EU Update: Europäisches Semester

Das Europäische Semester ist ein Rahmen für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik der EU. Die drei Hauptbereiche sind (i) Strukturreformen im Einklang mit der Strategie Europa 2020 zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum, (ii) Fiskalpolitik zur Sicherstellung stabiler öffentlicher Finanzen sowie (iii) die Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte innerhalb der EU. Die Europäische Kommission evaluiert jährlich die Bemühungen der Mitgliedsstaaten im Rahmen von Länderberichten (Country Reports) und veröffentlicht darauffolgend in Abstimmung mit dem Europäischen Rat länderspezifische Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten als politische Orientierungshilfen.

Die länderspezifischen Empfehlungen 2020 wurden am 20. Mai veröffentlicht und stehen ganz im Zeichen der Corona-Krise. Für Österreich beinhalten sie u.a. die Forderung, gleichberechtigten Zugang zu Bildung und digitalem Lernen zu schaffen sowie einen Investitionsfokus auf grüne Technologien und Nachhaltigkeit zu legen. Betont wird auch, dass durch die Krise mehr denn je innovative arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die lebenslanges Lernen ermöglichen, notwendig sind. Neben den Corona-spezifischen Empfehlungen bleiben auch jene aus dem Jahr 2019, die auf längerfristige Strukturreformen ausgelegt waren, aufrecht. Das ist aus arbeitsmarktpolitischer Sicht besonders relevant, da 2019 explizit auf die mangelnde Arbeitsmarktintegration vulnerabler Zielgruppen (Menschen mit niedriger formaler Bildung, Migrant*innen) und die geringe Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt verwiesen wurde.

Die Länderberichte im Rahmen des Europäischen Semesters evaluieren die Länder auch entlang der SDGs und der Europäischen Säule Sozialer Rechte. Der Länderbericht für Österreich 2019 wurde im Februar 2020, also kurz vor der Erklärung von Covid-19 zur Pandemie durch die WHO, veröffentlicht. In Bezug auf Arbeitsmarkt und soziale Sicherung hebt der Bericht die grundsätzlich positive Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren hervor, formuliert aber auch einige Kritikpunkte:

  • Die hohe Teilzeitquote von Frauen aufgrund fehlender Kinderbetreuungsangebote, der geringe Fortschritt in Hinblick auf Kompetenzerwerb von Menschen mit niedriger formaler Bildung sowie die insgesamt geringe Nutzung des Arbeitsmarktpotentials von Frauen und Migrant*innen sind weiterhin problematisch.
  • Eine besondere Herausforderung stellt die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer*innen in Österreich dar. Das vorzeitige Ende der Aktion 20.000 wird dementsprechend negativ angemerkt.
  • Digitale Kompetenzen sind in Österreich vergleichsweise gering – nur 39% der Arbeitnehmer*innen geben an, über fortgeschrittene digitale Kompetenzen zu verfügen. Diese Ungleichheit ist in Zeiten von social distancing und telework besonders problematisch.
  • Soziale Sicherung in Österreich ist im europäischen Vergleich gut ausgebaut. Viele der Lücken, auf die der Bericht der Kommission aufmerksam macht, etwa bei Selbstständigen oder geringfügig Beschäftigten, werden aber gerade in der Krise deutlich.

arbeit plus hat in einer Stellungnahme zum Länderbericht auf die Verschärfung der angesprochenen Probleme in der Corona-Krise hingewiesen:

  • Menschen mit niedriger formaler Bildung und in prekären Arbeitsverhältnissen sind von der Krise besonders schwer betroffen und müssen im Wiederaufbau des Arbeitsmarkts nach der Krise besonders berücksichtigt werden.
  • Ebenso hat die Krise die Ungleichverteilung von Arbeit zwischen den Geschlechtern nochmals verdeutlicht. Es braucht dringend neue Ansätze zur Neubewertung und -verteilung der verschiedenen Arbeitsformen.
  • Langzeitbeschäftigungslose Menschen haben angesichts der hohen Erwerbsarbeitslosigkeit noch weniger Perspektive auf eine erfolgreiche Reintegration in den Arbeitsmarkt. Für sie müssen ebenfalls gezielte Maßnahmen gesetzt werden. Die Folgeaktion der „Aktion 20.000“ ist zwar ein wichtiges Symbol, erfüllt diesen Auftrag aber nicht, da es sich lediglich um eine Zweckwidmung der Mittel handelt und nicht um ein vergleichbares, gezieltes Programm.
  • Digitale Kompetenzen sind in der Krise noch wichtiger geworden als zuvor, insofern ist digitale Inklusion aller Menschen dringend notwendig. Viele soziale Aktivitäten, Erwerbsarbeit und Teilhabe wurden in den digitalen Raum verlegt. Die Gefahr, exkludiert zu werden, ist dementsprechend ungleich größer geworden.