Bitte einsteigen! Für einen Arbeitsmarkt, der alle mitnimmt

Anlässlich des Tags der Arbeitslosen am 27. April fordert arbeit plus – das Netzwerk Sozialer Unternehmen ÖsterreichPolitik und Verwaltung auf, sich ihrer Verantwortung zu stellen und einen Aktionsplan gegen die steigende Langzeitarbeitslosigkeit zu entwickeln.

Trotz guter Konjunktur und Arbeitskräftemangel sind per März 2023 immer noch 259.440 Menschen beim AMS als arbeitslos gemeldet. Knapp jeder Dritte – also rund 80.000 Menschen – ist langzeitbeschäftigungslos. Die Anzahl der Menschen, die seit 5 Jahren ohne Beschäftigung sind, hat sich seit 2018 verdreifacht. Hinzu kommt der aktuelle Arbeitskräftemangel, der Politik und Verwaltung zusätzlich auffordert, sich dieser Realität zu stellen und nicht mit Positivmeldungen von der Verantwortung abzulenken.

Stolpersteine für langzeitarbeitslose Menschen beim (Wieder) Einstieg

Die Menschen wollen arbeiten, aber nicht alle können es zu den Bedingungen, die der Arbeitsmarkt von ihnen verlangt. Damit auch diese Menschen in den Arbeitsmarkt einsteigen können, braucht es den politischen Willen, unterstützende Rahmenbedingungen und ausreichend Ressourcen. „Menschen, die schon länger arbeitslos sind, brauchen nicht noch mehr Druck. Sie brauchen Begleitung und Unterstützung, um schrittweise wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen“, erklärt Sabine Rehbichler, Geschäftsführerin von arbeit plus Österreich. Konkret bedeutet das stufenweise Ein- und Wiedereinstiege mit langsam steigender Stundenzahl, längerfristig geförderte Beschäftigung und Begleitung, um akute Problemlagen anzugehen sowie Lösungen für Pflege und Kinderbetreuung.

„Wir bei arbeit plus, dem Netzwerk von 200 Sozialen Unternehmen in Österreich, zeigen Lösungen für Arbeitsmarktpolitik und Unternehmen auf, damit langzeitarbeitslose Menschen (wieder) arbeiten und nachhaltig ins Erwerbsarbeitsleben einsteigen können. Die aktuellen politischen Wortmeldungen lenken mit Positivmeldungen von der Realität ab, statt mit einem Aktionsplan, Hindernisse wie fehlende Betreuung und Begleitung endlich ressortübergreifend in Angriff zu nehmen“, fordert Rehbichler.

Keine Arbeitsaufnahme ohne Existenzsicherung

67% der langzeitarbeitslosen Menschen sind armutsgefährdet bzw. einkommensarm. Existenzielle Sorgen erlauben weder eine ernsthafte Arbeitssuche noch eine nachhaltige Arbeitsaufnahme. Arbeitslosigkeit ist die häufigste Ursache für ein Abrutschen in Armut. Niedriglohn und Niedrigarbeitslosengeld sind die Kettenreaktion in die Armut. Es geht darum, die Schwächen des Sozialstaats zu korrigieren und seine Stärken zu optimieren.

„Es braucht ein Arbeitslosengeld, das vor Absturz bewahrt und Chancen erhöht. Arbeitsmarktpolitik muss darauf abzielen, Menschen vor dem völligen sozialen Absturz zu bewahren – durch existenzsichernde Erwerbsarbeit, Erhöhung der Jobchancen und ein armutsfestes Arbeitslosengeld. Es ist nicht klug, eine sozial ausgewogene Reform weiter zu blockieren. Ein besseres, höheres Arbeitslosengeld schützt davor, in die Sozialhilfe zu fallen und verhindert in schwierigen Zeiten total abzustürzen. Die Situation hat sich jetzt mit den Teuerungen noch verschärft“, berichtet Martin Schenk von der Armutskonferenz. „Befinden sich Menschen in existenzbedrohenden Situationen, ist der Wohnraum oder die Kinder nicht abgesichert, dann ist weder an eine ernsthafte Arbeitssuche noch an eine nachhaltige Arbeitsaufnahme zu denken.“

Was attraktive Arbeitgeber*innen ausmacht

Auch die Arbeitgeber*innen sind gefordert sich an die Gegebenheiten anzupassen.

