Menschen über 50 einstellen und deren Lebensläufe schon von vorneherein aussortieren. Das muss sich ändern.“

Zusammenbringen, was zusammengehört

Alois Huber: „Vermittlung geht alle etwas an.“

Alois Huber (www.aloishuber.com), der Leiter des Workshops „Zusammenbringen, was zusammengehört“ plädiert eindrücklich dafür, dass die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt von allen Mitarbeiter*innen Sozialer Unterleben gelebt wird. Sein Credo: „Vermittlung geht alle etwas an.“ Und: „Sie sollte ab der ersten Minute beginnen, in dem Sinn, dass beispielsweise Transitmitarbeiter*innen wissen, wer wofür zuständig ist und den Outplacer oder die Outplacerin nicht erst einige Wochen nach Eintritt ins Unternehmen kennenlernen.“ Nach dem Motto „befähigen, es selbst zu tun“ findet Huber es zudem enorm wichtig, die Menschen dort tatkräftig zu unterstützen, wo sie Hilfe benötigen, aber die Verantwortung für die Jobsuche bei ihnen zu belassen.

Türöffner in den Arbeitsmarkt

Austausch unter Kolleg*innen macht Spaß und gibt Kraft.

Im Zuge der Podiumsdiskussion und den anschließenden Pinnwandgesprächen wird eindrücklich klar, welch wichtige Rolle Soziale Unternehmen bei der Vermittlung von langzeitarbeitslosen Menschen in den ersten Arbeitsmarkt spielte. So erzählte beispielsweise Astrid Prommegger von der SASt GmbH von einer albanischen Juristin, die dringend einen Job zum Überleben benötigte, aber mit ihrem Lebenslauf am österreichischen Arbeitsmarkt keine Chance hatte. Auf Vermittlung des Sozialen Unternehmens arbeitet die Frau nun in der Gastronomie.
Prommegger dazu: „Ich schicke den Betrieben in so einem Fall vorerst keine Unterlagen, ich sage ihnen, ich habe hier eine Person, die tolle Arbeit leistet und schlage ein Praktikum vor. Die Frau wurde fast vom Fleck weg engagiert. Das ist eben der Mehrwert, den wir als Soziale Unternehmen leisten: Wir können den Personen einen Fuß in der Tür verschaffen.“

(alle Fotos: arbeit plus/Franz Gleiss)

Download: Tagungsbericht2018

„Langzeitbeschäftigungslosigkeit darf nicht zu Massenphänomen werden“

Die Zahlen sind alarmierend: War 2013 jede fünfte arbeitslose Person langzeitbeschäftigungslos, suchte also schon mehr als ein Jahr lang eine Arbeitsstelle, war es 2014 war schon jede vierte. 2015 wird voraussichtlich bereits jede dritte Person langzeitbeschäftigungslos sein.

„Langzeitbeschäftigungslose Menschen dürfen nicht im Regen stehen gelassen werden“, fordert deshalb Manuela Vollmann, Vorstandsvorsitzende des Bundesdachverbands für Soziale Unternehmen, zum bevorstehenden „Tag der Arbeitslosen“ (am 30. April). Denn: „Lange andauernde Arbeitslosigkeit ist nicht nur Grund für psychische und familiäre Probleme, sondern führt auch zu Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung.

Vollmann: „Langzeitbeschäftigungslosigkeit darf nicht zum Massenphänomen werden“

Zudem ist die Entwertung der Qualifikationen und Berufserfahrungen unserer Erfahrung nach ein großes Problem für den Wiedereinstieg der Betroffenen in das Erwerbsleben“, so Vollmann: „Langzeitbeschäftigungslosigkeit darf nicht zum Massenphänomen werden.“ Neben einer Neuverteilung von Arbeit (Stichwort: Arbeitszeitverkürzung) plädiert die bdv austria-Vorstandsvorsitzende vor diesem Hintergrund auch für den starken Ausbau dauerhaft geförderter Arbeitsplätze sowie geeigneter Qualifizierungsangebote für die vielen arbeitslosen Menschen mit maximal Pflichtschulabschluss.

Geeignetere Rahmenbedingungen für Soziale Unternehmen

Gerade bei der Integration am Arbeitsmarkt spielen Soziale Unternehmen eine entscheidende Rolle, dienen sie doch vor allem Menschen, die der aktuelle Arbeitsmarkt benachteiligt, als Sprungbrett zurück ins Erwerbsleben. Neben einer ausreichenden Finanzierung für diese unverzichtbare gesellschaftliche Aufgabe fordert Vollmann deshalb auch bessere Rahmenbedingungen: „Für die Förderungen des AMS müssen Soziale Unternehmen derzeit ein sehr enges Regelkorsett in Kauf nehmen. Mehr unternehmerische Freiheit sowie die Aufnahme von sozialen Kriterien in die derzeit in Umsetzung befindliche EU-Vergaberichtlinie würden den Sozialen Unternehmen – und damit den unterstützten, arbeitssuchenden Menschen – enorm viel bringen.“

 

 

PE-Tagung: Manuela Vollmann sieht neue Anforderungen als Chance

Zu einer Veränderung des gewohnten Blickwinkels lud auch Manuela Vollmann, Vorsitzende des Tagungsveranstalters bdv austria und Geschäftsführerin des Sozialen Unternehmens abz*austria, in ihrem interaktiven Vortrag ein. Weil ein gutes, soziales, inklusives Klima eine der Kernaufgaben von Sozialen Unternehmen sei, müssten diese sich permanent die Frage nach geeigneten betrieblichen Strukturen für die sich verändernden Bedürfnisse ihrer MitarbeiterInnen stellen. Vollmann: „Die Frage ist nur: Sehen die Unternehmen das als Chance, oder sehen sie das nur als Schwierigkeit bei der Umsetzung?“ Sie selbst zeigte sich überzeugt: „Neue Anforderungen sind Chancen, denn sie bieten auch die Möglichkeit zum Gestalten.“

Mehr Wohlgefühl am Arbeitsplatz

Nach einer kurzen Präsentation des Firmengebäudes von Microsoft– samt Ruhe- und Sportzonen, Grünflächen, Telefonboxen und telefonlosen Großraumareas – ermunterte sie die Anwesenden, selbst über Veränderungen nachzudenken, die zu mehr Wohlgefühl am Arbeitsplatz beitragen könnten. Als weiteren Punkt bedürfnisgerechter Rahmenbedingungen sprach Vollmann die Arbeitszeiten an: „Bei abz*austria haben wir derzeit 27 verschiedene Arbeitszeitmodelle, die Gleitzeit erstreckt sich von 6:00 bis 22:00 Uhr. Umsetzen kann das freilich nur, wer vom Kontrollgedanken Abstand nimmt. So etwas geht nur über Vertrauen.“ Zudem bräuchten solch neue Arbeitszeit- und Arbeitsformen auch eine neue Führungskultur, so Vollmann weiter: „Jobsharing auch in den Führungsetagen bieten gute Vereinbarung von Familie , Beruf und Privatleben , machen Entscheidungen nachhaltiger und sind auch gesünder.“ Manuela Vollmann weiß wovon sie spricht – sie praktiziert Top Job Sharing (das Teilen einer Führungsposition) seit 17 Jahren.

„Gipfeltreffen“ der Sozialen Unternehmen war ein voller Erfolg

Die Zukunft kann kommen: Soziale Unternehmen erfinden innovative Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit und achten bei ihren Maßnahmen auf eine Balance von ökonomischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Faktoren. Sie sind unterschiedlich groß, unterschiedlich organisiert und unterschiedlich finanziert, aber sie alle haben Entscheidendes gemeinsam: Ihre Tätigkeit dient einem sozialen oder gemeinnützigen Ziel, ihre Gewinne werden wiederum  für dieses Ziel eingesetzt, und Innovation wird bei ihnen ebenso groß geschrieben wie etwa soziale Gerechtigkeit.

Kein leichtes Unterfangen, aber ein gesellschaftlich höchst Notwendiges, waren sich die rund 200 TeilnehmerInnen des 1. Multi-Stakeholder-Gipfels „Gesellschaftliche Innovation und Sozialunternehmertum“ in Wien einig. Das „Gipfel-Treffen“ von VertreterInnen von Sozialen Unternehmen, Wohlfahrtsorganisationen, Stiftungen, Unternehmen, Interessensvertretungen, darunter auch bdv austria, sowie aus Verwaltung und Politik bildete den Startschuss, um ein gutes Fundament auf diesem Sektor in Österreich zu bauen.

Gipfel01Wesentlich für eine solide Basis sind dabei geeignete Rahmenbedingungen, so der Grundtenor. Vor diesem Hintergrund wurde Sozialminister Rudolf Hundstorfer und Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter im Rahmen der Veranstaltung auch ein „Visionspapier“ mit zehn Kernpositionen überreicht.

