Arbeitsmarktpolitik, die niemanden zurücklässt, ist das Gebot der Stunde

arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich warnt zum „Tag der Arbeitslosen“ am 30. April vor einer massiven Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit 

Angesichts der dramatischen Situation am österreichischen Arbeitsmarkt – mehr als 600.000 Menschen sind ohne Arbeit, weitere 1,1 Millionen in Kurzarbeit – wird so deutlich wie nie zuvor, wie schnell Erwerbsarbeitslosigkeit jede und jeden treffen kann. Die Konsequenzen von Arbeitslosigkeit sind erheblich, vor allem wenn sie lange andauert. Wie wichtig es ist, bezahlte Arbeit zu haben, war seit der Nachkriegszeit nicht mehr so eindrücklich zu spüren wie heute. Noch ist nicht absehbar, wie tief die kommende Rezession aufgrund der Corona Pandemie ausfallen und wie lange sie andauern wird. Klar ist allerdings, dass es zu einem massiven Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit kommen wird. 

Besonders betroffen: Ältere Menschen, Geringqualifizierte und prekär Beschäftigte
Besonders betroffen sind jene Menschen, die es bereits vor der Krise auf dem Arbeitsmarkt schwer hatten: Ältere Menschen, Menschen mit niedriger formaler Bildung, prekär Beschäftigte und Geringverdiener*innen. Erste Auswertungen der Universität Wien zeigen, dass vor allem diese Gruppen in der aktuellen Corona-Krise als erste von Kündigungen betroffen sind. Für diese Menschen gilt es gerade jetzt, ausreichend arbeitsmarktpolitische Angebote und Beratungen bereitzustellen, um das Risiko einer lang andauernden Arbeitslosigkeit zu verhindern.

Neue Perspektiven und Beschäftigungsmodelle
„Es braucht jetzt dringend mutige Angebote in der aktiven Arbeitsmarktpolitik und neue Perspektiven für Menschen, die ihren Job verloren haben. Wir dürfen niemanden zurücklassen“, fordert Arbeitsmarktexpertin Schifteh Hashemi, Geschäftsführerin von arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich. Voraussetzung ist ein Arbeitslosengeld, das weniger eine Überbrückungshilfe, sondern vielmehr eine dauerhaft existenzsichernde Leistung ist. „Neben der Existenzsicherung während der Arbeitslosigkeit und der gezielten Unterstützung beim Wiedereinstieg in den Job durch das AMS, sind innovative und dauerhafte Beschäftigungsmodelle in Sozialen Unternehmen und Beratungsangebote notwendig, die auch auf die enormen psychischen Belastungen durch die Krise reagieren“, so Hashemi. 

Strukturen finanzieren, Menschen beim Wiedereinstieg unterstützen
Um die Unterstützung für Arbeitssuchende aufrecht zu erhalten und ausbauen zu können, muss die Finanzierung des AMS sowie der Strukturen der Sozialen Unternehmen durch die öffentliche Hand sichergestellt sein. „Die Sozialen Unternehmen sind weiterhin im Einsatz, um Menschen beim Wiedereinstieg zu unterstützen. Wesentlich ist, dass jetzt und in Zukunft nicht bei den Leistungen der aktiven und passiven Arbeitsmarktpolitik gespart wird – denn es wird sie mehr als je zuvor brauchen. Wir können die massiven Herausforderungen am Arbeitsmarkt nur gemeinsam und mit ausreichenden Budgets stemmen“, so Hashemi.

Zahlen und Daten zu Erwerbsarbeitslosigkeit*

  • Im März 2020 waren österreichweit 504.345 Personen beim AMS als arbeitssuchend gemeldet, weitere 58.177 Personen befanden sich in Schulungen. Insgesamt sind derzeit mehr als eine halbe Million Menschen ohne Arbeit. Gegenüber dem März 2019 ist ein Anstieg von mehr als 52%. 
  • Die 504.345 arbeitsuchenden Personen spalten sich folgendermaßen auf die Bundesländer auf: Wien: 165.047, NÖ: 78.440, OÖ: 57.808, Salzburg: 29.107, Kärnten: 37.266, Tirol: 43.077, Vorarlberg: 15.788, Steiermark: 63.998, Burgenland: 13.814
  • Der Anstieg der Erwerbsarbeitslosen (inkl. Schulungsteilnehmer*innen) entfällt nach Bundesländern folgendermaßen: Wien: 30,7%, NÖ: 40,8%, OÖ: 52,9%, Salzburg: 112,3%, Kärnten: 58,3%, Tirol: 174,2%, Vorarlberg: 58,9%, Steiermark: 71,6%, Burgenland: 47,4%. 
  • Im März waren 105.236 Menschen als langzeitbeschäftigungslos registriert, also mehr als 365 Tage in verschiedenen Vormerkformen beim AMS gemeldet. Diese Zahl ist gegenüber Februar 2020 bereits leicht gestiegen und liegt erstmals seit beinahe einem Jahr wieder über der 100.000 Marke. Das WIFO prognostiziert einen weiteren Anstieg.

*Quelle: AMS Österreich

arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich
Die mehr als 200 Mitglieder des Netzwerkes arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich unterstützen arbeitsuchende Menschen durch Beratung, Qualifizierung und Beschäftigung. Ihre Tätigkeitsfelder reichen von Einzelhandel über Reparaturservices bis hin zu Weiterbildung und Trainings. Sie beschäftigen in ganz Österreich rund 40.000 Menschen pro Jahr. Weitere 100.00 Menschen finden Unterstützung durch Beratung und Qualifizierung.

Zahlreiche Soziale Unternehmen im Netzwerk von arbeit plus leisten ihren solidarischen Beitrag und haben ihre Arbeitsweisen an den aktuellen Krisenmodus angepasst – mit adaptierten Online-Beratungsangebote, regionalen Einkaufsdienste zur Unterstützung von besonders gefährdeten Personengruppen, oder etwa der österreichweite Zusammenschluss #maskforce, mit dem spontan und innovativ auf den Bedarf an MNS-Masken reagiert wurde, wird nicht nur zur Eindämmung von COVID-19, sondern auch zur Erhaltung von Arbeitsplätzen in Sozialökonomischen Betrieben beigetragen. 