„Angesichts der aktuellen Arbeitsmarktsituation braucht es neben dem politischen und gesellschaftlichen Wandel auch unternehmerische Anpassungen. Nur so können Unternehmen für Arbeitskräfte attraktiv und damit zukunftsfit bleiben. Für eine erfolgreiche Arbeitsaufnahme müssen Arbeitsplätze und die Bedürfnisse der Menschen Hand in Hand gehen. Dazu gehören flexible Arbeitszeitmodelle, geteilte Verantwortung in der Führung und vor allem eine systematische Aufnahme von Bildung und lebenslanger Qualifizierung in jedes Arbeitsverhältnis“, so Manuela Vollmann, ABZ*Austria Geschäftsführerin und Vorstandsvorsitzende von arbeit plus. „arbeit plus Unternehmen wissen wie das geht und können Unternehmen und Politik in der Aufschließung von Arbeitskräftepotenzial unterstützen“, so Vollmann weiter.

Jeder Mensch verdient eine zweite Chance – vor allem am Arbeitsmarkt

Einzelne Initiativen gibt es schon. Für jene Menschen, die seit mindestens fünf Jahren arbeitslos sind, hat zum Beispiel das AMS Wien jetzt das Pilotprojekt ‚Schritt für Schritt‘ gestartet: Eine Kombination aus einer Beratungseinrichtung und zweier Sozialökonomischer Betriebe. „Training – Arbeit – Vermittlung (TAV) – dafür stehen die Volkshilfe Betriebe. Taff und herausfordernd ist auch der Wiedereinstieg ins Berufsleben. Dafür braucht es Unterstützung und diese können wir und unsere Partnerorganisationen mit dem neuen Angebot des AMS Wien ‚Schritt für Schritt‘ ab jetzt noch besser leisten!“, freut sich die Volkshilfe Wien Geschäftsführerin Tanja Wehsely über das neue Gemeinschaftsprojekt der Volkshilfe mit Caritas und FAB. „Gerade für Frauen gelten noch immer höhere Anforderungen im Arbeitsalltag und besonders beim Wiedereinstig. Hier gilt es ein gesellschaftliches Umdenken zu bewirken – denn jeder Mensch verdient eine zweite Chance – vor allem am Arbeitsmarkt!“, fordert die diesjährige SHEconomy MINERVA-Frauenpreisträgerin, Tanja Wehsely. 

Forderungen von arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich:

  • Aktionsplan mit ausreichend Ressourcen zur systematischen Reduktion von Langzeitarbeitslosigkeit;
  • Ressortübergreifend Hindernisse aus dem Weg schaffen, damit Menschen arbeiten können: Förderung von flexiblen Arbeitszeitmodellen, die mit Betreuungspflichten vereinbar sind, altersgerechte und gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen, Mobilitätsangebote;
  • Weniger Druck mehr Unterstützung durch stufenweise Eintrittsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt, flächendeckende Kinderbetreuung und Pflege, sowie hochwertige Qualifizierungsangebote;
  • Ein existenzsicherndes Arbeitslosengeld– deshalb braucht es dringend eine Valorisierung;
  • Von Unternehmensseite: Attraktive Arbeitsplätze, die mit den Bedürfnissen und Ansprüchen der Menschen Hand in Hand gehen (flexible Arbeitszeiten, 30:30 Model, Top Job Sharing,…);
  • Löhne rauf! Auch und gerade für geringqualifizierte, aber gesellschaftlich notwendige Jobs.

Druck auf in Teilzeit arbeitende Frauen ist der falsche Weg

Kinderbetreuung und Pflegeangebote ausbauen statt Sozialleistungen kürzen!

Frauen sind am Arbeitsmarkt nach wie vor strukturell benachteiligt. Faktoren dafür sind die schlecht ausgebaute Kinderbetreuung am Land, verfestigte Gender-Stereotypen und ungleiche Verteilung von Care- und Sorgearbeit. Die Idee von Bundesminister Kocher, Teilzeitarbeit weniger attraktiv zu machen, verfestigt Ungleichheit, statt das Problem zu lösen.

