Arbeitsmarktpolitik, die niemanden zurücklässt, ist das Gebot der Stunde

arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich warnt zum „Tag der Arbeitslosen“ am 30. April vor einer massiven Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit 

Angesichts der dramatischen Situation am österreichischen Arbeitsmarkt – mehr als 600.000 Menschen sind ohne Arbeit, weitere 1,1 Millionen in Kurzarbeit – wird so deutlich wie nie zuvor, wie schnell Erwerbsarbeitslosigkeit jede und jeden treffen kann. Die Konsequenzen von Arbeitslosigkeit sind erheblich, vor allem wenn sie lange andauert. Wie wichtig es ist, bezahlte Arbeit zu haben, war seit der Nachkriegszeit nicht mehr so eindrücklich zu spüren wie heute. Noch ist nicht absehbar, wie tief die kommende Rezession aufgrund der Corona Pandemie ausfallen und wie lange sie andauern wird. Klar ist allerdings, dass es zu einem massiven Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit kommen wird. 

Besonders betroffen: Ältere Menschen, Geringqualifizierte und prekär Beschäftigte
Besonders betroffen sind jene Menschen, die es bereits vor der Krise auf dem Arbeitsmarkt schwer hatten: Ältere Menschen, Menschen mit niedriger formaler Bildung, prekär Beschäftigte und Geringverdiener*innen. Erste Auswertungen der Universität Wien zeigen, dass vor allem diese Gruppen in der aktuellen Corona-Krise als erste von Kündigungen betroffen sind. Für diese Menschen gilt es gerade jetzt, ausreichend arbeitsmarktpolitische Angebote und Beratungen bereitzustellen, um das Risiko einer lang andauernden Arbeitslosigkeit zu verhindern.

Neue Perspektiven und Beschäftigungsmodelle
„Es braucht jetzt dringend mutige Angebote in der aktiven Arbeitsmarktpolitik und neue Perspektiven für Menschen, die ihren Job verloren haben. Wir dürfen niemanden zurücklassen“, fordert Arbeitsmarktexpertin Schifteh Hashemi, Geschäftsführerin von arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich. Voraussetzung ist ein Arbeitslosengeld, das weniger eine Überbrückungshilfe, sondern vielmehr eine dauerhaft existenzsichernde Leistung ist. „Neben der Existenzsicherung während der Arbeitslosigkeit und der gezielten Unterstützung beim Wiedereinstieg in den Job durch das AMS, sind innovative und dauerhafte Beschäftigungsmodelle in Sozialen Unternehmen und Beratungsangebote notwendig, die auch auf die enormen psychischen Belastungen durch die Krise reagieren“, so Hashemi. 

Strukturen finanzieren, Menschen beim Wiedereinstieg unterstützen
Um die Unterstützung für Arbeitssuchende aufrecht zu erhalten und ausbauen zu können, muss die Finanzierung des AMS sowie der Strukturen der Sozialen Unternehmen durch die öffentliche Hand sichergestellt sein. „Die Sozialen Unternehmen sind weiterhin im Einsatz, um Menschen beim Wiedereinstieg zu unterstützen. Wesentlich ist, dass jetzt und in Zukunft nicht bei den Leistungen der aktiven und passiven Arbeitsmarktpolitik gespart wird – denn es wird sie mehr als je zuvor brauchen. Wir können die massiven Herausforderungen am Arbeitsmarkt nur gemeinsam und mit ausreichenden Budgets stemmen“, so Hashemi.

