„Erwerbs- und Sorgearbeit aufteilen“

Kurier-Journalist Josef Ertl nahm den “Tag der Arbeitslosen” zum Anlass, mit arbeit plus-Geschäftsführerin Judith Pühringer über den gängigen Erwerbsarbeitsbegriff zu sprechen und über die  Notwendigkeit, Arbeit neu zu definieren.*

KURIER: Die Arbeitswelt ist durch die Digitalisierung in einem völligen Umbruch. Wie sehen Sie diesen Prozess?

Judith Pühringer: Die Arbeitswelt wird  sich radikal ändern. Viele Jobs werden wegfallen, vor allem in den Bereichen mit niedriger Qualifikation. Gleichzeitig wird es viele neue Jobs geben.

In welchen Bereichen?

Personennahe Dienstleistungen werden zunehmen, wie zum Beispiel Pflege und Betreuung. Im Bereich der Digitalisierung wird es ebenfalls mehr Jobs geben. Für langzeitarbeitsloseFür Menschen mit niedrigen Qualifikationsniveaus Menschen wird das dramatische Folgen haben. Diese Personen sind noch sehr wenig auf das Thema Digitalisierung  vorbereitet. Es reicht nicht, die Menschen in diesem Bereich zu schulen, sondern wir müssen  über die gesamte Arbeitswelt neu nachdenken.

In welche Richtung?

Über  die Neuverteilung von Arbeit. Die Arbeit ist sehr ungleich verteilt. Einerseits  die Erwerbsarbeit zwischen Männern und Frauen. Die Männer arbeiten überwiegend Vollzeit, also 40 Stunden die Woche, die Frauen  durchschnittlich 32 Stunden. Daran sieht man ganz klar, wer die bezahlte Arbeit und wer die Sorge-Arbeit in der Gesellschaft trägt. Das sind vor allem die Frauen. Wir wissen aus Studien, dass viele der Männer, die Vollzeit arbeiten, gerne mehr Zeit für die Familie hätten, während viele Frauen, die Teilzeit arbeiten, gerne mehr Stunden berufstätig wären. Wenn man Männer und Frauen fragt, wie in  der letzten  WIFO-Studie zum Sozialbericht, sagen viele, die Vollzeit arbeiten, sie  würden gern weniger arbeiten und jene, die Teilzeit arbeiten,  würden gern mehr arbeiten. Das ist schon ein Hinweis darauf, dass Arbeit in der Gesellschaft nicht optimal verteilt ist.

Wie sollte man sie aufteilen?

Ein erster Schritt wäre, den Arbeitsbegriff in Frage zu stellen. Wenn man von Arbeit spricht, denken die meisten an Erwerbsarbeit. Es gibt aber viele andere Tätigkeiten im Leben, die gesellschaftlich notwendig sind und für die wir auch Zeit brauchen.

Zum Beispiel Kindererziehung?

Kindererziehung oder Pflege. Im feministischen Diskurs heißt das Sorge-Arbeit. Dazu gehört auch das Kochen des  Essens, das Waschen und Bügeln der Wäsche, etc.

Sollte diese Sorge-Arbeit bezahlt bzw. abgegolten werden?

Ein erster Schritt wäre, sich das einmal bewusst zu machen. Und dass scheinbar nur die bezahlte Arbeit eine Arbeit ist, die etwas wert ist. Es ist sehr wichtig zu sehen, dass jede  Arbeit, die gemacht werden muss, wertvoll ist. Ob bezahlt oder unbezahlt. Wenn man sich darüber verständigen kann, geht es um die Frage, wie man sie verteilt. Es gib t unbezahlte  Arbeit, die wahrscheinlich auch weiterhin unbezahlt bleiben wird. Sie ist sehr versteckt, es wird kaum abgebildet, wie viel derartige Arbeit geleistet wird. Die Digitalisierung wäre nun die große Chance, über die unbezahlte Arbeit  neu nachzudenken. Ein erster Schritt wäre, die Erwerbsarbeitszeit zu verkürzen und von einer Normalarbeitszeit von 30 Stunden auszugehen. Dann hätten Frauen und Männer die Möglichkeit, darüber nachzudenken, wer die Kinder, die Oma etc. versorgt. Die Statistiken zeigen, dass in dem Moment, in dem ein Kind unter 15 Jahren im  Haushalt lebt, ein Großteil der Frauen in Teilzeitarbeit geht. Die Männer arbeiten meist mehr als Vollzeit.

