Nachlese Innovation Lab: Arbeit in der Krise?

Der österreichische Arbeitsmarkt befindet sich in der größten Krise seit 1946: mehr als eine halbe Million Menschen sind ohne Job, mehr als 1,4 Millionen weitere sind in Kurzarbeit. Insgesamt ist also beinahe ein Drittel der Erwerbsbevölkerung von Jobverlust oder Verkürzung der Arbeitszeit betroffen. Und auch für diejenigen, die weiterhin einen Job haben, ist vieles nicht mehr so wie zuvor: Zahlreiche Menschen arbeiten im Home Office, Arbeiter*innen in den „systemrelevanten“ Berufen sind noch größeren Belastungen und Risiken ausgesetzt und die bisher vielfach ausgelagerte Sorgearbeit muss wieder innerhalb des Haushalts verteilt werden, oft zulasten der Frauen. 

Drei spannende Inputs thematisierten im Rahmen des arbeit plus Innovation Labs am 19. Mai 2020 diese Umwälzungen am Arbeitsmarkt und deren Folgen. Helmut Mahringer (WIFO) gab einen Überblick über die Entwicklungen am Erwerbsarbeitsmarkt und den Anstieg der Arbeitslosigkeit, der hauptsächlich Menschen im Haupterwerbsalter und überproportional stark Arbeiter*innen und Angestellte betrifft. Das WIFO prognostiziert für das Jahr 2020 eine Arbeitslosenquote von 8,7% bis deutlich über 9% sowie einen deutlichen Beschäftigungsrückgang von rund 1,7%. Von politischer Seite wird es in den nächsten Jahren notwendig sein, Verfestigungstendenzen entgegenzuwirken. 

Die „Corona-Kurzarbeit“ fängt einen noch stärkeren Beschäftigungsrückgang ab. Dennis Tamesberger (AK OÖ) gab einen Überblick über das österreichische Kurzarbeitsmodell, das mittlerweile mehr als 1,4 Millionen Arbeitnehmer*innen in Anspruch nehmen. Deutlich ist dabei, dass Kurzarbeit für Betriebe günstiger ist als eine Kündigung und auch für den Staat wenig Mehrkosten im Vergleich zur Arbeitslosigkeit bringt. Für die betroffenen Arbeitnehmer*innen bietet Kurzarbeit in jedem Fall mehr Planungssicherheit und ein höheres Einkommen. Gleichzeitig machen derzeit viele Menschen Erfahrungen mit einer Arbeitszeitverkürzung. Das könnte auch als Anstoß für weitere Diskussionen in diese Richtung dienen. 

Die Krise verändert nicht nur den Erwerbsarbeitsmarkt, sondern Arbeit als Ganzes. Darauf machte Katharina Mader (WU Wien) in ihrem Input aufmerksam. Krisen wirken immer als Vergrößerungsglas auf bestehende Ungleichheiten. Gerade in Bezug auf die ungleiche Verteilung und Bewertung von Arbeit abseits der Erwerbsarbeit ist das in der Corona-Krise besonders deutlich. Frauen geben in aktuellen Befragungen an, den Großteil der Verantwortung für die Sorgearbeit, etwa Kinderbetreuung, zu tragen und dadurch sowohl vom Staat als auch von ihren Partnern nur unzureichend unterstützt zu werden. Die Politik muss in Zukunft Gleichstellungsagenden aktiv aufgreifen und vorantreiben. Vor allem aber muss der Arbeitsbegriff breiter definiert werden, denn Sorgearbeit ist nicht einfach nur Arbeit „aus Liebe“, es ist notwendige Arbeit, ohne die Erwerbsarbeit gar nicht möglich wäre. 

In der Diskussion wurden auch Parallelen mit der Krise 2008/9 gezogen, insbesondere in Hinblick auf die Entwicklung der Langzeitbeschäftigungslosigkeit. Diese stieg zeitverzögert, also nach der Rezession, stark an und bleibt bis heute auf einem hohen Niveau. Eine ähnliche Entwicklung ist in den kommenden Jahren zu befürchten.

Eine zukunftsgerichtete, innovative Arbeitsmarktpolitik „für die vielen“ kann dem entgegenwirken!