„Solange Care-Arbeit zum Großteil bei den Frauen liegt und die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen eklatant sind, gibt es noch viel Verbesserungspotenzial in der Gleichstellungspolitik. Nur wenn die Gleichstellungsblockaden systematisch angegangen werden, kann man Frauen aus der Teilzeitfalle holen“, so Sabine Rehbichler, Geschäftsführerin von arbeit plus Österreich. „Mit Leistungskürzungen für teilzeitarbeitende Frauen funktioniert das sicher nicht.“

Wir im Netzwerk von arbeit plus, Soziale Unternehmen Österreich, arbeiten täglich mit Menschen zusammen, die aktuell keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. In unseren Unternehmen hat sich gezeigt, was es braucht, um Menschen wieder in Arbeit zu bringen: Möglichkeiten eines stufenweisen Einstiegs, neue Lösungen für Care- und Sorgearbeit, fließende Wechsel zwischen Qualifizierung und Beschäftigung,“ so Sabine Rehbichler. „Wir appellieren an Minister Kocher in seinen Bemühungen um Arbeitskräfte, jene 90.000 Menschen nicht zu vergessen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind.“

Die Daten des AMS zeigen nach soziodemographischen Merkmalen betrachtet, dass insbesondere Personen mit niedriger formaler Bildung (mehr als die Hälfte hat max. Pflichtschulabschluss), Migrant*innen (30.000) oder Menschen mit Behinderungen (35.000) stärker von länger andauernder Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit innerhalb dieser Personengruppen im Vergleich zum Vorjahr fällt unterdurchschnittlich aus.

Obwohl die Zahl der langzeitbeschäftigungslosen Arbeitslosen sinkt, bleibt der Anteil von Langzeitbeschäftigungslosen an allen Arbeitslosen hoch. Nach wie vor sind beinahe doppelt so viele Menschen von Langzeitbeschäftigungslosigkeit betroffen wie noch vor zehn Jahren.

„Nur weil weniger Menschen arbeitslos sind, dürfen die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht gekürzt werden! Denn diejenigen, die jetzt (immer) noch keinen Job finden, brauchen mehr Unterstützung und Begleitung. Angesichts der veränderten Zielgruppe ist es wichtig, die Gründe für Langzeitbeschäftigungslosigkeit zu verstehen und frühzeitig zu verhindern.“

arbeit plus weist aus diesem Anlass explizit auf die Situation und das Potenzial dieser Personengruppen hin. Wir fordern Minister Kocher auf, jetzt nicht nur auf die Gruppe der Teilzeit arbeitenden Frauen und der Pensionist*innen zu schauen, sondern auch in langzeitarbeitslose Menschen zu investieren. Mit einer klugen, aktiven Arbeitsmarktpolitik kann es gelingen, dieses Potenzial zu heben. Soziale Unternehmen wissen, wie das geht.

Blick auf langzeitarbeitslose Menschen nicht vergessen

Heute fand das erste Treffen der Reformgruppe zum Arbeitsmarkt statt. Die Reformgruppe rund um Wirtschaftsminister Kocher, Finanzminister Brunner und Sozialminister Rauch erarbeitet in den kommenden Monaten Maßnahmen, um mehr Beschäftigte in den Arbeitsmarkt zu bringen.

arbeit plus weist aus diesem Anlass explizit auf die Situation und das Potenzial von langzeitbeschäftigungslosen Arbeitslosen hin. Die Hälfte der 80.000 langzeitarbeitslosen Menschen ist über 50 Jahre alt, mehr als 50 % von ihnen haben gesundheitliche Probleme.

„Wir im Netzwerk arbeit plus, Soziale Unternehmen Österreich, fordern die Reformgruppe zum Arbeitsmarkt auf, nicht auf die 80.000 Menschen zu vergessen, die schon länger arbeitslos sind. Ältere Menschen haben am Arbeitsmarkt auch bei guter Konjunktur schlechte Karten, um wieder ins Arbeitsleben einzusteigen,“ so Sabine Rehbichler, Geschäftsführerin von arbeit plus Österreich.

„Wir arbeiten täglich mit Menschen zusammen, die aktuell noch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. In unserem Unternehmen hat sich gezeigt, was es braucht, um auch ältere Menschen wieder in Arbeit zu bringen: Die Möglichkeit eines stufenweisen Einstiegs, neue Lösungen für Care- und Sorgearbeit, fließende Wechsel zwischen Qualifizierung und Beschäftigung.“

Wir fordern die Reformgruppe auf, jetzt auf die Gruppe der langzeitarbeitslosen Menschen zu schauen, die aktuell noch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Mit einer klugen aktiven Arbeitsmarktpolitik kann es gelingen dieses Potenzial zu heben. Soziale Unternehmen wissen, wie das geht.

Zentrale Forderungen von arbeit plus anlässlich der Regierungsklausur

Anläßlich der aktuellen Regierungsklausur hat arbeit plus die drei zentralen Forderungen  für eine zukunftsgerichtete Arbeitsmarktpolitik zusammengefasst. Für eine aktive Arbeitsmarktpolitik im Interesse des Arbeitskräftemangels und der betroffenen Menschen.

