Wollen wir eine Arbeitszeit, die Beruf und Familie unvereinbar macht? Wer über einen Zwölfstundentag nachdenkt, muss auch über Verteilungsgerechtigkeit sprechen und darf dabei nicht die Lebensrealitäten des 21.Jahrhunderts ignorieren. Ein Gastkommentar der beiden abz*austria-Geschäftsführerinnen Manuela Vollmann* und Daniela Schallert, der am 4./5. März 2017 in der Tageszeitung Der Standard erschienen ist.

Die Gestaltung der Arbeitszeit hat einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden, auf die Gesundheit und nicht zuletzt auf die Leistung von Menschen. Eine einfache Wahrheit, sollte man meinen. Das WIFO hat nun mit einer neuen Studie dazu angeregt, die Frage nach dem Zwölf-Stunden-Tag und der Überstundenzuschläge, so wie sie zur Zeit diskutiert werden, über den lohnpolitischen Aspekt hinaus zu betrachten. Dazu kann man nur gratulieren, denn die Arbeitsrealität vieler Österreicherinnen und Österreicher birgt unterschiedliche Ausgangslagen und zeigt, dass es in diesem Fall nicht angesagt ist, alle unter einen sprichwörtlichen Hut zu bekommen.
Was ist für eine ganzheitliche Diskussion nun aber zu bedenken? Zum einen, dass Menschen verschiedene Lebensphasen durchmachen und sich daraus unterschiedliche Anforderungen an die Arbeitswelt ergeben. Wir werden immer älter und dies führt unweigerlich dazu, dass wir auch länger arbeiten werden. Um lange gesund arbeiten zu können, braucht es Auszeiten und passende Arbeitszeitmodelle. Nicht nur Kinderbetreuung erfordert Auszeiten, immer mehr Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen kümmern sich um die Pflege ihrer Eltern oder anderer Angehöriger. Zudem sollen wir alle mit der immer schneller werdenden Arbeitswelt und mit der Digitalisierung mithalten können, sprich lebensbegleitendes Lernen ist gefragt. Doch wo schaffe ich den Zeitrahmen für die künftig so notwendigen Weiterbildungen? Wir brauchen also flexible Arbeitszeitmodelle, die Arbeit und Leben vereinbar machen.
Eine Diskussion um die Gestaltung der Arbeitszeit zu führen, heißt auch, sich Gedanken zu machen, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickeln soll. Ein Zwölf-Stunden-Tag ist mit so gut wie allen derzeit existierenden Kinderbetreuungseinrichtungen nicht kompatibel. Wollen wir also weniger Kinder? Wollen wir eine Arbeitswelt, die Beruf und Familie unvereinbar macht oder den Druck auf erwerbstätige Eltern noch mehr erhöht? Dazu kommt, dass bereits jetzt jeder vierte Österreicher mit der Arbeitszeit unzufrieden ist. Viele Männer wollen gerne weniger arbeiten, um z.B. mehr Zeit mit den Kindern verbringen zu können. Gleichzeitig übernehmen die meisten Frauen nach wie vor einen Großteil der unbezahlten Pflege, Haus- und Betreuungsarbeit, viele davon wollen gerne verstärkt erwerbstätig sein. Dass fast die Hälfte der Frauen in Österreich Teilzeit arbeiten, aber nur knapp jeder zehnte Mann, ist nichts Neues, im Gegenteil, die Teilzeit-Quote von Frauen steigt kontinuierlich. Der „Gender Time Gap“, also der Unterschied zwischen Männern und Frauen bei der bezahlten Wochenarbeitszeit betrug 2015 in Österreich mehr als acht Stunden. Dies ist der drittschlechteste Wert in der EU – wie auch beim Gender Pay Gap gehören wir somit zu den Schlusslichtern in Europa.
Die Arbeitszeitdiskussion ist somit eine zentrale Frage von Verteilungsgerechtigkeit. Wenn wir aktive Väter wollen, die ihre Verantwortung wahrnehmen und ihren Anteil der unbezahlten Arbeit übernehmen können, wenn wir Vereinbarkeit von Leben, Arbeit, Beruf, Familie und Weiterbildung für alle wollen, wenn wir eine gleichstellungsorientierte und partnerschaftliche Verteilung von Arbeit als Ziel haben, dann brauchen wir neue, innovative Arbeitszeitmodelle und auch entsprechende Unternehmenskulturen.