Arbeitsmarktpolitik, die niemanden zurücklässt, ist das Gebot der Stunde

arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich warnt zum „Tag der Arbeitslosen“ am 30. April vor einer massiven Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit 

Angesichts der dramatischen Situation am österreichischen Arbeitsmarkt – mehr als 600.000 Menschen sind ohne Arbeit, weitere 1,1 Millionen in Kurzarbeit – wird so deutlich wie nie zuvor, wie schnell Erwerbsarbeitslosigkeit jede und jeden treffen kann. Die Konsequenzen von Arbeitslosigkeit sind erheblich, vor allem wenn sie lange andauert. Wie wichtig es ist, bezahlte Arbeit zu haben, war seit der Nachkriegszeit nicht mehr so eindrücklich zu spüren wie heute. Noch ist nicht absehbar, wie tief die kommende Rezession aufgrund der Corona Pandemie ausfallen und wie lange sie andauern wird. Klar ist allerdings, dass es zu einem massiven Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit kommen wird. 

Besonders betroffen: Ältere Menschen, Geringqualifizierte und prekär Beschäftigte
Besonders betroffen sind jene Menschen, die es bereits vor der Krise auf dem Arbeitsmarkt schwer hatten: Ältere Menschen, Menschen mit niedriger formaler Bildung, prekär Beschäftigte und Geringverdiener*innen. Erste Auswertungen der Universität Wien zeigen, dass vor allem diese Gruppen in der aktuellen Corona-Krise als erste von Kündigungen betroffen sind. Für diese Menschen gilt es gerade jetzt, ausreichend arbeitsmarktpolitische Angebote und Beratungen bereitzustellen, um das Risiko einer lang andauernden Arbeitslosigkeit zu verhindern.

Neue Perspektiven und Beschäftigungsmodelle
„Es braucht jetzt dringend mutige Angebote in der aktiven Arbeitsmarktpolitik und neue Perspektiven für Menschen, die ihren Job verloren haben. Wir dürfen niemanden zurücklassen“, fordert Arbeitsmarktexpertin Schifteh Hashemi, Geschäftsführerin von arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich. Voraussetzung ist ein Arbeitslosengeld, das weniger eine Überbrückungshilfe, sondern vielmehr eine dauerhaft existenzsichernde Leistung ist. „Neben der Existenzsicherung während der Arbeitslosigkeit und der gezielten Unterstützung beim Wiedereinstieg in den Job durch das AMS, sind innovative und dauerhafte Beschäftigungsmodelle in Sozialen Unternehmen und Beratungsangebote notwendig, die auch auf die enormen psychischen Belastungen durch die Krise reagieren“, so Hashemi. 

Strukturen finanzieren, Menschen beim Wiedereinstieg unterstützen
Um die Unterstützung für Arbeitssuchende aufrecht zu erhalten und ausbauen zu können, muss die Finanzierung des AMS sowie der Strukturen der Sozialen Unternehmen durch die öffentliche Hand sichergestellt sein. „Die Sozialen Unternehmen sind weiterhin im Einsatz, um Menschen beim Wiedereinstieg zu unterstützen. Wesentlich ist, dass jetzt und in Zukunft nicht bei den Leistungen der aktiven und passiven Arbeitsmarktpolitik gespart wird – denn es wird sie mehr als je zuvor brauchen. Wir können die massiven Herausforderungen am Arbeitsmarkt nur gemeinsam und mit ausreichenden Budgets stemmen“, so Hashemi.

Zahlen und Daten zu Erwerbsarbeitslosigkeit*

  • Im März 2020 waren österreichweit 504.345 Personen beim AMS als arbeitssuchend gemeldet, weitere 58.177 Personen befanden sich in Schulungen. Insgesamt sind derzeit mehr als eine halbe Million Menschen ohne Arbeit. Gegenüber dem März 2019 ist ein Anstieg von mehr als 52%. 
  • Die 504.345 arbeitsuchenden Personen spalten sich folgendermaßen auf die Bundesländer auf: Wien: 165.047, NÖ: 78.440, OÖ: 57.808, Salzburg: 29.107, Kärnten: 37.266, Tirol: 43.077, Vorarlberg: 15.788, Steiermark: 63.998, Burgenland: 13.814
  • Der Anstieg der Erwerbsarbeitslosen (inkl. Schulungsteilnehmer*innen) entfällt nach Bundesländern folgendermaßen: Wien: 30,7%, NÖ: 40,8%, OÖ: 52,9%, Salzburg: 112,3%, Kärnten: 58,3%, Tirol: 174,2%, Vorarlberg: 58,9%, Steiermark: 71,6%, Burgenland: 47,4%. 
  • Im März waren 105.236 Menschen als langzeitbeschäftigungslos registriert, also mehr als 365 Tage in verschiedenen Vormerkformen beim AMS gemeldet. Diese Zahl ist gegenüber Februar 2020 bereits leicht gestiegen und liegt erstmals seit beinahe einem Jahr wieder über der 100.000 Marke. Das WIFO prognostiziert einen weiteren Anstieg.