  1. Immer noch hoher Anteil an langzeitbeschäftigungslosen Menschen an allen Arbeitslosen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, hinzuschauen und Lösungen für diese Zielgruppe zu finden.

Trotz positiver Zahlen am Arbeitsmarkt sind immer noch mehr als ein Viertel aller Arbeitslosen langzeitbeschäftigungslos (Stand Dezember 2022). Im Vergleich dazu betrug im Dezember 2008 der Anteil der langzeitarbeitslosen Menschen an allen Arbeitslosen nur 12,6%.

Anstatt sich auf den allgemeinen, geringen Arbeitslosenzahlen aufgrund von Wirtschaftslage und Demographie auszuruhen (Quelle: AMS Bericht vom 30. Dezember 2022), sind die Politiker:innen gefordert, sich den Ursachen des immer noch zu hohen Anteils von langzeitbeschäftigungslosen Menschen an allen Arbeitslosen zu widmen, die nicht von der Konjunktur mitgenommen werden.

Nur weil weniger Menschen arbeitslos sind, dürfen die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht gekürzt werden. Denn diejenigen, die jetzt (immer) noch keinen Job finden, brauchen mehr Unterstützung und Begleitung. Angesichts der veränderten Zielgruppe ist es wichtig, die Gründe für Langzeitbeschäftigungslosigkeit zu verstehen und frühzeitig zu verhindern.

Dazu sind nach der Erfahrung der Unternehmen im Netzwerk von arbeit plus flexiblere Beschäftigungsinitiativen notwendig, die die stufenweisen (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt unterstützen. Hier geht es um vorgeschaltete Maßnahmen zur beruflichen (Neu-) Orientierung, um die Förderung sozialökonomischer Projekte, die Lernen in geförderter Beschäftigung unterstützen, und um die Begleitung für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen während der ersten Monate im ungeförderten Job.

  • Die aktuelle Teuerung hat de facto zu einer Kürzung des Arbeitslosengeldes geführt – deshalb fordert arbeit plus eine Anpassung des Arbeitslosengeldes an die Teuerung

Arbeitslose Menschen in Österreich sind besonders häufig von Armut bedroht. Wer seinen Job verliert, steht plötzlich nur noch mit rund der Hälfte seines Einkommens da. Jetzt kommt noch die Teuerung dazu. Besonders schlimm trifft es in diesem Fall wieder langzeitarbeitslose Menschen. Bereits jetzt leben 6 von 10 Langzeitarbeitslosen in Armut. Das ist kein individuelles Problem der Menschen, sondern ein Strukturversagen der Politik, das noch dazu volkswirtschaftlich wenig Sinn ergibt. Denn Armut macht krank – und damit werden die Kosten vom Arbeitsmarkt auf das Gesundheitssystem verlagert.

Was es braucht um Menschen, die arbeitslos werden, vor Armut zu schützen ist ein verbesserter Berufs- und Entgeltschutz, denn Jobs an der Armutsgefährdungsschwelle von 1.371 Euro Nettoeinkommen bedeuten beim Verlust ein Arbeitslosengeld weit unter der Armutsgrenze, es braucht eine Anpassung des Arbeitslosengeldes an die Teuerung, damit arbeitslose Geringverdiener:innen nicht automatisch in Armut abrutschen – und im Endeffekt eine armutsfeste Grundsicherung, die Menschen soziale Rechte einräumt und ihnen ihre Würde lässt.

  • Blick hin zu den Menschen, die gar nicht in den Arbeitslosenstatistiken aufscheinen – arbeit plus fordert, diese Menschen als Zielgruppe zu erfassen und ernst zu nehmen.

Gesundheitliche Einschränkungen, Alter oder auch fehlende Rahmenbedingungen wie Kinderbetreuung werden oft zur dauerhaften Barriere, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen. In der aktuellen Debatte kommen Menschen im arbeitsfähigen Alter, die hier leben, keiner Erwerbsarbeit nachgehen und auch nicht beim AMS gemeldet sind, kaum vor. Diese sogenannte „Out of Labour Force“ sind häufig Frauen, die beispielsweise aufgrund von Betreuung von Angehörigen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, die ihre Teilzeitjobs Jobs aufgegeben haben und beim Partner mitversichert sind.

Um dem aktuellen Arbeitskräftemangel systematisch entgegenzuwirken, muss diese Gruppe stärker in den Fokus von Arbeits- und Sozialpolitik rücken und die Ursachen beleuchtet werden, warum sie nicht arbeiten und welche Rahmenbedingungen es braucht, damit sie in den Arbeitsmarkt wieder einsteigen.