Rückfragehinweis:
Dr.in Martina Könighofer
Öffentlichkeitsarbeit
arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich
martina.koenighofer@arbeitplus.at
mob: +43 699 18 10 24 33

„Wir brauchen mehr Sozialökonomische Betriebe“

Wer sich schwer tut, im normalen Arbeitsmarkt einen Job zu finden hat die Möglichkeit, in einem sozialökonomischen Betrieb zu arbeiten. Die Volkshilfe etwa unterstützt seit 24 Jahren Langzeitarbeitslose, Wiedereinsteiger, Menschen mit Beeinträchtigungen oder benachteiligte Jugendliche bei der Integration in die Arbeitswelt. Dafür sind Förderungen der öffentlichen Hand nötig. Der Eigenerwirtschaftungsbeitrag beträgt bei der Volkshilfe rund 33 Prozent, der Rest wird zu zwei Dritteln vom AMS und zu einem Drittel vom Land OÖ getragen. Durch die hohen Kosten stehen sozialökonomische Betriebe oft in der Kritik – zu Unrecht, wie nun eine aktuelle Studie im Auftrag des AMS zeigt. „75 Prozent der entstandenen Kosten fließen bereits im ersten Förderjahr wieder zurück an die öffentliche Hand. Nach 2,8 Jahren hat sich das finanzielle Investment der öffentlichen Hand amortisiert“, sagt Karl Osterberger, Geschäftsführer der Volkshilfe Oberösterreich.

Hoher Nutzen für die Gesellschaft

Volkshilfe

Ein Arbeitsverhältnis stärkt die persönlichen Ressourcen.

Weitaus höher ist jedoch der soziale Nutzen für die Gesellschaft. Dieser wurde in aufwändigen Gesprächen mit 520 Transitmitarbeitern erhoben, die beim Volkshilfe Basar beschäftigt sind. So stabilisiert ein Arbeitsverhältnis die Lebensverhältnisse, stärkt die persönlichen Ressourcen und wirkt sich positiv auf den Gesundheitszustand aus. Rund 30 Prozent der Transitmitarbeiter schaffen zudem den Wiedereinstieg am ersten Arbeitsmarkt. „Berücksichtigt man diesen nicht-monetär messbaren Nutzen, ist bereits nach 9,8 Monaten der gesamtgesellschaftliche Nutzen der sozialökonomischen Betriebe höher als die dafür aufgewendeten Kosten“, so Osterberger. Der Social Return on Investment (SROI) tritt demnach nach weniger als einem Jahr ein.

Beschäftigungsprogramme ausbauen

Volkshilfe und AMS warnen daher davor, in Zeiten steigender Arbeitslosenzahlen bei den sozialökonomischen Betrieben den Sparstift anzusetzen. „Das jährliche Förderbudget von derzeit 1,14 Milliarden Euro soll aus heutiger Sicht im Jahr 2017 auf 879 Millionen Euro gesenkt werden. Sollte das wirklich passieren wird es schwierig, diese Fördermaßnahmen aufrecht zu erhalten“, sagt AMS-Landesgeschäftsführerin Birgit Gerstofer. Die Volkshilfe fordert sogar den Ausbau der sozialökonomischen Betriebe: „Der zweite Arbeitsmarkt wird angesichts der dramatisch hohen Arbeitslosigkeit wichtiger denn je. Abgesehen davon, dass der volkswirtschaftliche Nutzen nachgewiesen ist, geht es vor allem darum, den Menschen eine Chance und eine Perspektive zu geben“, so Osterberger. „Wenn wir die Mittel hätten, könnten wir die Zahl der sozialökonomischen Betriebe schon jetzt verdreifachen“, bestätigt auch Gerstorfer.

1700 Plätze in OÖ

Derzeit gibt es in Oberösterreich 32 dieser Betriebe und Beschäftigungsprojekte, die das AMS OÖ initiiert hat. Dort stehen Plätze für 1700 Personen zur Verfügung. Die Volkshilfe bietet etwa in Linz, Schärding und Steyr Beschäftigungsmöglichkeiten in der Verwaltung, in der Buchhaltung, im Lager, in der Reinigung, in der Textilsortierung, beim Zerlegen von Elektrogeräten, im Verkauf und im Transport. Hier werden nicht nur Menschen ins Arbeitsleben integriert sondern es wird auch ein nachhaltiger Beitrag zur Erhaltung der Umwelt geleistet. So wurden etwa im Vorjahr 2000 Tonnen Textilien gesammelt, die sortiert und aufbereitet und dann in einem der 16 Volkshilfe-Shops zu günstigen Preisen verkauft werden. „In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, namhafte Unternehmen als Kooperationspartner unserer Projekte zu gewinnen“, sagt Gerstorfer. Dazu gehören das Textilunternehmen Wozabal und die Energie AG. In Zusammenarbeit mit Spar betreibt die Caritas in Wels einen Supermarkt, in dem vorrangig schwer am Arbeitsmarkt vermittelbare Menschen arbeiten. Ein ähnliches Projekt ist in Kooperation mit Unimarkt ab dem Frühjahr geplant.

Zum Download:

SROI-Basar_Kurzzusammenfassung

SROI_Basar_Endbericht

*Wir danken der Stadtrundschau Linz für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.

Kommentar: Plädoyer gegen eine „Mehrklassengesellschaft“ am Arbeitsmarkt

Schlechte Nachrichten vom Arbeitsmarkt sind in den vergangenen Jahren zur Gewohnheit geworden: Seit August 2011 wird in den österreichischen Tageszeitungen jedes Monat von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit berichtet. 2011 lag die Zahl der beim AMS vorgemerkten Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt „nur“ bei 246.702 Personen. Für 2015 erwartet das AMS durchschnittlich bereits 353.500 Arbeitslose und bis 2019 wird ein weiterer Anstieg auf fast 400.000 Arbeitslose im Jahresdurchschnitt erwartet. Wovon in den Medien seltener berichtet wird ist der Anstieg der sogenannten „langzeitbeschäftigungslosen Arbeitslosen“, also jener Menschen, die seit einem Jahr in verfestigter Arbeitslosigkeit befinden. Im August 2015 gab es mit 111.404 Personen fast doppelt so viele langzeitbeschäftigungslose Arbeitslose wie vor zwei Jahren. Damit ist bereits mehr als jeder dritte Arbeitslose in lange dauernder, verfestigter Erwerbsarbeitslosigkeit.