*Quelle: AMS Österreich

arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich
Die mehr als 200 Mitglieder des Netzwerkes arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich unterstützen arbeitsuchende Menschen durch Beratung, Qualifizierung und Beschäftigung. Ihre Tätigkeitsfelder reichen von Einzelhandel über Reparaturservices bis hin zu Weiterbildung und Trainings. Sie beschäftigen in ganz Österreich rund 40.000 Menschen pro Jahr. Weitere 100.00 Menschen finden Unterstützung durch Beratung und Qualifizierung.

Zahlreiche Soziale Unternehmen im Netzwerk von arbeit plus leisten ihren solidarischen Beitrag und haben ihre Arbeitsweisen an den aktuellen Krisenmodus angepasst – mit adaptierten Online-Beratungsangebote, regionalen Einkaufsdienste zur Unterstützung von besonders gefährdeten Personengruppen, oder etwa der österreichweite Zusammenschluss #maskforce, mit dem spontan und innovativ auf den Bedarf an MNS-Masken reagiert wurde, wird nicht nur zur Eindämmung von COVID-19, sondern auch zur Erhaltung von Arbeitsplätzen in Sozialökonomischen Betrieben beigetragen. 

Rückfragehinweis:
Dr.in Martina Könighofer
Öffentlichkeitsarbeit
arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich
martina.koenighofer@arbeitplus.at
mob: +43 699 18 10 24 33

Nachlese: arbeit plus Innovation Lab „Das war die Aktion 20.000 – wie weiter?“

Im Innovation Lab, das am 22. Jänner 2020 im SCHÖN&GUT Social Concept Store in Wien stattfand, setzten wir uns mit der Frage „Das war die Aktion 20.000 – wie weiter?“ auseinander. Die Idee hinter den arbeit plus Innovation Labs, nämlich offene Denk- und Experimentierräume rund um das Thema Arbeit zu gestalten und mit unterschiedlichen Kooperationspartner*innen in regen Diskurs zu treten, konnte besonders anhand dieses Themas und im Rahmen dieser Veranstaltung gut in die Tat umgesetzt werden.

arbeit plus hatte in Kooperation mit der Arbeiterkammer Teilnehmer*innen der Aktion 20.000 befragt, welche Auswirkungen die arbeitsmarktpolitische Maßnahme für Langzeitarbeitslose 50+ auf ihr Leben hatte. Diese Videoclips, sowie Langversionen der Videos, wurden im Innovation Lab präsentiert. Nach einer Begrüßung durch Gastgeber Thomas Rihl, Geschäftsführer von JobTransFair, sowie einleitenden Worten von Judith Pühringer (Geschäftsführung arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich) und Gernot Mitter (Arbeitsmarktpolitikexperte der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der Arbeiterkammer Wien), sprach Moderatorin Clara Moder (Grundlagenarbeiterin arbeit plus) mit der Filmemacherin Emée Soulcié über ihre Eindrücke bei den Videodrehs.

Besonders durften wir uns darüber freuen, dass auch einige der Interviewpartner*innen anwesend waren!

Die Beiträge der Aktion 20.000 Teilnehmer*innen zeigen eindrücklich, wie wichtig öffentlich geförderte Maßnahmen für ältere Langzeit-Erwerbsarbeitslose sind. Besonders die Langversionen der Interviews, in denen neben den Teilnehmer*innen auch Kolleg*innen und Kund*innen zu Wort kommen, zeigen den sozialen, gesellschaftspolitischen, ökologischen sowie individuellen Mehrwert der Aktion.

Nachdem die Aktion 20.000 vorzeitig gestoppt wurde, hat die Arbeiterkammer Wien mit der „Chance 45“ eine mögliche Folgevariante entwickelt. Dieses Konzept wurde im Rahmen des Innovation Labs von Simon Theurl (AK Wien) vorgestellt:

Chance 45 - Das AK Modell zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit

Gerd Kronheim, Obmann der bbs – Beschäftigungsbetriebe Steiermark und Vorstandsmitglied von arbeit plus, berichtete von den Chancen, die sich für die Sozialen Unternehmen durch öffentlich geförderte Beschäftigung eröffnen.

Hintergrund:

Das Sozialministerium veröffentlichte Mitte Dezember 2019 die > Studie zur Wirksamkeit der Aktion 20.000. Die gesamte Evaluierung durch prospect ist > hier nachzulesen.