Zahlen und Daten zu Erwerbsarbeitslosigkeit*

  • Im März 2020 waren österreichweit 504.345 Personen beim AMS als arbeitssuchend gemeldet, weitere 58.177 Personen befanden sich in Schulungen. Insgesamt sind derzeit mehr als eine halbe Million Menschen ohne Arbeit. Gegenüber dem März 2019 ist ein Anstieg von mehr als 52%. 
  • Die 504.345 arbeitsuchenden Personen spalten sich folgendermaßen auf die Bundesländer auf: Wien: 165.047, NÖ: 78.440, OÖ: 57.808, Salzburg: 29.107, Kärnten: 37.266, Tirol: 43.077, Vorarlberg: 15.788, Steiermark: 63.998, Burgenland: 13.814
  • Der Anstieg der Erwerbsarbeitslosen (inkl. Schulungsteilnehmer*innen) entfällt nach Bundesländern folgendermaßen: Wien: 30,7%, NÖ: 40,8%, OÖ: 52,9%, Salzburg: 112,3%, Kärnten: 58,3%, Tirol: 174,2%, Vorarlberg: 58,9%, Steiermark: 71,6%, Burgenland: 47,4%. 
  • Im März waren 105.236 Menschen als langzeitbeschäftigungslos registriert, also mehr als 365 Tage in verschiedenen Vormerkformen beim AMS gemeldet. Diese Zahl ist gegenüber Februar 2020 bereits leicht gestiegen und liegt erstmals seit beinahe einem Jahr wieder über der 100.000 Marke. Das WIFO prognostiziert einen weiteren Anstieg.

*Quelle: AMS Österreich

arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich
Die mehr als 200 Mitglieder des Netzwerkes arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich unterstützen arbeitsuchende Menschen durch Beratung, Qualifizierung und Beschäftigung. Ihre Tätigkeitsfelder reichen von Einzelhandel über Reparaturservices bis hin zu Weiterbildung und Trainings. Sie beschäftigen in ganz Österreich rund 40.000 Menschen pro Jahr. Weitere 100.00 Menschen finden Unterstützung durch Beratung und Qualifizierung.

Zahlreiche Soziale Unternehmen im Netzwerk von arbeit plus leisten ihren solidarischen Beitrag und haben ihre Arbeitsweisen an den aktuellen Krisenmodus angepasst – mit adaptierten Online-Beratungsangebote, regionalen Einkaufsdienste zur Unterstützung von besonders gefährdeten Personengruppen, oder etwa der österreichweite Zusammenschluss #maskforce, mit dem spontan und innovativ auf den Bedarf an MNS-Masken reagiert wurde, wird nicht nur zur Eindämmung von COVID-19, sondern auch zur Erhaltung von Arbeitsplätzen in Sozialökonomischen Betrieben beigetragen. 

Rückfragehinweis:
Dr.in Martina Könighofer
Öffentlichkeitsarbeit
arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich
martina.koenighofer@arbeitplus.at
mob: +43 699 18 10 24 33

Nachlese: arbeit plus Innovation Lab „Das war die Aktion 20.000 – wie weiter?“

Im Innovation Lab, das am 22. Jänner 2020 im SCHÖN&GUT Social Concept Store in Wien stattfand, setzten wir uns mit der Frage „Das war die Aktion 20.000 – wie weiter?“ auseinander. Die Idee hinter den arbeit plus Innovation Labs, nämlich offene Denk- und Experimentierräume rund um das Thema Arbeit zu gestalten und mit unterschiedlichen Kooperationspartner*innen in regen Diskurs zu treten, konnte besonders anhand dieses Themas und im Rahmen dieser Veranstaltung gut in die Tat umgesetzt werden.

arbeit plus hatte in Kooperation mit der Arbeiterkammer Teilnehmer*innen der Aktion 20.000 befragt, welche Auswirkungen die arbeitsmarktpolitische Maßnahme für Langzeitarbeitslose 50+ auf ihr Leben hatte. Diese Videoclips, sowie Langversionen der Videos, wurden im Innovation Lab präsentiert. Nach einer Begrüßung durch Gastgeber Thomas Rihl, Geschäftsführer von JobTransFair, sowie einleitenden Worten von Judith Pühringer (Geschäftsführung arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich) und Gernot Mitter (Arbeitsmarktpolitikexperte der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der Arbeiterkammer Wien), sprach Moderatorin Clara Moder (Grundlagenarbeiterin arbeit plus) mit der Filmemacherin Emée Soulcié über ihre Eindrücke bei den Videodrehs.

