“Für die Führung sozialer Integrationsunternehmen gibt es kein Patentrezept”

Frau Quintao, Sie koordinieren gemeinsam mit Ihrem Team ein Projekt in fünf EU-Ländern, das sozialen Integrationsunternehmen den Rücken stärken soll. Worum geht es dabei genau?

Carlota Quintao: Das Projekt “Strengthen emerging professional profiles in the third sector – a way to promote innovative bridges to work and social inclusion of disadvantaged groups“ (Stärkung neuer Jobprofile im Dritten Sektor – ein Weg zur Förderung innovativer Brücken zu Arbeit und Sozialer Inklusion benachteiligter Gruppen”) läuft von November 2014 bis Oktober 2016. Beteiligt sind Netzwerkorganisationen aus Portugal (A3S Association), Belgien (ENSIE), Italien (EVT-SCF), Großbritannien (ESS) und Österreich (arbeit plus).
Das Projekt fußt auf einem Ansatz, der anwendungsbezogene Forschung mit Methoden gegenseitigen Voneinander-Lernens verbindet. Es konzentriert sich auf drei Kernbereiche, die gemeinsam richtungsweisend für die Zukunft sein sollen: Beim ersten geht es um eine Bestandsaufnahme bestehender Modelle und den Wissensaustausch in sozialen Integrationsunternehmen (work integration social enterprises, WISE) in Europa. Der zweite Schwerpunkt lag auf einer Analyse von Schulungsangeboten und Trainingsmaterial für Mitarbeiter/innen in sozialen Integrationsunternehmen, die mit benachteiligten Personen arbeiten. Beim dritten Schwerpunkt ging es um die Formulierung der gewonnenen erzielten Erkenntnisse und daraus resultierender Strategien und Empfehlungen auf nationaler und internationaler Ebene.

Die Portugiesin Carlota Quintao (ganz links) koordiniert gemeinsam mit ihrem Team ein EU-Projekt zu Jobcoaching und Social Marketing in sozialintegrativen Unternehmen.
Die Portugiesin Carlota Quintao (ganz links) koordiniert gemeinsam mit ihrem Team ein EU-Projekt zu Jobcoaching und Social Marketing in sozialintegrativen Unternehmen.

Bis zum Projektende sind es nur noch wenige Monate. Welche Ergebnisse können wir erwarten?

Das Ergebnis unserer Arbeit sind vier Papiere, so genannte “Intellectual outputs”. Beim ersten handelt es sich um eine Studie, die die derzeitige Ausgestaltung des Sektors sozialer Integrationsunternehmen in den fünf beteiligten Ländern – und speziell die Bereiche Coaching und Marketing – untersucht. Dazu haben wir für diese beiden Themenbereiche zwei Trainings-Packages entwickelt. Das vierte Papier enthält Richtlinien und Empfehlungen, die an diverse Institutionen und Organisationen der Partnerländer und der EU gerichtet sind. Ein enorm wichtiger Teil unseres Projekts waren auch die jeweils zwei Fallstudien pro Land. Diese zehn Fallbeispiele sind eine sehr inspirierende Lernquellen für uns. Außerdem bilden sie die große Bandbreite unterschiedlicher Modelle und innovativer sozialer Ideen ab. Wir werden sie demnächst publizieren.

Warum haben Sie sich auf die Bereiche Jobcoaching und Social Marketing konzentriert und was bedeuten diese Begriffe im Kontext sozialer Integrationsunternehmen?

Für uns ist das Projekt eine erste Annäherung an die Schulungs- und Qualifikationserfordernisse von sozialen Integrationsunternehmen auf europäischer Ebene. Natürlich wären alle Bereiche es wert, sie zu beleuchten. Aber angesichts unserer limitierten Ressourcen haben wir das Jobcoaching ausgesucht, denn dieses ist ja sozusagen die DNA eines jeden Sozialen Unternehmens.
Über das “klassische” Verständnis von Marketing für den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen hinausgehend haben soziale Integrationsunternehmen auch eine breitere, soziale Mission. Aus diesem Grund haben wir den zweiten Schwerpunkt auf Social Marketing gelegt. Dieses zielt vor allem darauf ab, eine Veränderung im Denken und Verhalten der Menschen zu bewirken.