Die Aktion 20.000 war ein einzigartiges Angebot für ältere Langzeitbeschäftigungslose, deren Potential durch das vorzeitige Ende ungenutzt blieb. Sie wurde laut Studie vom AMS begrüßt, da sie ein Angebot für eine Gruppe darstellte, für die ansonsten keine Angebote zur Verfügung standen. Insgesamt wären rund 75.000 Personen förderbar gewesen – mit 3.824 Teilnehmer*innen wurde das Potential nur zu 5% genutzt.

In Hinblick auf arbeitsmarktpolitische Faktoren ist die Aktion 20.000 ein Erfolg: rund ein Drittel der Teilnehmer*innen waren drei Monate nach Ende der Förderung in ungeförderter Beschäftigung, knapp 4% in geförderter Beschäftigung und 1,7% in Qualifizierung. In Summe ist das eine „positive Arbeitsmarktpositionierung“ für 37,3% aller Teilnehmer*innen zum Stichtag.

Bemerkenswert in der Befragung der Teilnehmer*innen ist die extrem hohe Zustimmung dazu, dass die Menschen „begeistert sind, endlich wieder arbeiten zu können“. 90% sowohl der Teilnehmer*innen als auch der Abbrecher*innen stimmen dieser Aussage zu. Die Teilnehmer*innen erachteten ihre Tätigkeit als persönlich sinnstiftend und auch gesellschaftlich sinnvoll. Besonders wirkungsvoll wurde die Teilnahme in Hinblick auf berufliche Weiterentwicklung wahrgenommen.

Langzeitbeschäftigungslose Menschen über 50 Jahre haben de facto keine Arbeitsmarktintegrationschancen mehr. Deshalb braucht es gezielte Angebote, um gesellschaftliche Bilder zu korrigieren und Potentiale und Können von älteren Menschen zu nützen.

Angesichts des hohen Beschäftigungspotentials im gemeinnützigen und öffentlichen Sektor sollte für eine Neuauflage des Programmes dieser Aspekt unbedingt berücksichtigt und ebenso Beschäftigung im privaten Sektor ermöglicht werden. Besonders wichtig für eine Weiterführung ist ein differenziertes Fördermodell (degressives Lohnkostenzuschussmodell), langfristige Beschäftigungsoptionen, begleitende Qualifizierung sowie ein gutes Matching von Teilnehmer*innen und Dienstgeber*innen.

Zum Tag der Arbeitslosen: „Niemand darf am beruflichen Abstellgleis landen“

Im Zuge der aktuell weiter steigenden Langzeitarbeitslosigkeit droht das wichtigste Grundprinzip der Arbeitsmarktpolitik ins Wanken zu geraten, nämlich das Risiko der Arbeitslosigkeit möglichst gleich zu verteilen und somit allen arbeitssuchenden Menschen die benötigten Hilfestellungen zu geben, warnt arbeit plus-Geschäftsführerin Judith Pühringer zum „Tag der Arbeitslosen“ (30. April). Pühringer: „Die aktuellen Probleme am Arbeitsmarkt dürfen nicht dazu führen, dass Menschen am beruflichen Abstellgleis landen.“

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Judith Pühringer warnt vor einer Mehrklassengesellschaft bei der Unterstützung durch das AMS.

„Wenn die Regierung die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik nicht endlich im Verhältnis zu den wachsenden Arbeitslosenzahlen erhöht, dann droht eine Mehrklassengesellschaft bei der Unterstützung durch das AMS. Jene, denen geringe Jobchancen bescheinigt werden, erhalten dann kaum noch passende arbeitsmarktintegrative Angebote“, argumentiert Pühringer: „Diese Gruppe in Ruhe zu lassen heißt, sie im Stich zu lassen. Die Folgen sind eine sehenden Auges produzierte Armut und Perspektivenlosigkeit. Das darf nicht passieren.“

Soziale Unternehmen als Integrationsprofis

arbeit plus ist das österreichweite Netzwerk von 200 Sozialen Unternehmen im arbeitsmarktpolitischen Bereich. Diese unterstützen Menschen, die der Arbeitsmarkt benachteiligt, durch Beschäftigung, Beratung und Qualifizierung auf dem Weg zurück ins Erwerbsleben. Auch in der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt können gemeinnützige Soziale Unternehmen eine wichtige Rolle spielen, ist Pühringer überzeugt: „Soziale Unternehmen haben als Integrationsprofis die besten Voraussetzungen dafür, Flüchtlinge nachhaltig ins Erwerbsleben zu integrieren. Um dieses Potenzial optimal nutzen zu können, sind aber modernere und flexiblere Rahmenbedingungen nötig.“

Auf politischer Ebene setzt sich arbeit plus angesichts der aktuell dramatischen Lage auf dem Arbeitsmarkt für ein zusätzliches Investitionspaket für die aktive Arbeitsmarktpolitik, den weiteren Ausbau von qualitativ hochwertigen Sprachkursen für Flüchtlinge sowie rasche und qualitätsvolle Asylverfahren ein.