Für Interviewanfragen steht Sabine Rehbichler, die Geschäftsführerin von arbeit plus, gerne zur Verfügung.

Die Arbeitsmarktreform wird nicht realisiert

arbeit plus hat sich von Beginn an für eine differenzierte Betrachtungsweise eingesetzt.

Die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine vordergründige Tendenz handelt. Gruppen wie Jugendliche oder Langzeiterwerbsarbeitslose, vor allem Frauen und Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen profitieren von der aktuellen positiven Lage am Arbeitsmarkt nur unzureichend. 

„Das Ziel der Arbeitsmarktreform war eine Verbesserung, um mehr Menschen schneller in den Arbeitsmarkt zu bringen. Die erhoffte schnelle Lösung war dabei von Beginn an ein Wunschtraum,“ so Sabine Rehbichler, Geschäftsführerin von arbeit plus Österreich.

„Für eine Reform braucht es differenzierte Ansätze: Eine Streichung des Zuverdienstes etwa führt laut Evidenz dazu, dass Menschen, die kurz arbeitslos sind, eher schneller wieder einen Job annehmen. Für Menschen, die länger aus dem Arbeitsmarkt sind, ist ein geringfügiger Zuverdienst oft der entscheidende Schritt zum Wiedereinstieg,“ so Rehbichler.

„Schade, dass man sich nicht vom großen Wurf verabschiedet hat und sich auf die Dinge konzentriert, die in der aktuellen Arbeitsmarktsituation und Teuerung wichtig sind: Valorisierung der Leistungen, insbesondere der Notstandshilfe, differenzierter Zuverdienst, aktive Unterstützung für Menschen, die nicht von der Konjunktur mitgenommen wurden und immer noch arbeitslos sind – etwa mit gesundheitlichen Einschränkungen oder multiplen Herausforderungen.“

Was die Abschaffung der Notstandshilfe für betroffene Menschen bedeuten würde?


Im Jahr 2018 wurde im Parlament unter der türkis/blauen Regierung die ersatzlose Streichung der Notstandshilfe angedacht. Demzufolge wären die Betroffenen nur noch entweder auf ALG oder auf Mindestsicherung angewiesen gewesen. arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich startete daraufhin die Kampagne „SOS Notstandshilfe“ mit einem Solidaritätsangebot für Bürger*innen, NGOs und Bürgermeister*innen in Form von Bereitstellung von Printmaterial und Veranstaltungsreihen.
Ausgangspunkt waren folgende 2 Fakten:

  1. Wäre die Notstandshilfe 2018 in Österreich abgeschafft worden, hätte damals auf einen Schlag 121.000 arbeitslose Menschen ihre Existenzgrundlage verloren. Sie fallen damit automatisch durch das Sicherheitsnetz, also direkt vom Arbeitslosengeld in die Mindestsicherung. Heute, im Jahr 2022, wären 176.000 Personen davon betroffen.
  2. Die Abschaffung der Notstandshilfe betraf laut einer Berechnung des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) im Jahr 2018 vor allem Menschen mit einer Behinderung (37.000), Personen, die älter als 50 Jahre sind (zu ca. einem Drittel) und Menschen ausschließlich mit Pflichtschulabschluss.

Eine Streichung der Notstandshilfe wäre die Einführung von Hartz IV auf Österreichisch. Und wir können uns bei unseren deutschen Nachbarn anschauen, wohin Hartz IV führt: Nämlich in Armut und ein Endlos-Hamsterrad ohne Perspektiven. Hartz IV hat in Deutschland aus armen Arbeitslosen arme Erwerbstätige gemacht. Das wollen wir nicht für Österreich!

Ziel der Kampagne im 2018 war konkret Stellung zu beziehen und die Vorstellungen einer gerechten Arbeitslosenversicherung gegenüber Entscheidungsträgerinnen zu formulieren. Die Arbeiterkammer hatte zusätzlich unter dem Titel „Darf’s ein bisserl fair sein“ eine Befragung lanciert, welche individuelle Bedürfnisse von Arbeitnehmer*innen und Arbeitsuchenden erfragte.
Nach Sprengung der Koalition unter dem ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz im Jahr 2019 war auch das Thema der Sprengung der Notstandshilfe schlagartig vom Tisch und die Kampagne fand ihr glückliches Ende.