Warum haben Sie neue Trainingspackages entwickelt? Gibt es nicht ohnehin schon genug?

Es gibt in der Tat eine Fülle an Schulungsangeboten, aber nur sehr wenige für soziale Integrationsunternehmen. Auf europäischer Ebene haben wir überhaupt nichts Passendes gefunden.

Was sind denn die wichtigsten Ergebnisse Ihrer bisherigen Arbeit?

Die verschiedenen Modelle der Arbeitsmarktintegration entwickeln sich ständig weiter. Möglichkeiten zum Austausch über Knowhow, Erfahrungen und geeignete Methoden sind die Basis für bessere Ergebnisse, und sie bilden den Nährboden für soziale Innovationen. Wo immer Strategien zum lebenslangen Lernen entwickelt werden, sollten deshalb die Leistungen und die enorme Kreativität sozialer Integrationsunternehmen beim Finden innovativer Lösungen zur Arbeitsmarktintegration benachteiligter Gruppen einbezogen werden.
Angesichts der Vielfalt sozialer Integrationsunternehmen in Europa zeigt sich beim Coaching benachteiligter Personen eine große Bandbreite von Kompetenzen, Fähigkeiten und Wissen. Bei der Qualifizierung von Jobcoaches kann man auf verschiedenen Ebenen ansetzen: den Universitäten, der Berufsaus- und fortbildung, bei den Verbänden und den Unternehmen selber.

Und was war das überraschendste Ergebnis?

Ohne Frage die exorbitante Fähigkeit von sozialen Integrationsunternehmen, soziale Innovationen zu schaffen. Die bestehenden Modelle zur Arbeitsmarktintegration werden ständig verbessert, in punkto Effizienz ebenso wie beim Einbeziehen innovativer Methoden. Unsere zehn Case Studies stecken voller verschiedener neuer Lösungsansätze und inspirierender Ideen.
Ein ganz klares Ergebnis unseres Projekts ist, dass es kein Patentrezept zur Führung eines sozialen Integrationsunternehmens gibt. Es gilt, die herrschende Vielfalt der Strategien anzunehmen und sich die vorhandenen Stärken zunutze zu machen: die Trainings, die regionalen Partnerschaften, die Beteiligung von Lehrenden und UnternehmerInnen und natürlich auch die best practice-Beispiele in den verschiedenen Ländern.

Ein Ergebnis Ihrer Arbeit sind auch Empfehlungen an die Europäische Union. Was können wir hier erwarten?

Die Sozialen Unternehmen im arbeitsmarktpolitischen Bereich als Teil der gesamten Sozialwirtschaft erfahren auf europäischer Ebene und oftmals auch nationaler Ebene nicht die Anerkennung, die sie verdienen. Diese mangelnde Sichtbarkeit gilt noch mehr bei der Berufsausbildung. Die offiziellen Policy Dokumente erwähnen den Subsektor nicht, die speziellen Bedürfnisse von arbeitsmarktintegrativen Sozialen Unternehmen werden damit auch nicht ausreichend wahrgenommen und unterstützt. Der Weg ist also noch weit: Bei dem Projekt geht es genau darum, nämlich eine gemeinsame Strategie der Partner zu finden, um hier ein Stück weiterzukommen.

Wie werden Sie die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentieren?

Vom April bis Juni 2016 diskutieren wir unsere Ergebnisse im Rahmen von so genannten “Multiplier events” in den beteiligten Ländern mit Stakeholdern. Auf der Abschlusskonferenz am 29.September in Portugal (Porto) stellen wir die finalen Outputs einer Runde von etwa 90 nationalen und internationalen Stakeholdern vor. Natürlich stellen wir die Projektberichte auch auf unseren Websites zum Download und zur Weiterverbreitung zur Verfügung.