Jobmesse eröffnet älteren Arbeitsuchenden in Wien Perspektiven

Über 1800 BesucherInnen kamen zur achten Jobmesse des Dachverbands sozial-ökonomischer Betriebe Wien, die erstmals im Rathaus stattfand. Das große Interesse an den Infoangeboten und Workshops zeigt die hohe Motivation, mit der Ältere an die Jobsuche gehen. Auf diese am Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppe richten sich derzeit die Angebote sozial-integrativer Betriebe. Zahlreiche Jobs konnten bei der Messe direkt vermittelt werden.

Bei der Pressekonferenz bestätigte Wirtschaftsstadträtin und Vizebürgermeisterin Renate Brauner ihre Bedeutung für Wien: „Die sozialintegrativen Betriebe in Wien sind DIE Brücke auf dem Weg zurück in den Arbeitsmarkt, weil sie tatsächlich auch Beschäftigung anbieten. Ein Schwerpunkt liegt dabei zu Recht auf der Unterstützung benachteiligter älteren WienerInnen, die Gefahr laufen, den Anschluss an den Arbeitsmarkt zu verlieren“, so Renate Brauner. Der Themenfokus der Jobmesse lag bei der Generation 50+, der insgesamt derzeit ein Schwerpunkt Wiens sozial-integrativer Unternehmen ist. DSE-Präsident Walter Wojcik: „Zunächst hatten die Betriebe Ängste, aber das Experiment funktioniert sehr gut. Der Arbeitsmarkt verändert sich, es gibt immer wieder auch 60jährige, die einen Job finden“. AMS-Wien-Chefin Petra Draxl gibt grünes Licht für Veränderungen: „Wir arbeiten jetzt intensiv daran, die Mittel aufzustellen, um die sozial-ökonomischen Betriebe für eine noch größere Zielgruppe zu öffnen“. „Derzeit deutet alles darauf hin, dass uns das gelingen wird und wir bald schon etwa auch Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Langzeitbeschäftigungslosen unter 50 Jahren den Zugang zum Zweiten Arbeitsmarkt ermöglichen können.“

Pressekonferenz mit Vizebürgermeisterin Renate Brauner, DSE-Präsident Walter Wojcik und AMS Wien-Chefin Petra Draxl

Pressekonferenz mit der Wiener Vizebürgermeisterin Renate Brauner, DSE-Präsident Walter Wojcik und AMS Wien-Chefin Petra Draxl

Schwierige Jobsuche für Silver Ager

Fast jeder vierte Arbeitsuchende in Wien ist über 50 Jahre alt, zugleich steigt aber auch die Beschäftigung in dieser Altersgruppe. Menschen sollen länger im Arbeitsleben bleiben. Die Altersgrenzen für die Pension werden erhöht, umgekehrt sinkt bei vielen Unternehmen die Bereitschaft, ältere Menschen zu beschäftigten. Hier ist ein Umdenken dringend gefragt, denn bereits in wenigen Jahren wird der Großteil der Belegschaft über 45 Jahre alt sein. Als Konsumgruppe sind Best Ager gefragt, doch bei der Jobsuche sind viele mit Diskriminierung konfrontiert. Auf Nachfrage bei einer Bewerbung erhielt Renate Lederer, 53, die Antwort „Bei ihrem Jahrgang schauen wir uns die gar nicht mehr an“. Heute hat die in vielen Branchen versierte Buchhalterin und mehrsprachige Chefsekretärin durch den gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlasser itworks wieder einen Job in einer Steuerberatungskanzlei im 8. Bezirk gefunden. Vorteil des gemeinnützigen Integrationsleasings ist, den/die zukünftigen MitarbeiterIn im Arbeitsalltag kennenzulernen; eine gute Chance, um Vorurteile abzubauen.