Wer wissen möchte, wie viel Notstandshilfe ihm oder ihr zum heutigen Tag zusteht findet den Notstandshilfe-Rechner auf finanz.at

Weitere aktuelle Information für Betroffene zum Thema Notstandshilfe sind auf den AMS-Websiten zu finden.

Weitere Informationen zur Kampagne von 2018 können bei arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich angefragt werden.

Nachlese Innovation Lab: Arbeit in der Krise?

Der österreichische Arbeitsmarkt befindet sich in der größten Krise seit 1946: mehr als eine halbe Million Menschen sind ohne Job, mehr als 1,4 Millionen weitere sind in Kurzarbeit. Insgesamt ist also beinahe ein Drittel der Erwerbsbevölkerung von Jobverlust oder Verkürzung der Arbeitszeit betroffen. Und auch für diejenigen, die weiterhin einen Job haben, ist vieles nicht mehr so wie zuvor: Zahlreiche Menschen arbeiten im Home Office, Arbeiter*innen in den „systemrelevanten“ Berufen sind noch größeren Belastungen und Risiken ausgesetzt und die bisher vielfach ausgelagerte Sorgearbeit muss wieder innerhalb des Haushalts verteilt werden, oft zulasten der Frauen. 

Drei spannende Inputs thematisierten im Rahmen des arbeit plus Innovation Labs am 19. Mai 2020 diese Umwälzungen am Arbeitsmarkt und deren Folgen. Helmut Mahringer (WIFO) gab einen Überblick über die Entwicklungen am Erwerbsarbeitsmarkt und den Anstieg der Arbeitslosigkeit, der hauptsächlich Menschen im Haupterwerbsalter und überproportional stark Arbeiter*innen und Angestellte betrifft. Das WIFO prognostiziert für das Jahr 2020 eine Arbeitslosenquote von 8,7% bis deutlich über 9% sowie einen deutlichen Beschäftigungsrückgang von rund 1,7%. Von politischer Seite wird es in den nächsten Jahren notwendig sein, Verfestigungstendenzen entgegenzuwirken. 

Die „Corona-Kurzarbeit“ fängt einen noch stärkeren Beschäftigungsrückgang ab. Dennis Tamesberger (AK OÖ) gab einen Überblick über das österreichische Kurzarbeitsmodell, das mittlerweile mehr als 1,4 Millionen Arbeitnehmer*innen in Anspruch nehmen. Deutlich ist dabei, dass Kurzarbeit für Betriebe günstiger ist als eine Kündigung und auch für den Staat wenig Mehrkosten im Vergleich zur Arbeitslosigkeit bringt. Für die betroffenen Arbeitnehmer*innen bietet Kurzarbeit in jedem Fall mehr Planungssicherheit und ein höheres Einkommen. Gleichzeitig machen derzeit viele Menschen Erfahrungen mit einer Arbeitszeitverkürzung. Das könnte auch als Anstoß für weitere Diskussionen in diese Richtung dienen. 

Die Krise verändert nicht nur den Erwerbsarbeitsmarkt, sondern Arbeit als Ganzes. Darauf machte Katharina Mader (WU Wien) in ihrem Input aufmerksam. Krisen wirken immer als Vergrößerungsglas auf bestehende Ungleichheiten. Gerade in Bezug auf die ungleiche Verteilung und Bewertung von Arbeit abseits der Erwerbsarbeit ist das in der Corona-Krise besonders deutlich. Frauen geben in aktuellen Befragungen an, den Großteil der Verantwortung für die Sorgearbeit, etwa Kinderbetreuung, zu tragen und dadurch sowohl vom Staat als auch von ihren Partnern nur unzureichend unterstützt zu werden. Die Politik muss in Zukunft Gleichstellungsagenden aktiv aufgreifen und vorantreiben. Vor allem aber muss der Arbeitsbegriff breiter definiert werden, denn Sorgearbeit ist nicht einfach nur Arbeit „aus Liebe“, es ist notwendige Arbeit, ohne die Erwerbsarbeit gar nicht möglich wäre. 

In der Diskussion wurden auch Parallelen mit der Krise 2008/9 gezogen, insbesondere in Hinblick auf die Entwicklung der Langzeitbeschäftigungslosigkeit. Diese stieg zeitverzögert, also nach der Rezession, stark an und bleibt bis heute auf einem hohen Niveau. Eine ähnliche Entwicklung ist in den kommenden Jahren zu befürchten.

Eine zukunftsgerichtete, innovative Arbeitsmarktpolitik „für die vielen“ kann dem entgegenwirken!