Besonders durften wir uns darüber freuen, dass auch einige der Interviewpartner*innen anwesend waren!

Die Beiträge der Aktion 20.000 Teilnehmer*innen zeigen eindrücklich, wie wichtig öffentlich geförderte Maßnahmen für ältere Langzeit-Erwerbsarbeitslose sind. Besonders die Langversionen der Interviews, in denen neben den Teilnehmer*innen auch Kolleg*innen und Kund*innen zu Wort kommen, zeigen den sozialen, gesellschaftspolitischen, ökologischen sowie individuellen Mehrwert der Aktion.

Nachdem die Aktion 20.000 vorzeitig gestoppt wurde, hat die Arbeiterkammer Wien mit der „Chance 45“ eine mögliche Folgevariante entwickelt. Dieses Konzept wurde im Rahmen des Innovation Labs von Simon Theurl (AK Wien) vorgestellt:

Chance 45 - Das AK Modell zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit

Gerd Kronheim, Obmann der bbs – Beschäftigungsbetriebe Steiermark und Vorstandsmitglied von arbeit plus, berichtete von den Chancen, die sich für die Sozialen Unternehmen durch öffentlich geförderte Beschäftigung eröffnen.

Hintergrund:

Das Sozialministerium veröffentlichte Mitte Dezember 2019 die > Studie zur Wirksamkeit der Aktion 20.000. Die gesamte Evaluierung durch prospect ist > hier nachzulesen.

Die Aktion 20.000 war ein einzigartiges Angebot für ältere Langzeitbeschäftigungslose, deren Potential durch das vorzeitige Ende ungenutzt blieb. Sie wurde laut Studie vom AMS begrüßt, da sie ein Angebot für eine Gruppe darstellte, für die ansonsten keine Angebote zur Verfügung standen. Insgesamt wären rund 75.000 Personen förderbar gewesen – mit 3.824 Teilnehmer*innen wurde das Potential nur zu 5% genutzt.

In Hinblick auf arbeitsmarktpolitische Faktoren ist die Aktion 20.000 ein Erfolg: rund ein Drittel der Teilnehmer*innen waren drei Monate nach Ende der Förderung in ungeförderter Beschäftigung, knapp 4% in geförderter Beschäftigung und 1,7% in Qualifizierung. In Summe ist das eine „positive Arbeitsmarktpositionierung“ für 37,3% aller Teilnehmer*innen zum Stichtag.

Bemerkenswert in der Befragung der Teilnehmer*innen ist die extrem hohe Zustimmung dazu, dass die Menschen „begeistert sind, endlich wieder arbeiten zu können“. 90% sowohl der Teilnehmer*innen als auch der Abbrecher*innen stimmen dieser Aussage zu. Die Teilnehmer*innen erachteten ihre Tätigkeit als persönlich sinnstiftend und auch gesellschaftlich sinnvoll. Besonders wirkungsvoll wurde die Teilnahme in Hinblick auf berufliche Weiterentwicklung wahrgenommen.

Langzeitbeschäftigungslose Menschen über 50 Jahre haben de facto keine Arbeitsmarktintegrationschancen mehr. Deshalb braucht es gezielte Angebote, um gesellschaftliche Bilder zu korrigieren und Potentiale und Können von älteren Menschen zu nützen.

Angesichts des hohen Beschäftigungspotentials im gemeinnützigen und öffentlichen Sektor sollte für eine Neuauflage des Programmes dieser Aspekt unbedingt berücksichtigt und ebenso Beschäftigung im privaten Sektor ermöglicht werden. Besonders wichtig für eine Weiterführung ist ein differenziertes Fördermodell (degressives Lohnkostenzuschussmodell), langfristige Beschäftigungsoptionen, begleitende Qualifizierung sowie ein gutes Matching von Teilnehmer*innen und Dienstgeber*innen.