Erfahrung hat viele Gesichter

Individuelle Beratung und Betreuung ist gerade für die Generation Gold auf Arbeitssuche wichtig. So positiv lange und vielfältige Berufserfahrung ist, bringt die persönliche Lebenserfahrung auch den Umgang mit Verlusten und manchmal mit körperlichen Schwächen mit sich. Oft erfordert dies, sich mit 50 noch einmal beruflich völlig neu zu orientieren. So war es bei Vesna Fikic. Viele Jahre arbeitete sie als Kellnerin und Produktionsarbeiterin, als sie 2012 arbeitslos wurde. Körperliche Probleme und persönliche Schicksalsschläge warfen sie eine Zeit lang aus der Bahn. Durch die intensive Unterstützung von FAB (Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung) und dem gemeinsamen Suchen nach Alternativen kam sie zu einer Ausbildung als Heimhelferin. Am Tag nach dem Abschluss trat sie bereits ihren Job im Obdachlosenheim „Haus Leo“ an.

Die vielfältigen Stärken der Erfahrung sichtbar machen ist die Kernidee, der biografieorientierten Kompetenzenbilanz, die Job-TransFair Menschen ab 55 Jahren anbietet. Gerade ältere Arbeitsuchende brauchen ein breit gefächertes Netzwerk an Unternehmenskontakten, über das sozial-integrative Betriebe verfügen. Zum Glück für Dieter Bonau, der durch die Beratungsstelle EUSPUG wieder einen Job fand. Der studierte Betriebswirt legte in den 90er Jahren eine beachtliche Karriere in der Druckbranche hin. Er baute Standorte in der Schweiz und Deutschland auf, bis das Unternehmen in die Insolvenz schlitterte und in Teilbereiche zerschlagen wurde. Morgen tritt der 57-Jährige in Frankfurt seinen neuen Job als Controller an und widerlegt damit ein gängiges Vorurteil, Älteren mangle es an Flexibilität und Lernbereitschaft.

Kommentar: Plädoyer gegen eine „Mehrklassengesellschaft“ am Arbeitsmarkt

Schlechte Nachrichten vom Arbeitsmarkt sind in den vergangenen Jahren zur Gewohnheit geworden: Seit August 2011 wird in den österreichischen Tageszeitungen jedes Monat von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit berichtet. 2011 lag die Zahl der beim AMS vorgemerkten Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt „nur“ bei 246.702 Personen. Für 2015 erwartet das AMS durchschnittlich bereits 353.500 Arbeitslose und bis 2019 wird ein weiterer Anstieg auf fast 400.000 Arbeitslose im Jahresdurchschnitt erwartet. Wovon in den Medien seltener berichtet wird ist der Anstieg der sogenannten „langzeitbeschäftigungslosen Arbeitslosen“, also jener Menschen, die seit einem Jahr in verfestigter Arbeitslosigkeit befinden. Im August 2015 gab es mit 111.404 Personen fast doppelt so viele langzeitbeschäftigungslose Arbeitslose wie vor zwei Jahren. Damit ist bereits mehr als jeder dritte Arbeitslose in lange dauernder, verfestigter Erwerbsarbeitslosigkeit.

Parallel zum Anstieg der Arbeitslosigkeit sind die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik jedoch nicht in einem vergleichbaren Ausmaß von der Politik aufgestockt worden. Das Budget des AMS wuchs zwischen 2012 (971 Millionen Euro) und 2015 (1.140 Mill. Euro) um 17,4%. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im selben Zeitraum mit 35,6% doppelt so stark – von 260.643 (Jahresdurchschnitt 2012) auf 353.500 (Prognose für 2015). 2016 ist hier trotz der Verlängerung und Ausweitung der Beschäftigungsinitiative 50+ keine Trendwende zu erwarten.

Fazit: Immer mehr Menschen sind ohne Job. Gleichzeitig sinken die Chancen auf einen schnellen beruflichen Wiedereinstieg. Das arbeitsmarktpolitische Budget ist jedoch nicht im nötigen Ausmaß gestiegen. Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO bestätigte dies gegenüber dem ORF: „Wir haben mehr Arbeitslose und auch mehr Arbeitslose, die intensive Betreuung benötigen. Aus beiden Gründen wäre eine Erhöhung der (Mittel für die, Anm. d. A.) aktiven Arbeitsmarktpolitik sinnvoll.“

AMS auf neuen Wegen

Bisher war es das erklärte Ziel des AMS, das Risiko arbeitslos zu werden möglichst gleich zu verteilen. Durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik soll der Arbeitsmarkt in Bewegung gehalten werden. „Langzeitarbeitslosigkeit müssen wir scheuen. Uns ist viel lieber vier Menschen sind drei Monate lang arbeitslos als einer ein Jahr“ sagte AMS Vorstand Johannes Kopf im Juli 2015 der Tageszeitung Kurier. Derzeit konzentriert sich die Arbeitsmarktpolitik folgerichtig vor allem auf jene Gruppen, deren Integration in den Arbeitsmarkt am schwierigsten ist. So soll lange anhaltende Arbeitslosigkeit so weit wie möglich vermieden werden. Denn Langzeitarbeitslosigkeit führt nicht nur zu Armut und Ausgrenzung, sondern entwertet auch die Qualifikationen und Berufserfahrungen der betroffenen Menschen. Dadurch wird der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt selbst bei einer (derzeit nicht absehbaren) Verbesserung der Konjunktur erschwert.