Die Wirtschaft lehnt aber einen vollen Lohnausgleich bei einer Arbeitszeitverkürzung ab. Ich vermute, einen geringeren Lohn bzw. Gehalt werden Sie nicht wollen?

Bei denen, die jetzt schon wenig verdienen, muss es einen vollen Lohnausgleich geben. Bei höheren Gehältern kann man sich darüber unterhalten, dass man eine Verkürzung ohne vollen Lohnausgleich vornimmt. Es gibt einige Modelle, die man bereits bei der Kurzarbeit probiert hat. Man kann das ja auch Schritt für Schritt und Hand in Hand mit der Wirtschaft machen, damit eine Arbeitszeitverkürzung finanzierbar ist.

Ex-WIFO-Chef Aiginger will die Arbeitskosten reduzieren und dafür die fossile Energie höher besteuern. Sind die Arbeitskosten zu hoch?

Ja, Arbeit ist zu teuer. Sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer zahlen zu hohe Beiträge. Im Steuersystem gäbe es ganz viele Ansatzpunkte. Das beginnt bei der Wertschöpfungsabgabe und endet bei der Erbschafts- und Vermögenssteuer.

Sie sprechen von einer solidarischen Arbeitswelt der Zukunft.

Neben der Verteilung der Arbeit gibt es weitere Ansatzpunkte. Es gibt Menschen, die am Arbeitsmarkt kaum mehr Chancen haben. Deshalb hat die Regierung auch die Aktion 20.000 gestartet. Menschen, die älter als 50 sind, finden oft keine Arbeit mehr. Die Jobs dieser Aktion sind aber befristet. Oft  landen die Betroffenen dann wieder in der Arbeitslosigkeit, bevor sie das Pensionsalter erreichen. Man könnte für diese Menschen in sozialen Unternehmen wie dem Fahrradzentrum B 7 dauerhaftere Beschäftigungsmöglichkeiten finden. Im Moment ist das noch nicht möglich.  Das geht nur, wenn Wirtschaftsunternehmen in sozialen Unternehmen keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung sehen.

Werden sie als Konkurrenz gesehen?

Ja, zum Teil schon. Auf regionaler Ebene gibt aber auch  gute Beispiele für eine Kooperation. Soziale Unternehmen haben hier einen Integrationsauftrag. Es nimmt auch die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen zu. Wie kann man diesen Menschen flexible Arbeitsplätze oder flexible Arbeitszeiten zur Verfügung stellen? Hier haben soziale Unternehmen große Erfahrung.

Neben der Erwerbsarbeit haben Sie die Sorgearbeit definiert, die hauptsächlich von Frauen geleistet wird.

Die Bereiche  der Sorgearbeit, die entlohnt werden, wie Pflegerinnen, Kindergärtnerinnen etc. werden im Vergleich zu produktiven Arbeiten  schlechter bezahlt. Diese Arbeit am Menschen ist scheinbar in unserer Gesellschaft nicht so viel wert. Die feministische Soziologin Frigga Haug spricht von der Vier-in-einem-Perspektive. Sie spricht von vier Teilen der Arbeit: der Erwerbsarbeit, der Sorgearbeit, die Gemeinwesensarbeit  wie zum Beispiel die Arbeit bei der Feuerwehr. Die vierte Arbeit ist die Entwicklungschance,  die an einem selbst, wie Weiterbildung, etc. Das Interessante daran ist, dass, wenn sich ein Manager rühmt,60 Stunden pro Woche zu arbeiten, dann ist er in den drei anderen Bereichen ein Minderleister. Eine derartige Betrachtungsweise kann den Blick verändern, weil auch die drei anderen Bereiche wichtig sind. Das bedeutet, dass auch Muße wichtig. Ein derartig kritischer Blick kann uns helfen, über die Verteilung von Arbeit neu nachzudenken, über den Arbeitsbegriff an sich, aber auch darüber, was ein gutes Leben ausmacht und wofür man noch Zeit hat.

*Das Interview ist am 30.April 2017, dem „Tag der Arbeitslosen“, in der Oberösterreich-Ausgabe der Tageszeitung Kurier erschienen.