Parallel zum Anstieg der Arbeitslosigkeit sind die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik jedoch nicht in einem vergleichbaren Ausmaß von der Politik aufgestockt worden. Das Budget des AMS wuchs zwischen 2012 (971 Millionen Euro) und 2015 (1.140 Mill. Euro) um 17,4%. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im selben Zeitraum mit 35,6% doppelt so stark – von 260.643 (Jahresdurchschnitt 2012) auf 353.500 (Prognose für 2015). 2016 ist hier trotz der Verlängerung und Ausweitung der Beschäftigungsinitiative 50+ keine Trendwende zu erwarten.

Fazit: Immer mehr Menschen sind ohne Job. Gleichzeitig sinken die Chancen auf einen schnellen beruflichen Wiedereinstieg. Das arbeitsmarktpolitische Budget ist jedoch nicht im nötigen Ausmaß gestiegen. Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO bestätigte dies gegenüber dem ORF: „Wir haben mehr Arbeitslose und auch mehr Arbeitslose, die intensive Betreuung benötigen. Aus beiden Gründen wäre eine Erhöhung der (Mittel für die, Anm. d. A.) aktiven Arbeitsmarktpolitik sinnvoll.“

AMS auf neuen Wegen

Bisher war es das erklärte Ziel des AMS, das Risiko arbeitslos zu werden möglichst gleich zu verteilen. Durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik soll der Arbeitsmarkt in Bewegung gehalten werden. „Langzeitarbeitslosigkeit müssen wir scheuen. Uns ist viel lieber vier Menschen sind drei Monate lang arbeitslos als einer ein Jahr“ sagte AMS Vorstand Johannes Kopf im Juli 2015 der Tageszeitung Kurier. Derzeit konzentriert sich die Arbeitsmarktpolitik folgerichtig vor allem auf jene Gruppen, deren Integration in den Arbeitsmarkt am schwierigsten ist. So soll lange anhaltende Arbeitslosigkeit so weit wie möglich vermieden werden. Denn Langzeitarbeitslosigkeit führt nicht nur zu Armut und Ausgrenzung, sondern entwertet auch die Qualifikationen und Berufserfahrungen der betroffenen Menschen. Dadurch wird der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt selbst bei einer (derzeit nicht absehbaren) Verbesserung der Konjunktur erschwert.

Der aktuelle Anstieg der Langzeitbeschäftigungslosigkeit zeigt jedoch, dass es dem AMS immer weniger gelingt sein Ziel der „Verfestigung von Arbeitslosigkeit bzw. dem dauerhaften Ausschluss aus dem Erwerbsleben entgegen zu wirken“ zu erfüllen. Auch sozialökonomische Betriebe und gemeinnützige Beschäftigungsbetriebe aus unserem Netzwerk berichten, dass die Vermittlung von TransitmitarbeiterInnen in den ersten Arbeitsmarkt deutlich schwieriger geworden ist. Innerhalb des AMS wird ein Kurswechsel diskutiert: Für Personen mit guten und sehr schlechten Integrationschancen könnte es in Zukunft weniger Unterstützungsangebote geben, damit sich das AMS auf jene Zielgruppen fokussieren kann, die zwar Vermittlungshürden haben, aber bei denen nach ausreichender Unterstützung eine Integration in den Arbeitsmarkt noch realistisch erscheint.

Ein solcher Ansatz des AMS ist auf den ersten Blick verständlich. Es ist die Reaktion auf die unzureichende Finanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik durch die Politik und der Versuch, das vorhandene Budget möglichst effektiv einzusetzen.

„Klassen-Modell“ in der Schublade

Ein derzeit im AMS diskutiertes Modell teilt seine KundInnen abhängig von ihren Integrationschancen und der ihnen zugeschriebenen, persönlichen Motivation in vier Gruppen auf:

  • Personen mit guten Chancen auf eine Integration in den Arbeitsmarkt und hoher Motivation, das sind rund die Hälfte der AMS-KundInnen, können sich selbst helfen und sollen über das Service für Unternehmen unterstützt werden.
  • Weitere 10 Prozent haben zwar gute Integrationsperspektiven, ein neuer Job scheitert allerdings aus AMS-Sicht am Willen. Für diese Gruppe sind keine Förderungen mehr vorgesehen. Das AMS setzt stattdessen auf Verbindlichkeit und eventuell Sanktionen.
  • 30 Prozent der KundInnen sind zwar hochmotiviert, haben aber mehrere Vermittlungshürden, die es abzubauen gilt. Für sie sollen ausreichend Zeit und Förderinstrumente zur Verfügung stehen.
  • Bei der vierten Gruppe treffen sich niedrige Motivation und geringe Chancen auf eine neue Beschäftigung. Mit diesen geschätzten 10 Prozent der KundInnen will das AMS den Kontakt deutlich reduzieren. Existenzsicherung wäre hier das vorrangige Ziel.

Ein solches Modell birgt die Gefahr, dass Menschen dauerhaft in „Schubladen“ gesteckt werden. Auch Personen, die bei der Suche nach Arbeit unzählige negative Erfahrungen gemacht haben, für sich selbst keine Perspektiven mehr sehen und versuchen sich mit dem Leben in „Arbeitslosigkeit zu arrangieren“ dürfen nicht aufgegeben werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie bis zur Pension dauerhaft in Arbeitslosigkeit festsitzen und permanent von Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen sind. Das darf nicht passieren.