Der aktuelle Anstieg der Langzeitbeschäftigungslosigkeit zeigt jedoch, dass es dem AMS immer weniger gelingt sein Ziel der „Verfestigung von Arbeitslosigkeit bzw. dem dauerhaften Ausschluss aus dem Erwerbsleben entgegen zu wirken“ zu erfüllen. Auch sozialökonomische Betriebe und gemeinnützige Beschäftigungsbetriebe aus unserem Netzwerk berichten, dass die Vermittlung von TransitmitarbeiterInnen in den ersten Arbeitsmarkt deutlich schwieriger geworden ist. Innerhalb des AMS wird ein Kurswechsel diskutiert: Für Personen mit guten und sehr schlechten Integrationschancen könnte es in Zukunft weniger Unterstützungsangebote geben, damit sich das AMS auf jene Zielgruppen fokussieren kann, die zwar Vermittlungshürden haben, aber bei denen nach ausreichender Unterstützung eine Integration in den Arbeitsmarkt noch realistisch erscheint.

Ein solcher Ansatz des AMS ist auf den ersten Blick verständlich. Es ist die Reaktion auf die unzureichende Finanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik durch die Politik und der Versuch, das vorhandene Budget möglichst effektiv einzusetzen.

„Klassen-Modell“ in der Schublade

Ein derzeit im AMS diskutiertes Modell teilt seine KundInnen abhängig von ihren Integrationschancen und der ihnen zugeschriebenen, persönlichen Motivation in vier Gruppen auf:

  • Personen mit guten Chancen auf eine Integration in den Arbeitsmarkt und hoher Motivation, das sind rund die Hälfte der AMS-KundInnen, können sich selbst helfen und sollen über das Service für Unternehmen unterstützt werden.
  • Weitere 10 Prozent haben zwar gute Integrationsperspektiven, ein neuer Job scheitert allerdings aus AMS-Sicht am Willen. Für diese Gruppe sind keine Förderungen mehr vorgesehen. Das AMS setzt stattdessen auf Verbindlichkeit und eventuell Sanktionen.
  • 30 Prozent der KundInnen sind zwar hochmotiviert, haben aber mehrere Vermittlungshürden, die es abzubauen gilt. Für sie sollen ausreichend Zeit und Förderinstrumente zur Verfügung stehen.
  • Bei der vierten Gruppe treffen sich niedrige Motivation und geringe Chancen auf eine neue Beschäftigung. Mit diesen geschätzten 10 Prozent der KundInnen will das AMS den Kontakt deutlich reduzieren. Existenzsicherung wäre hier das vorrangige Ziel.

Ein solches Modell birgt die Gefahr, dass Menschen dauerhaft in „Schubladen“ gesteckt werden. Auch Personen, die bei der Suche nach Arbeit unzählige negative Erfahrungen gemacht haben, für sich selbst keine Perspektiven mehr sehen und versuchen sich mit dem Leben in „Arbeitslosigkeit zu arrangieren“ dürfen nicht aufgegeben werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie bis zur Pension dauerhaft in Arbeitslosigkeit festsitzen und permanent von Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen sind. Das darf nicht passieren.

Arbeit ist ein Menschenrecht

Es gibt keinen Grund auf eine nachhaltige Besserung der Wirtschaftslage und ein dauerhaftes Sinken der Arbeitslosigkeit zu warten. Um die Arbeitslosigkeit zu verringern bräuchte Österreich ein Wirtschaftswachstum von rund drei Prozent. Doch davon sind wir weit entfernt. Im Gegenteil: Abgesehen von kurzen Unterbrechungen steigt die Arbeitslosigkeit in Österreich seit dem Beginn der 1980er Jahre. Sowohl die Arbeitslosenquote als auch die absolute Zahl der arbeitslosen Menschen erreichen derzeit Werte, die es in der zweiten Republik noch nie gegeben hat. Tendenz weiter steigend.