„Ich glaube, dass das ein historischer Beginn ist, dieses Thema dauerhaft in Österreich zu diskutieren und die notwendigen Rahmenbedingungen und Reformen einzuleiten, die die Sozialen Unternehmen brauchen, um die Zukunft Österreichs mitgestalten zu können“, sagte bdv austria-Vorstandsvorsitzende Manuela Vollmann in ihrem Statement.

Maßnahmenmix für Innovation und Kooperation

Neben maßgeschneiderten Programmen, die die Sozialen Unternehmen während ihres Entstehungsprozesses etwa mit Workshops und Coachings unterstützen („Inkubationsprogramme“) wünschen sich die SozialunternehmerInnen in diesem Papier unter anderem den Ausbau von Bildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen im diesem Bereich. Kooperationen zwischen sozialen Unternehmen und dem öffentlichen, privaten sowie dritten (=NonProfit-) Sektor sollten ebenso unterstützt werden.

Im Bereich der Finanzierung regen die VertreterInnen der Sozialen Unternehmen einen Mix an: Private GeldgeberInnen und Stiftungen könnten, so die Argumentation, beispielsweise ein wichtiger Baustein bei der Startphase Sozialer Unternehmen sein, sofern hier steuerliche Vorteile geschaffen würden.

Neben neuen, alternativen Finanzierungsformen, wie etwa dem Crowd-Funding, bei dem sich eine Vielzahl von meist übers Internet mobilisierten Menschen einer Sache annimmt, sollte aber auch der Staat bei öffentlichen Ausschreibungen ihren Sektor im Blick haben, waren sich die Anwesenden einig: „Soziale Unternehmen unterstützen benachteiligte Menschen bei der Integration in den Arbeitsmarkt und fördern so den sozialen Zusammenhalt. Ein verbesserter Zugang zur öffentlichen Vergabe wäre für unsere Arbeit ein wichtiger Impuls“, betonte etwa bdv austria-Geschäftsführerin Judith Pühringer, die gemeinsam mit dem Unternehmer Matthias Reisinger und Nikolaus Hutter von TONIC Europe die Kernpositionen vorstellte.

Gipfel04Gelegenheit zu regenm Austausch hatten die TeilnehmerInnen im Rahmen von mehreren Workshops am Nachmittag rund um die Themen Start-Up und Innovationskultur, Rechtliche und politischen Rahmenbedingungen sowie Finanzierung.

Der Anfang ist gemacht – man darf gespannt sein, wohin die Reise auf dem nun begonnen Weg nun führt.

Das Visionspapier mit den zehn Kernforderungen als pdf zum Download

Vor den Vorhang: „Am wichtigsten ist uns ein gerechtes Geschlechterverhältnis“

Welchen gesamtgesellschaftlichen Beitrag leistet abz*austria?

Manuela Vollmann*: abz*austria ist kompetent für Frauen und Wirtschaft. Unser Beitrag äußert sich in der vorausschauenden Mitgestaltung der Bedingungen am Arbeitsmarkt. In diesem Sinne verstehen wir uns als arbeitsmarktpolitische Avantgarde. Wir eröffnen Handlungsoptionen unabhängig von Geschlechterrollen und Zuschreibungen und helfen, die Restereotypisierung der Geschlechter zu überwinden: das Zurückfallen in veraltete Rollen, die den gesellschaftlichen Fortschritt bremsen. Dies tun wir individuell: mit konkreten Beratungs-, Orientierungs- und Qualifizierungsangeboten für Frauen. Dies tun wir strukturell: mit Angeboten für Wirtschaftsunternehmen und Non-Profit-Organisationen. Und dies tun wir gesamtgesellschaftlich: über Lobbying und Kampagnen-Arbeit.

An wen richten sich die Angebote von abz*austria?

Manuela Vollmann: Am wichtigsten ist uns ein gerechtes Geschlechterverhältnis. Dies bedeutet, dass wir derzeit dasjenige Geschlecht an erste Stelle setzen, das wir als benachteiligt erachten: die Frauen – und zwar Frauen jeden Alters, jeder Herkunft und jeden Bildungsstandes. Wir wollen Frauen im Gesellschafts- und Wirtschaftsleben sowie in ihrem privaten Umfeld stärken. In wirkungsvollen Segmenten richten sich unsere Angebote – immer mehr – auch an Männer und darüber hinaus an Unternehmen und EntscheidungsträgerInnen aus Politik und Wissenschaft.

Worin unterscheidet sich das Angebot von abz*austria von demjenigen anderer Anbieter?

Manuela Vollmann: Mit dem Selbstverständnis als arbeitsmarktpolitische Avantgarde erheben wir seit über 20 Jahren den Anspruch, zukünftige gesellschaftliche Themen aufgreifen und beschäftigungspolitische Potentiale und Risiken identifizieren zu können. Unser Angebot unterliegt den Anforderungen an die qualitätsgesicherte Gleichstellungsstrategie. Und: Sie sind von Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit geprägt: individuell und unternehmerisch relevant und wirksam – und gesellschaftlich verantwortungsvoll. Bei unserer Qualitätskontrolle folgen wir drei Leitprinzipien: der „Kontinuität“, zum Beispiel durch das Einarbeiten neuester Forschungsergebnisse in schon bestehende Angebote, der „Transparenz“ in Bezug auf die zugrunde liegende Werteorientierung und der laufenden „Reflexion“ gemeinsam mit AuftraggeberInnen und KundInnen während des Entwicklungsprozesses und in der Umsetzungsphase

Kann man die Tätigkeitsfelder von abz*austria zusammenfassen?

Das Portfolio von abz*austria erstreckt sich über diverse Themenfelder, die sich an die Aufgabenbereiche des österreichischen Arbeitsmarkts anlehnen: Fünf „Kompetenzfelder“ lassen sich bei abz*austria bestimmen und voneinander abgrenzen – wenn auch Abgrenzung nicht in vollem Ausmaß möglich und sinnvoll ist: Gender Mainstreaming und Diversity Management, Vereinbarkeit Beruf.Familie.Privatleben, Arbeit.Jugend.Alter, Lebenslanges Lernen und Arbeit.Migration.Mobilität.

Gibt es bei abz*austria unterschiedliche Arbeitszeitmodelle – so wie sie diese auch gegenüber Ihren AuftragnehmerInnen beraten und empfehlen?

abz*austria hat bereits seit vielen Jahren positive Erfahrungen mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und der Vertrauensarbeitszeit gemacht. In der Gleitzeitvereinbarung sind die Rahmenbedingungen geregelt, die den MitarbeiterInnen erlauben, unter Berücksichtigung ihrer Tätigkeitsbereiche ihre Arbeitszeit flexibel zu planen. Da es außerdem keine Kernarbeitszeit gibt und sich der Gleitzeitrahmen von 6.00 – 22.00 Uhr erstreckt, haben die MitarbeiterInnen grundsätzlich die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit an ihre persönlichen Bedürfnisse anzupassen. Rund 140 Mitarbeiterinnen sind derzeit bei abz*austria beschäftigt. Es bestehen 27 verschiedene Arbeitszeitmodelle.

Wie finanziert sich abz*austria?

Wir finanzieren uns über Projektbeauftragungen – zu unseren AuftraggeberInnen und KundInnen zählen das Arbeitsmarktservice, die Länder, der Bund, die Europäische Union und die Privatwirtschaft.

Mehr auf www.abzaustria.at

 *Manuela Vollmann ist Geschäftsführerin von abz*austria und Vorstandsvorsitzende des bdv austria.

Manuela Vollmann: Interview zu Gleichstellung und Diversity

Manuela Vollmann wurde im Rahmen der Ringvorlesung „Soziale Innovation“ an der Hochschule München zum Thema „Geschlechtergleichstellung und Diversity: Neue Arbeitsweisen – neue Denkweisen?“ interviewt. Sie spricht über Gesellschaftliche Innovationen, die Arbeit und Erfolge von abz*austria, Gründe für mangelnde Fortschritte bei der Geschlechtergleichstellung und über neue Ansätze zur Förderung von Diversity in Unternehmen.

„Wir wollten nicht mehr länger warten!“ Manuela Vollmann im Interview

Manuela Vollmann ist seit 1992 Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführerin von abz*austria und langjährige Vorstandsvorsitzende des bdv austria. Im März 2013 wurde sie für ihr langjähriges und erfolgreiches Engagement für die Gleichstellung von Frauen und Männern in Bildung, Wirtschaft und Arbeitsmarkt mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien ausgezeichnet. In diesem Interview berichtet sie über die Entwicklung von abz*austria seit der Gründung vor mehr als 20 Jahren.