Arbeit ist ein Menschenrecht

Es gibt keinen Grund auf eine nachhaltige Besserung der Wirtschaftslage und ein dauerhaftes Sinken der Arbeitslosigkeit zu warten. Um die Arbeitslosigkeit zu verringern bräuchte Österreich ein Wirtschaftswachstum von rund drei Prozent. Doch davon sind wir weit entfernt. Im Gegenteil: Abgesehen von kurzen Unterbrechungen steigt die Arbeitslosigkeit in Österreich seit dem Beginn der 1980er Jahre. Sowohl die Arbeitslosenquote als auch die absolute Zahl der arbeitslosen Menschen erreichen derzeit Werte, die es in der zweiten Republik noch nie gegeben hat. Tendenz weiter steigend.

Anstatt auf Wirtschaftswachstum zu warten müssen wir uns eine politische Frage stellen: Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Arbeitslosigkeit zu einem Massenphänomen geworden ist? Bruno Kreisky bereiteten ein „paar Milliarden mehr Schulden (…) weniger schlaflose Nächte als hunderttausend Arbeitslose.” Im August 2015 waren 327.145 Personen arbeitslos vorgemerkt und weitere 57.440 Personen befanden sich in Schulungen des AMS. Unter Kreisky wurde jedoch nicht nur durch ausgabenorientierte Wirtschaftspolitik Arbeitslosigkeit verringert, sondern auch durch die Verkürzung der Arbeitszeit. Zwischen 1970 und 1975 wurde die Wochenarbeitszeit von 45 auf 40 Stunden verkürzt und 1977 der gesetzliche Urlaubsanspruch von drei auf vier Wochen ausgedehnt.

Damit niemand im Regen stehen gelassen wird braucht es neben der Wiederentdeckung der Arbeitszeitverkürzung und den bestehenden Angeboten Sozialökonomischer Betriebe und Gemeinnütziger Beschäftigungsprojekte auch eine gezielte Förderung von dauerhaften Arbeitsplätzen für jene Menschen, die derzeit aufgrund der Rahmenbedingungen keine Perspektive auf dem regulären Arbeitsmarkt mehr haben. Das „Recht auf Arbeit“ ist ein Menschenrecht. Nehmen wir es ernst.

Eine gekürzte Fassung dieses Kommentars ist in „Arbeitsmarktpolitik Aktiv 1/15“ erschienen.

„Hier zu sparen ist der völlig falsche Weg“

„Wir machen uns große Sorgen wegen dieser Einschnitte“: Mit diesen Worten kommentiert bdv austria-Geschäftsführerin Judith Pühringer in der Tageszeitung Kurier vom 11. April die Sparpläne der Bundesregierung beim AMS-Budget 2017.

Konkret sollen laut dem derzeitigen Bundesfinanzrahmengesetz in zwei Jahren für die aktive Arbeitsmarktpolitik – das sind jene Gelder, die arbeitslosen Menschen beispielsweise durch Beratung, Qualifizierung, befristete Beschäftigung zu einem neuen Job verhelfen sollen – nur noch 879 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Das sind um 260 Millionen Euro oder rund ein Fünftel weniger als heuer.

Besonders dramatisch: Während die Regierung die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik drastisch kürzen will, steigen gleichzeitig die Arbeitslosenzahlen weiter an. Dazu kommt, dass es für viele arbeitssuchende Menschen immer schwieriger wird, einen Job zu finden. Eine vom Arbeitsmarktservice beauftragte Studie von Wolfgang Alteneder und Georg Frick vom März 2015 geht davon aus, dass die Arbeitslosigkeit in Österreich im Jahresdurchschnitt nach 7,6% im Jahr 2013 und 8,4% im Jahr 2014 in den kommenden Jahren auf fast 10% im Jahr 2017 steigen wird. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) rechnet mittlerweile damit, dass sich der heimische Arbeitsmarkt frühestens im Jahr 2019 entspannt.

„Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit sind zwar teuer und aufwendig, aber angesichts der Verfestigung von Arbeitslosigkeit enorm sinnvoll“, betont Pühringer vor diesem Hintergrund: „Hier zu sparen ist der völlig falsche Weg“.

Den Kurier-Artikel finden Sie hier

Arbeitsprogramm der neuen Bundesregierung: 2013 – 2018

Vor wenigen Tagen wurde das Arbeitsprogramm der neuen Bundesregierung für die Jahre 2013 bis 2018 veröffentlicht. Was sind die für den arbeitsmarktpolitischen Bereich wichtigsten Pläne der Regierung, zum Beispiel bei der Weiterbildung, der Beschäftigung älterer Menschen, der Mindestsicherung, der Finanzierung der Sozialpolitik oder bei der Auflösungsabgabe?

Bei den unten angeführten Punkten handelt es sich nur um Auszüge aus dem offizielle Regierungsprogramm – um die kompletten Passagen leicht zu finden haben wir die Seitenzahlen der jeweiligen Kapitel angegeben. Das vollständige Arbeitsprogramm der neuen Bundesregierung aus SPÖ und ÖVP mit allen Details finden Sie hier: Regierungsprogramm 2013 – 2018

Beschäftigung (9 – 11)

Ziel: Ausbildung bis 18

Alle unter 18-jährigen sollen nach Möglichkeit eine über den Pflichtschulabschluss hinausgehende Ausbildung abschließen.

Ziel: Weiterbildung aller Altersgruppen

Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung aller Altersgruppen und Verbesserung der Grundkompetenzen im Berufsleben durch Weiterbildungsmaßnahmen, insb. für gering Qualifizierte und ältere ArbeitnehmerInnen.

Ziel: Beschäftigung Älterer steigern

Die Arbeitslosenquote der über fünfzigjährigen liegt über dem Durchschnitt. Ältere, die ihre Beschäftigung verlieren, finden schwer wieder in den Arbeitsmarkt zurück, Pensionsreformen erfordern verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Institutionen.

  • Verstärkte Förderung der Integration Älterer (50+, bereits seit 6 Monaten arbeitslos) in den Arbeitsmarkt durch Aktivierung passiver Leistungen für Förderungen des AMS (z.B. Eingliederungsbeihilfe, Weiterführung der Aktion „Reife Leistung“, Ausbau des Zweiten Arbeitsmarktes für ältere Arbeitssuchende etc.) durch entsprechende unbefristete gesetzliche Regelung im AMPFG;
  • Evaluierung und anforderungsgerechte Weiterentwicklung des AMS Förderinstrumentariums zur Invaliditätspension Neu (IP Neu) sowie von „fit2work“

Entbürokratisierung und Entlastung (17 – 19)

Vereinfachungen im Arbeitslosenversicherungsrecht

Das Arbeitslosenversicherungsrecht ist unübersichtlich und stammt in seinen Grundzügen aus der Nachkriegszeit. Die Arbeitswelt ist dynamischer geworden und benötigt das Arbeitsmarktservice (AMS) als Serviceorganisation. Im Sinne der BezieherInnen, jener, die die Leistungen administrieren, und des Arbeitsmarktbudgets, gilt es, Ressourcen zu heben. Ziel ist eine möglichst rasche Beratung und Vermittlung sowie die Vermeidung von Beschäftigungshemmnissen.

  • Vereinfachung und Modernisierung des Arbeitslosenversicherungsrechtes
  • Überprüfung des Sozialsystems in Hinblick auf Beschäftigungshemmnisse und Armutsfallen

Soziales (61 – 62)

Die Mindestsicherung soll ein noch besseres „Sprungbrett“ in den Arbeitsmarkt werden. Unterschiede im Vollzug sollen im Hinblick auf die Grundidee der Mindestsicherung, ein österreichweit harmonisiertes System zu bilden, beseitigt werden. Dazu sollen – basierend auf Evaluierungen und Studien zu den bisherigen Erfahrungen im Vollzug sowie den Erkenntnissen des Rechnungshofs – getroffen werden:

  • Modellprojekte zwischen AMS und Sozialbehörden zur Betreuung von arbeitsfähigen MindestsicherungsbezieherInnen werden entwickelt
  • verstärkte soziale Integration, Ausbildung und Arbeitsmarktintegration von Jugendlichen
  • bessere Ausgestaltung von Arbeitsanreizen, z.B. durch Reform des WiedereinsteigerInnenfreibetrags
  • gemeinsame Erarbeitung von Zielvereinbarungen für die Arbeitsmarktintegration

Im Zuge der Verhandlungen zur Fortführung der Ende 2014 auslaufenden 15a-Vereinbarung sollen mit den Ländern die Standards weiter vereinheitlicht werden.

Zur Erprobung innovativer Ansätze in der Sozialpolitik sollen neue Finanzierungsquellen für NGO-Projekte zu gesellschaftlichen Problemfeldern durch Kooperationen mit der öffentlichen Hand und gemeinnützigen Stiftungen erschlossen werden. Mittels Social Impact Bonds finanzieren gemeinnützige Stiftungen Projekte. Wird durch deren (nachweislich messbare) Wirkung eine Ersparnis für die öffentliche Hand nachgewiesen, refundiert diese der gemeinnützigen Stiftung die Investition und führt das Projekt weiter.

Pensionen (Seiten 70 – 73)

Anhebung des faktischen Pensionsalters und der Beschäftigungsquote Älterer nach einem gemeinsam festgelegten Pfad und Zeitplan

  • Konsequente Verwirklichung des Grundsatzes Prävention, Rehabilitation und Erwerbsintegration vor Pension.
  • Intensivierte Bemühungen zur möglichst dauerhaften Reintegration ältere, arbeitslose Personen in den Erwerbsprozess.
    • Einstellbonus: Arbeitgeber erhalten eine Bonuszahlung, wenn sie arbeitslose Personen, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, einstellen. Der Einstellbonus wird nach einer Mindestbeschäftigungsdauer gewährt.
    • Zielvorgabe für AMS: Die Dienstleistungen für Unternehmen sollen auf die Erhöhung der Beschäftigung von AN > 55 Jahre ausgerichtet werden.
  • Ausweitung und Stabilisierung der Beschäftigung Älterer
    • Für Betriebe ab 25 Mitarbeitern wird eine Beschäftigungsquote für ältere Arbeitnehmer festgelegt.
    • Die geforderte Beschäftigungsquote der Altersgruppen 55-59 und 60 plus wird nach dem Branchendurchschnitt getrennt nach Geschlecht berechnet.
    • Die geltende Auflösungsabgabe wird für alle Betriebe unabhängig von der Größe bis 2016 zweckgebunden als Bonus zur Förderung der vorhandenen Beschäftigung 55 plus eingesetzt.
    • Anstelle der Auflösungsabgabe tritt für alle Betriebe, die über 25 Mitarbeiter beschäftigen und nicht ausreichend Mitarbeiter über 55 beschäftigen, ab 2017 eine neue Abgabe für altersgerechte Arbeitsplätze in Kraft. Diese ist gegenüber der Auflösungsabgabe aufkommensneutral.
    • Die Auflösungsabgabe entfällt für alle Betriebe unabhängig von der Betriebsgröße ab Inkrafttreten dieser neuen Maßnahme.
    • Die neue Abgabe für altersgerechte Arbeitsplätze wird zu 50 % als Bonus für die Beschäftigung älterer Mitarbeiter eingesetzt, die restlichen 50 % sind für Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung vorzusehen.
    • Die Anzahl der Lehrlinge in den betroffenen Betrieben ist in einem entsprechenden Verhältnis anzurechnen.
    • Die Sozialpartner werden aufgefordert unverzüglich Gespräche über die Details der Regelungen aufzunehmen und verbindlich umzusetzen. Die Abwicklung erfolgt über den AMS-Verwaltungsrat.

Geplante Einsparungen in der Arbeitsmarktpolitik dürfen nicht auf dem Rücken der Schwächsten erfolgen!

Geförderte Arbeitsplätze in Sozialen Unternehmen von Kürzungswelle bedroht

Die kommende Regierung muss sparen, soviel ist klar. Doch der sozialpolitische Anspruch einer Regierung in einem der reichsten Länder der Welt muss es sein, die besonders ausgegrenzten Mitglieder unserer Gesellschaft so gut wie möglich zu unterstützen. Genau dies ist nun in Gefahr, wie erste Informationen aus den laufenden Koalitionsgesprächen zwischen SPÖ und ÖVP belegen.

Im vergangenen Jahr erreichte Zahl der Menschen ohne Erwerbsarbeit bisher unbekannte Ausmaße: im November 2013 waren bereits 301.898 Menschen arbeitslos vorgemerkt und weitere 79.684 in Schulungen des AMS. AMS Vorstand Johannes Kopf rechnet mit einem weiteren Anstieg: „Ende Jänner werden wir erschreckende Zahlen sehen: ich rechne mit 450.000 Menschen ohne Arbeit. Erst Ende 2015 wird die Zahl erstmals sinken“ sagte er dem „Kurier“ am 10. November 2013. Viele dieser Menschen sind armutsgefährdet oder leben in Armut. Besonders schwierig gestaltet sich die Situation für langzeitarbeitslose Menschen, die bereits seit Jahren arbeitslos sind oder nur auf kurze Beschäftigungsepisoden zurückblicken können.

AMS Budget: Kürzungswelle bei der Förderung langzeitarbeitsloser Menschen zu befürchten

Die einzig richtige Reaktion auf diese Zahlen wäre eine Erhöhung des arbeitsmarktpolitischen Förderbudgets. Für das Jahr 2014 plante das AMS Österreich ursprünglich eine Erhöhung der Fördermittel um 79 Mio. Euro. Nur so wäre es möglich die – aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit und der Reform der Invaliditätspension – gewachsene Zielgruppe des AMS angemessen zu betreuen und zu unterstützen. Diese bereits beschlossene Erhöhung soll in der kommenden Regierung aus SPÖ und ÖVP nun wieder zurückgenommen werden.

Besonders erschwerend ist, dass bereits mehr als die Hälfte des arbeitsmarktpolitischen Förderbudgets des AMS fix verplant ist. Der nötige Spielraum um diese Kürzungen abzufedern, findet sich nur mehr bei einigen wenigen Programmen: bei Sozialen Integrationsunternehmen, der Eingliederungsbeihilfe (EB) und Kursmaßnahmen.

bdv austria fordert adäquate Ausstattung der Arbeitsmarktpolitik 2014

Judith Pühringer, Geschäftsführerin des bdv austria, der bundesweiten Interessenvertretung der Sozialen Unternehmen:

Im schlimmsten Fall bedeuten diese Kürzungen (oder angesichts der gestiegenen Arbeitslosigkeit auch „zurückgenommene Erhöhungen“) in Sozialen Integrationsunternehmen, dass rund 4.000 geförderte Arbeitsplätze für langzeitarbeitslose und arbeitsmarktferne Menschen nicht angeboten werden können. Dies betrifft jene Menschen, die eine nachhaltige Unterstützung beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt am dringendsten benötigen, wie ältere Menschen, Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder mit keiner über die Pflichtschule hinausgehenden Ausbildung.

Soziale Integrationsunternehmen bieten diesen Menschen befristete Arbeitsplätze und eine an ihre individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten angepasste Beratung und Betreuung durch SozialarbeiterInnen. Sie sind ein Entwicklungsrahmen auf Zeit, sie fördern Kompetenzen und helfen Probleme im persönlichen Umfeld zu lösen, bevor die KlientInnen beim Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt unterstützt werden. Damit haben sie eine bei weitem nachhaltigere Wirkung als andere Förderinstrumente wie die Eingliederungsbeihilfe.

bdv austria ist die bundesweite Interessenvertretung von gemeinnützigen Sozialen Unternehmen im arbeitsmarktpolitischen Bereich. Er vertritt rund 250 Organisationen und Projekte, die langzeitarbeitslose Menschen durch befristete Beschäftigung und individuelle Betreuung wieder in den regulären Arbeitsmarkt integrieren.

bdv austria präsentiert Positionspapier zur Reform der Invaliditätspension

In den vergangenen Monaten hat bdv austria an der Erstellung eines Positionspapiers zur Novellierung der Invaliditätspension gearbeitet. Wir unterstützen zwar den Grundsatz, dass die medizinische und berufliche Rehabilitation Vorrang vor der I-Pension haben soll. Allerdings ist diese Reform keine Lösung für wichtige Probleme des Arbeitsmarktes. Es braucht daher noch ein klares Bekenntnis zu den sozialen und politischen Zielen des Vorhabens, um eine entsprechende Ausgestaltung der Maßnahmen sicherzustellen.

Präambel

bdv austria unterstützt die grundlegenden Ziele der IP-Neu und den Grundsatz, dass die medizinische und berufliche Rehabilitation Vorrang vor der Invaliditätspension haben sollen.

Es handelt sich um ein entscheidendes Reformvorhaben, das – bei entsprechender Umsetzung der begleitenden Maßnahmen – zu einer hohen Erwerbsbeteiligung und der Ermöglichung von existenzsichernder und sinnstiftender Beschäftigung für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen beitragen könnte.

Gleichzeitig ist die Reform der I-Pension keine alleinige Lösung für wichtige Probleme des Arbeitsmarktes.

Es gibt schon seit Jahren ein chronisches Defizit an geeigneten Arbeitsplätzen für gesundheitlich beeinträchtigte Menschen. Zudem gibt es eine steigende Zahl von Menschen, die trotz ausreichender Qualifikation und Motivation von ArbeitgeberInnen weniger akzeptiert werden wie z.B. ältere oder gesundheitlich beeinträchtigte Menschen. Ein ausschließlich aktivierender Ansatz in der aktiven Arbeitsmarktpolitik kann diese Probleme nicht lösen, da viele dieser Menschen nicht mehr in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden können.

Ein Bekenntnis zu den sozialen und politischen Zielen des Reformvorhabens ist dringend nötig, um eine entsprechende Ausgestaltung der Maßnahmen sicherzustellen.

Die Reform der I-Pension muss mehr sein als ein weiterer Baustein der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Sie muss zu einer Verbesserung der finanziellen, sozialen und psychischen Situation der Betroffenen beitragen und ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen – entweder durch existenzsichernde und sinnstiftende Beschäftigung oder durch angemessene Sozialleistungen.