Anstatt auf Wirtschaftswachstum zu warten müssen wir uns eine politische Frage stellen: Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Arbeitslosigkeit zu einem Massenphänomen geworden ist? Bruno Kreisky bereiteten ein „paar Milliarden mehr Schulden (…) weniger schlaflose Nächte als hunderttausend Arbeitslose.” Im August 2015 waren 327.145 Personen arbeitslos vorgemerkt und weitere 57.440 Personen befanden sich in Schulungen des AMS. Unter Kreisky wurde jedoch nicht nur durch ausgabenorientierte Wirtschaftspolitik Arbeitslosigkeit verringert, sondern auch durch die Verkürzung der Arbeitszeit. Zwischen 1970 und 1975 wurde die Wochenarbeitszeit von 45 auf 40 Stunden verkürzt und 1977 der gesetzliche Urlaubsanspruch von drei auf vier Wochen ausgedehnt.

Damit niemand im Regen stehen gelassen wird braucht es neben der Wiederentdeckung der Arbeitszeitverkürzung und den bestehenden Angeboten Sozialökonomischer Betriebe und Gemeinnütziger Beschäftigungsprojekte auch eine gezielte Förderung von dauerhaften Arbeitsplätzen für jene Menschen, die derzeit aufgrund der Rahmenbedingungen keine Perspektive auf dem regulären Arbeitsmarkt mehr haben. Das „Recht auf Arbeit“ ist ein Menschenrecht. Nehmen wir es ernst.

Eine gekürzte Fassung dieses Kommentars ist in „Arbeitsmarktpolitik Aktiv 1/15“ erschienen.

Judith Pühringer: „Kein Hartz IV in Österreich!“

„Wir brauchen nur über die Grenzen zu blicken, um zu sehen, wohin das deutsche Hartz IV-System die Menschen geführt hat: nämlich zu Armut und sozialer Ausgrenzung. Prekäre, also nicht existenzsichernde Jobs für möglichst viele arbeitslose Menschen kann nicht das Ziel sein“: Mit diesen Worten erteilt Judith Pühringer, Geschäftsführerin des Bundesdachverbands für Soziale Unternehmen, dem jüngsten Vorschlag von IV-Präsident Georg Kapsch eine klare Absage. Der Präsident der Industriellenvereinigung hatte im Gespräch mit dem Kurier Reformen nach dem deutschen Modell gefordert.

„Es muss um qualitätsvolle Jobs gehen“

„Prekäre Jobs für möglichst viele arbeitslose Menschen kann nicht das Ziel sein“, ist bdv austria-Geschäftsführerin Judith Pühringer überzeugt.

„In der Arbeitsmarktpolitik muss es um qualitätsvolle Jobs gehen, von denen die Menschen auch leben können“, ist Pühringer überzeugt: „Den Pfad von Hartz IV zu beschreiten hieße, die Grundfesten der österreichischen Arbeitsmarktpolitik zu verlassen – zum Nachteil für die arbeitslosen Menschen und die Gesellschaft.“

Dass Deutschland im Vergleich zu Österreich und anderen EU-Ländern niedrigere Arbeitslosenzahlen habe, läge zudem weniger an Hartz IV als an anderen strukturellen Gründen, so die Arbeitsmarktexpertin. So sei im Nachbarland beispielsweise ein Teil der Babyboomer-Generation – anders als in Österreich – schon in Pension. Zudem gäbe es dort ein höheres Wirtschaftswachstum.

An den Rand der Gesellschaft gedrängt

„Immer mehr Menschen werden in Deutschland über unwürdige und entwürdigende Arbeit in den Arbeitsmarkt integriert“, warnte auch der renommierte deutsche Soziologe Klaus Dörre bei der heurigen Armutskonferenz in Salzburg vor dem „Modell Deutschland“: Der Hochschulprofessor (Universität Jena) hat die Auswirkungen des Hartz IV-Modells auf die Gesellschaft untersucht. Das System zwinge arbeitslose Menschen in prekäre Beschäftigung, die nicht existenzsichernd sei und aus der sie nur schwer wieder herauskämen, so sein Resumee: „Nur 12 Prozent schaffen es, in bessere Arbeitsverhältnisse umzusteigen.“ Dazu komme die Ausgrenzung der Betroffenen, die damit immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt würden: „„Wer rund um Hartz IV verdient, ist gesellschaftlich nicht mehr respektiert. Hartz IV ist wie ein Hamsterrad, das Leute unterhalb der Schwelle der Respektabilität hält“, so Dörre wörtlich.

Das Hartz IV-System, benannt nach dem Leiter der Reformkommission, Peter Hartz, ist ein Regelwerk, das die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland effizienter gestalten sollte. Es sieht strenge Sanktionsmaßnahmen vor.