Philipp Hammer: Liebe Manuela, zunächst nochmals herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des Goldenen Verdienstzeichens der Stadt Wien. Wie bist du vor 20 Jahren überhaupt auf die Idee gekommen mit dem abz*austria ein Soziales Unternehmen im arbeitsmarktpolitischen Bereich zu gründen? Wieso ist abz*austria kein profitorientiertes Unternehmen geworden?

Manuela Vollmann: Gleich vorweg, ich habe nicht die Idee für abz*austria gehabt. Vor rund 20 Jahren waren mehrere Familien am Schöpfwerk in Wien von Delogierungen bedroht. Auf Anregung des regionalen Stadtteilzentrums Bassena wurde daraufhin eine Studie in Auftrag gegeben um das Problem zu untersuchen und Lösungen aufzuzeigen. Das Ergebnis war, dass die dort wohnenden und von Delogierung bedrohten Frauen beim Berufs(wieder)einstieg unterstützt werden sollten, um so ihre Familien ernähren zu können. Um einen der ausgeschriebenen Jobs habe ich mich beworben und wurde nach einem Hearing ausgesucht das Projekt gemeinsam mit einer Kollegin zu starten.

Es war von Anfang an klar, dass viel Aufbauarbeit notwendig sein würde. Allerdings sehe ich das als Vorteil, weil auf diese Weise alles durch uns gestaltet werden konnte. Obwohl es am Beginn des Projektes für viele unvorstellbar war, haben wir es geschafft die Stadt Wien gemeinsam mit der Arbeitsmarktverwaltung (heute: Arbeitsmarktservice Wien) für die Unterstützung eines Projektes für Wiedereinsteigerinnen zu gewinnen und in unsere Arbeit auch privatwirtschaftliche Unternehmen einzubeziehen. Wir haben es geschafft diese Organisationen und Unternehmen mit ihren unterschiedlichen Interessen zusammen zu bringen – trotz herausfordernden Beginns. Wir starteten mit einem PC, einem Telefonbuch und einem Telefon, um das Projekt zu planen – mit der Vision im Kopf, dass Wiedereinsteigerinnen eine gute Ausbildung und dann einen guten Job bekommen werden. Wir haben den Verein gegründet und nach und nach alles Nötige selbst aufgestellt.

Du siehst ich war – obwohl ich angestellt war – gleichzeitig auch Unternehmerin: niemand von den offiziellen Personen im Umfeld des Projektes wollte Obfrau werden. Wir wollten aber nicht auf Entscheidungen warten, sondern endlich etwas tun und haben uns dann entschlossen den Verein eben selbst zu gründen. So hat sich ergeben, dass ich diesem Verein und Unternehmen vorstehe und mit meinem Privatvermögen hafte. Wir waren alle operativ tätig und konnten diese Verantwortung einfacher mittragen, da wir das Unternehmen auch gestalten konnten. An dieser Struktur hat sich bei uns in den letzten 20 Jahren nichts verändert. Mittlerweile beschäftigen wir aber rund 110 Mitarbeiterinnen und 30 freie Trainerinnen.

Philipp Hammer: Was siehst du als wichtigste Meilensteine in der Entwicklung von abz*austria? Was waren die Gründe wieso abz*austria im Gegensatz zu vielen anderen Frauenorganisationen während der letzten 20 Jahre kontinuierlich hat wachsen können?

Manuela Vollmann: Ich glaube es gibt drei Gründe mit denen die Entwicklung von abz*austria in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erklärt werden kann:

Einerseits sind wir bewusst ein Modellunternehmen bei der Vereinbarung von Erwerbsarbeit mit unterschiedlichen Lebensphasen und Familienmodellen. abz*austria hat bereits seit vielen Jahren positive Erfahrungen mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und der Vertrauensarbeitszeit gemacht. In der Gleitzeitvereinbarung sind Rahmenbedingungen geregelt, die den MitarbeiterInnen erlauben, unter Berücksichtigung ihrer Tätigkeitsbereiche ihre Arbeitszeit flexibel zu planen. Da es außerdem keine Kernarbeitszeit gibt und sich der Gleitzeitrahmen von 6 bis 22 Uhr erstreckt, haben die MitarbeiterInnen die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit an ihre persönlichen Bedürfnisse anzupassen. Das durchschnittliche Wochenstundenausmaß der Teilzeitbeschäftigten lag 2012 bei 25 Stunden pro Woche, es gab 27 verschiedene Arbeitszeitmodelle. Seit 17 Jahren ist auch das Top-Job-Sharing der Geschäftsführerinnen ein Vorzeigemodell und bietet die optimale Möglichkeit, Familie und Privatleben mit der Verantwortung einer Führungsposition zu vereinbaren.

Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass unsere Angebote und Projekte nie nur aus theoretischen Überlegungen heraus entstehen. Unsere Produkte – sei es für Unternehmen, erwerbslose Frauen, Väter in Karenz oder für Migrantinnen entstehen immer aus dem Bedarf unserer KundInnen. Wir haben im letzten Jahr in 30 Projekten rund 7.000 TeilnehmerInnen qualifiziert, gecoacht und beraten. Davon waren rund 2.300 TeilnehmerInnen in Aus- und Weiterbildungen, Workshops und Orientierungskursen bei abz*austria. Die Schulungsinhalte erstreckten sich von nicht-traditionellen Branchen (handwerkliche Werkstätten, Facharbeiterinnenausbildung Maschinenfertigungstechnik) über Ausbildungen im Bereich Einzelhandel, Soziales Kompetenztraining, Workshops „Wege in die finanzielle Eigenständigkeit“ bis hin zu Vorbereitungskursen auf den Hauptschulabschluss. Durch diese Arbeit haben wir engen Kontakt mit unseren Zielgruppen und wissen was gebraucht wird. So entstehen bei uns neue Konzepte und Ideen mit denen wir aktuelle Themen und Probleme immer sehr früh aufgreifen können. Mittlerweile ist es unser Asset, dass wir immer etwas früher wissen, welche Zukunftsthemen es gibt. Wichtig ist aber nicht nur die Nähe zu den erwerbslosen und beschäftigten Frauen in unseren Projekten, sondern auch die Nähe zur Wirtschaft und zum öffentlichen Bereich wie den Ministerien oder dem AMS.

Wir haben Statuten und ganz klare Ziele: wir fördern die Vielfalt in Gesellschaft und Wirtschaft und die Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt. Unternehmen die mit uns arbeiten, können sich mit diesen Zielen identifizieren. Nur so kann es auch für uns funktionieren, denn wir wollen keine trendigen Themen aufzugreifen und für Gewinn verkaufen, sondern wir haben seit 20 Jahren ein klares Ziel, das wir durch unser Handeln verfolgen. Das können Unternehmen gemeinsam mit uns erreichen.

Philipp Hammer: Was hat dich in diesen mehr als 20 Jahren Arbeit bei abz*austria am meisten betroffen gemacht?

Manuela Vollmann: Gute Frage, gerade derzeit. Kompetenzen bekomme ich nicht zwangsläufig ausschließlich über Weiterbildungen, sondern auch durch Praxis. Arbeiten und Lernen gehören zusammen und genau das haben wir schon am Beginn von abz*austria vor 20 Jahren in unserem Konzept berücksichtigt und entsprechend agiert. Aus dieser Sicht ist es schon ein Wehrmutstropfen, dass es uns nicht langfristig gelungen ist das Programm „Arbeiten und Lernen“ in unserem Non-Profit Unternehmen und am österreichischem Arbeitsmarkt zu etablieren. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden (schmunzelnd). Arbeiten und Lernen ermöglicht allen Zielgruppen sehr praxisnahes und lustvolles Erlernen von Fachwissen und die Stärkung von Kompetenzen und Fähigkeiten.

Philipp Hammer: Spürt ihr die aktuelle Wirtschaftskrise am Arbeitsmarkt eigentlich bei euch in den Beratungseinrichtungen?

Manuela Vollmann: Es gibt aktuell sehr hohen Druck auf viele Klientinnen, denn die Auswirkungen der Wirtschaftskrise sind für Frauen nach wie vor spürbar. Die existenziellen Notlagen von immer mehr Frauen sind auch in den Beratungsstellen deutlich merkbar. Der Leistungsdruck auf berufstätige Frauen und der organisatorische Druck für Frauen mit Kinderbetreuungspflichten steigen. Um diese Situation positiv zu verändern, wenden sich viele Frauen mit dem Wunsch nach beruflicher Neuorientierung an die Beratungsstellen und an das neue Frauenberufszentrum, das wir seit Jänner dieses Jahres für das Arbeitsmarktservice Wien durchführen. Vertraulichkeit ist dabei ein wesentlicher Faktor für einerseits eine positive Arbeitsbeziehung und andererseits eine Ziel führende Umsetzung neuer beruflicher Wege, die sich aus der Beratung ergeben.

Philipp Hammer: Vielen Dank für dieses spannende Interview!