Forderungen des bdv austria

Die Reform der Invaliditätspension muss für gesundheitlich beeinträchtigte Menschen den Zugang zu Sozialleistungen und ihnen – soweit dies gesundheitlich möglich ist – eine existenzsichernde und sinnstiftende Beschäftigung ermöglichen. Die folgenden Vorschläge sind wichtige Bausteine, um dieses Ziel Wirklichkeit werden zu lassen.

1. Existenzsichernde und sinnstiftende Beschäftigung für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen

1.1. Welche Arbeitsplätze werden benötigt?

Von gesundheitlichen Problemen betroffene Menschen sollen einen Anspruch auf hochwertige Beschäftigung in Sozialen Unternehmen mit einer marktüblichen kollektivvertraglichen Bezahlung erhalten. Der öffentliche Dienstleistungssektor könnte als erweiterter Arbeitsmarkt für diese Zielgruppe ausgebaut werden.

Unsere Gesellschaft muss Menschen mit gesundheitlichen Problemen angemessene und menschenwürdige Arbeitsplätze mit marktüblicher Bezahlung anbieten können – in Unternehmen ebenso wie im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen.

1.2. Wie könnten neue Arbeitsplätze für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen geschaffen werden?

Die angespannte Situation am Arbeitsmarkt erschwert die Reintegration von Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen. Die Frage ist, ob genügend Arbeitsplätze für im Rahmen der IP-Neu umgeschulte und rehabilitierte Menschen vorhanden sind. Gleichzeitig sollte die Umschulung von am Arbeitsmarkt völlig chancenlosen Menschen vermieden werden. Ein passendes Anreizsystem, welches die Beschäftigung von gesundheitlich beeinträchtigten und langzeitarbeitslosen Menschen fördert, wäre ein großer Schritt vorwärts. Auch die öffentliche Beschaffung sollte in stärkerem Ausmaß als sozial-, arbeitsmarkt- und umweltpolitisches Instrument wahrgenommen und genutzt werden. (Ein Bonus-Malus-System für ältere Beschäftigte wird durch die Sozialpartner ausgearbeitet und soll in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden.)

Als weitere Maßnahme sollten in Sozialen Unternehmen zahlreiche neue Arbeitsplätze für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen geschaffen werden – besonders für jene, die beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt mehr Betreuung und Unterstützung benötigen oder nur teilleistungsfähig sind. Dabei braucht es vor allem länger andauernde Beschäftigungsmöglichkeiten – sowohl mit flexiblen Übergängen zwischen geförderten und nicht geförderten Beschäftigungsmodellen, als auch zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung, wobei jedoch sichergestellt werden muss, dass mit einer Ausdehnung der Arbeitszeit keine finanziellen Nachteile verbunden sind.

Wir müssen neue Arbeitsplätze für Menschen mit gesundheitlichen Problemen schaffen. Ein Anreizsystem zur Beschäftigung dieser Menschen wäre ein erster Schritt, es braucht aber auch neue Arbeitsplätze in Sozialen Unternehmen – für jene Menschen, die beim Wiedereinstieg mehr Unterstützung benötigen.

1.3. Nur ein ganzheitlicher Ansatz kann zu nachhaltigen Lösungen im Sinne der betroffenen Menschen führen.

Beratungs- und Betreuungseinrichtungen im arbeitsmarktpolitischen Bereich müssen von ihren AuftraggeberInnen in die Lage versetzt werden, flexibel auf die individuelle Situation ihrer KlientInnen eingehen zu können. Das Ziel der Maßnahmen für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen muss die Verbesserung ihrer finanziellen, sozialen und psychischen Situation sein und ihnen ermöglichen, sich im Leben wieder nach vorne zu orientieren. Der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt soll in Folge ein mögliches Ergebnis dieses Prozesses sein. Er darf jedoch nicht das einzige Kriterium für eine erfolgreiche Durchführung der Maßnahme sein.

Die meisten unserer KlientInnen haben vielseitige Probleme beim (Wieder-) Einstieg in den Arbeitsmarkt. Unser Ziel muss daher zuerst die Verbesserung ihrer finanziellen, sozialen und psychischen Situation sein – nach dieser Stabilisierung kann der Wiedereinstieg in Arbeitsmarkt als Ziel gesetzt werden.

1.4. Armutsfallen verhindern und flexible Übergänge zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen

Es muss für eine ausreichende finanzielle Absicherung von jenen Personen gesorgt werden, die trotz erfolgreicher medizinischer und / oder beruflicher Rehabilitation keiner existenzsichernden Beschäftigung mehr nachgehen können. Dies wäre beispielsweise durch angepasste Modelle wie den Kombilohn, die Eingliederungsbeihilfe oder andere Lohnergänzungen möglich.

Vergleichbare Modelle sind auch gefragt, um BezieherInnen von Transferleistungen einen flexiblen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, ohne dadurch finanzielle Einbußen oder den Verlust von sozialrechtlichen Ansprüchen in Kauf nehmen zu müssen. Dies wäre beispielsweise für TeilnehmerInnen niederschwelliger Beschäftigungsprojekte mit stundenweiser Beschäftigung wichtig, um einen langsamen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Auch für BezieherInnen der bedarfsorientierten Mindestsicherung, die mehrere Personen versorgen müssen und am Arbeitsmarkt nicht in der Lage sind, ein vergleichbares Erwerbseinkommen zu erwirtschaften, sind neue Lohnergänzungsmodelle dringend nötig.

Um arbeitslose Menschen optimal beim (Wieder-) Einstieg in den Arbeitsmarkt unterstützen zu können brauchen wir möglichst flexible Übergänge zwischen Arbeitslosigkeit, geförderter Beschäftigung und ungeförderter Beschäftigung. Dafür müssen auch die bestehenden Zuverdienstregeln angepasst werden.

2. Welche Angebote gibt es für Menschen, denen der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nicht gelingt?

2.1. Für ungelernte Beschäftigte braucht es einen verbesserten Zugang zur Invaliditätspension falls eine existenzsichernde Beschäftigung am Arbeitsmarkt nicht mehr möglich ist.

Derzeit haben Personen ohne Berufsschutz – selbst mit erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen – keinen Zugang zur Invaliditätspension, solange sie theoretisch noch die Hälfte des niedrigst denkbaren Vollzeit-Arbeitslohns erwerben können. Für diese Menschen sollte der Zugang zur Invaliditätspension erleichtert werden: Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sind, 80% des niedrigst denkbaren Einkommens oder zumindest ein Einkommen in Höhe der Ausgleichszulage zu verdienen, sollten Anspruch auf Rehabilitation erhalten und damit auch Zugang zur Invaliditätspension, falls eine berufliche Rehabilitation nicht (mehr) sinnvoll erscheint.

Aus unserer Sicht sollten alle Menschen Zugang zur Invaliditätspension erhalten, die aus gesundheitlichen Gründen keiner existenzsichernden Beschäftigung mehr nachgehen können.

2.2. Es braucht dauerhaftere Modelle geförderter Beschäftigung für Menschen, die am Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass vielen gesundheitlich beeinträchtigen Menschen auch nach medizinischen oder beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen kein nachhaltiger Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt gelingen wird. Diesen Menschen müssen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten in einem erweiterten Bereich des Arbeitsmarktes oder ein Zugang zur Invaliditätspension angeboten werden. Soziale Unternehmen erfüllen für arbeitsmarktferne Menschen seit Jahren eine Brückenfunktion in den ersten Arbeitsmarkt. Auch für gesundheitlich beeinträchtigte Menschen, denen der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt (vorerst) nicht gelingt, sollten zahlreiche neue Arbeitsplätze im sogenannten zweiten und dritten Arbeitsmarkt geschaffen werden. Diese Arbeitsplätze sollten sowohl eine längerfristige Beschäftigung, als auch flexible Übergänge zwischen verschiedenen Formen geförderter und nicht geförderter Beschäftigung ermöglichen.

Für Menschen, denen der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nicht gelingt, müssen dauerhaftere Arbeitsplätze in Sozialen Unternehmen geschaffen werden – mit möglichst flexiblen Übergängen zwischen verschiedenen Formen geförderter und nicht geförderter Beschäftigung.

3. Einsparungen durch die IP-Neu für maßgeschneiderte Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote nutzen

3.1. Es braucht ein Aus- & Weiterbildungsgeld für alle betroffenen Menschen.

Beschäftigte mit Berufsschutz erhalten durch die IP-Neu Anspruch auf Umschulungsgeld und eine Umschulung auf ihrem Qualifikationsniveau. Ungelernte Beschäftigte haben nur Anspruch auf medizinische Rehabilitation, obwohl gerade sie enorm von Weiterbildung bei ihrer Reintegration in den Arbeitsmarkt profitieren könnten.

bdv austria fordert die Einführung eines Aus- und Weiterbildungsgeldes für alle Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

3.2. bdv austria fordert eine Bildungsoffensive für Menschen mit geringer formaler Ausbildung.

In den kommenden Jahren werden zahlreiche Arbeitsplätze für Menschen ohne formale Ausbildung ersatzlos verloren gehen. Schon jetzt sind Menschen mit formalen Qualifikationen unterhalb eines Lehrabschlusses deutlich öfter und länger von Arbeitslosigkeit betroffen als andere Bildungsgruppen. Wir setzen uns deshalb für eine Qualifizierungsoffensive für Menschen mit geringen formalen Ausbildungen ein. Die Einsparungen aus der Reform der Invaliditätspension sollten für diese Bildungsoffensive eingesetzt werden.

Ein großer Teil des Lernens findet heute nicht in Bildungseinrichtungen, sondern im natürlichen Lebensumfeld (beispielsweise in der Arbeit, der Freizeit oder im familiären Kontext) statt. Diese Kompetenzen sind bisher jedoch genauso unsichtbar wie nicht abgeschlossene Ausbildungen. Durch die Entwicklung eines systematischen Kompetenzerfassungssystems für die informell und nonformal erworbenen Kompetenzen von bildungsbenachteiligten Personen und dessen Anbindung an den Nationalen Qualifikationsrahmen könnten bestehende Kompetenzen sichtbar gemacht werden. Gerade die in Sozialen Unternehmen täglich gelebte Kombination von Arbeiten und Lernen ist eine Chance für bildungsbenachteiligte Menschen, um Bildungsabschlüsse auf alternativen Wegen zu erreichen, beziehungsweise bestehende Qualifikationen sichtbar zu machen.

bdv austria unterstützt die Pilotierung eines Kompetenzerfassungssystems für nonformal und informell erworbene Qualifikationen. Gleichzeitig müssen Soziale Unternehmen als Lernorte anerkannt werden und ihre personellen und finanziellen Ressourcen entsprechend erweitert werden.

4. Sonstige Forderungen

4.1. Die Neuregelung der Invaliditätspension muss für alle Versicherungssysteme gelten.

Derzeit gilt die Reform der Invaliditätspension nur für unselbständig Beschäftigte (ASVG-Versicherte), während Landwirte, Beamte und Selbständige nicht davon betroffen sind. Anstelle einer Harmonisierung des Systems erfolgt eine weitere Differenzierung, da zum Beispiel selbständig Erwerbstätige weiterhin befristete I-Pensionen beziehen können.

Für alle erwerbstätigen Menschen in Österreich sollten die gleichen Zugangsregeln für die Invaliditätspension gelten.

4.2. Es braucht eine neue von Respekt und Rücksichtnahme geprägte Form der Zusammenarbeit des AMS mit seinen KundInnen.

Die Zuweisung zu Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation und Reintegration muss an die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Menschen angepasst werden und deren Wünsche berücksichtigen. Sie muss freiwillig und mit Zustimmung der betroffenen Menschen passieren, um bestmögliche Ergebnisse zu ermöglichen. Ebenso sollte die Verfügbarkeit von freien Plätzen nicht als maßgebliches Kriterium für die Zuweisung herangezogen werden.

Die Zuweisung zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen muss in Zukunft auf Freiwilligkeit beruhen und die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der betroffenen Menschen stärker berücksichtigen. Nur so können sozialökonomische Betriebe und gemeinnützige Beschäftigungsprojekte ihre volle Wirksamkeit entfalten.