„In Österreich wird vergleichsweise lange und produktiv gearbeitet“

Die Geburtsstunde des sozialwissenschaftlichen Netzwerks SOZNET (aus den Universitäten Wien, Graz und Linz sowie dem außeruniversitären FORBA-Institut), das sich künftig mit Arbeitsforschung beschäftigt, nahmen sieben SozialwissenschaftlerInnen kürzlich bei der Kickoff-Veranstaltung in Wien zum Anlass für fünf Kommentare zu den aktuellen Arbeitszeitdebatten.

Neuere Phänomene wie die globale Neuorganisation von Arbeit, internationale Arbeitsmigration (etwa im Bereich der 24-Stunden-Betreuung) und unterschiedliche Lebensformen benötigen die Erforschung von Themen wie Haushaltsarbeit, Arbeitsorganisation etc. Dahinter stehe das Ziel, die Arbeitsgesellschaft in ihrem Wandel kritisch begleiten zu können, sagte Brigitte Aulenbacher von der Johannes Kepler Universität in ihrer Einleitung zum Thema „Warum Arbeitsforschung?“.

Liegt Österreich bei der gesetzlichen Wochenarbeitszeit mit 38,5 Stunden im EU-Mittelfeld, so rückt es bei den normalerweise geleisteten Arbeitsstunden mit durchschnittlich 41,8 Stunden ins Spitzenfeld (2.Platz), erläuterte Carina Altreiter von der Uni Wien in ihrem ersten soziologischen Kommentar. Ihr Fazit: „In Österreich wird vergleichsweise lange und produktiv gearbeitet. Aber: Die Arbeit ist sehr ungleich verteilt.“ Letzteres belegen auch die 270 Millionen Überstunden, die laut Statistik Austria die Österreicherinnen und Österreicher pro Jahr leisten – ein Fünftel davon unbezahlt. Im Durchschnitt wünschen sich die AlpenrepublikanerInnen laut Altreiter eine Wochenarbeitszeit von 35 Stunden.

Über Durchschnitt (EU-3c1b122408Vergleich) liegt Österreich auch bei der Lebensarbeitszeit: Arbeiten EU-BürgerInnen insgesamt durchschnittlich 32,9 Jahre, sind es hierzulande derzeit 33,5 Jahre (Stand: 2006) – Tendenz steigend, erläuterten Roland Atzmüller und Fabienne Décieux von der Johannes Kepler Universität Linz in Kommentar Nummer zwei.

In punkto Arbeitszeitflexibilisierung plädierten Klaus Kraemer und Martin Griesbacher von der Uni Graz dafür, genau hinzusehen, in wessen Interesse und unter welchen Machtbedingungen diese erfolge: „Der Wunsch nach Arbeitszeitautonomie ist bei vielen Menschen durchaus da.“ Es könne jedoch beispielsweise Arbeitszeitverkürzung von Unternehmen auch als Einbahnstraße missbraucht werden, wenn diese den Rückweg in die Vollarbeitszeit verbauten: „Man muss immer schauen, ob die Flexibilisierung erzwungen oder erwünscht ist.“

“Europäisches Erfolgsmodell”

Als „europäisches Erfolgsmodell mit Einschränkungen“ bezeichnete Susanne Pernicka von der Johannes Kepler Universität in Kommentar Nummer vier die österreichische Sozialpartnerschaft. So hätte die betriebliche Kurzarbeit in Krisenzeiten viele Jobs gerettet. Aber: „Der Effekt ist großteils auf die Industrieproduktion beschränkt“, so Pernicka. Dienstleitungen, weibliche und atypisch Beschäftigte würden hier nicht profitieren.

Die zunehmende Bedeutung von Arbeitszeitverkürzung im Kontext von Umwelt- und Klimadiskursen unterstrichen Christoph Hermann und Hubert Eichmann vom FORBA Institut: Die empirische Forschung habe gezeigt, dass OECD-Staaten mit kürzeren Arbeitszeiten einen kleinen ökologischen Fußabdruck hätten (also vergleichsweise weniger Erdfläche zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse in Anspruch nehmen würden, Anm.). Grund dafür sei ein Bündel an Faktoren, etwa die Abnahme des Berufsverkehrs sowie eine Abnahme von Investitionen in zeitsparende, technologische Praktiken mit erhöhter CO2-Emission: „Wer mehr Muße hat, macht lieber einen längeren Urlaub, als viermal auf Kurzstädtetrips zu fliegen“, nannte Eichmann ein Beispiel.