Arbeitszeitflexibilisierung wird auch vor dem Hintergrund branchenspezifischer Gegebenheiten zu betrachten sein. Atypische Arbeitszeiten wie Wochenendarbeit oder Spätdienste sind etwa keine Ausnahmeerscheinungen mehr, sondern v.a. für viele Frauen schon lange Realität, etwa im Handel, in der Pflege, in der Gastronomie. Es gilt darauf zu achten, dass Flexibilisierung in niedrig bezahlten Branchen nicht (noch mehr) auf Kosten von prekär Beschäftigten geht. Geringverdienern, und darunter befinden sich sehr viele Frauen, sind daher z.B., wie auch schon vom WIFO gefordert, keine all-inclusive Verträge zumutbar.
Besserverdienende, hoch qualifizierte Beschäftigte mit hohem Gestaltungsspielraum und entsprechender Eigenverantwortung hingegen arbeiten häufig in Branchen, wo es zumutbar ist, flexibel und bei Bedarf punktuell mehr zu arbeiten, da Informations- und Kommunikationstechnologien ein völlig neues, ergebnisorientiertes Arbeiten ermöglichen. Dies erfordert jedoch dringend eine neue Auseinandersetzung mit Führung und Unternehmensstrukturen sowie ein völliges Umdenken in Bezug auf veraltete Präsenzkulturen, Arbeitszeitregelungen und überholte Bilder von Führung. Dass lange Anwesenheiten als Gradmesser für gute Leistung herangezogen werden, ist von vorgestern. Dass Teilzeit nur für unqualifizierte Tätigkeiten taugt und Führung nur mit 40-60 Stunden möglich ist, sind Mythen, die aufgelöst gehören. Eine zeitgemäße Gestaltung der Arbeitswelt wird deshalb auch erfordern, dass wir herkömmliche Normen und Zuschreibungen für Frauen – und auch für Männer (!) in Frage stellen und neu denken.
Attraktive und zukunftsfähige Arbeits- und Führungsmodelle werden auch im Sinne derjenigen Unternehmen sein, die hoch qualifizierte Fachkräfte für sich gewinnen und Potentiale nutzen wollen. Die Generation der gut qualifizierten Jungen hat wenig Interesse an 50-60 Stunden Wochen. Einer ausgewogenen Balance von Arbeit und Leben wird Priorität eingeräumt, viele traditionelle Ansprüche und Forderungen der Arbeitswelt schlicht abgelehnt. Dass mitarbeiterinnen- und vereinbarkeitsorientierte Arbeitszeitmodelle zu hoher Zufriedenheit, geringeren Krankenständen und geringerer Fluktuation führen, ist hinlänglich belegt.
Der Diskurs muss also dahingehend geführt werden, wie Unternehmen Arbeitszeitflexibilisierung gewinnbringend für das Unternehmen, aber eben auch als Profit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzen und gestalten können. Die Diskussion um den Zwölf-Stunden-Tag entspricht in vielerlei Hinsicht nicht mehr den Anforderungen und Lebensrealitäten des 21. Jahrhunderts. Lebensphasenorientierte Modelle wie etwa 30h Wochenarbeitszeiten für Männer und Frauen nach der Geburt eines Kindes anstatt der immer noch verbreiteten (maximal) Halbtagsstelle für Frauen als Dazuverdienerinnen während die Männer bis zu 50/60 Stunden die Woche arbeiten, (Top)-Job-Sharing als innovatives Führungs- und Entscheidungsmodell, Gleitzeit, Zeitwertkonten, Altersteilzeit etc. sind in der Debatte um Arbeitszeitflexibilisierung wesentliche Bausteine, um in einer Arbeitswelt des 21. Jahrhundert anzukommen.
*Manuela Vollmann ist auch Vorstandsvorsitzende von arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich.