#DenkArbeit: Über das Ganze der Arbeit

arbeit plus startet unter dem Titel #DenkArbeit eine Blogreihe zu Veränderungen und Herausforderungen, die die Corona-Krise für (Erwerbs)Arbeit bringt. Zu Wort kommen Expert*innen, Betroffene und Mitarbeiter*innen von Sozialen Unternehmen, mit dem Ziel, Impulse zum Weiterdenken zu geben.


Die Krise stellt die Arbeitswelt auf den Kopf

Die Corona-Krise hat unsere Gesellschaft in allen Bereichen binnen kürzester Zeit auf den Kopf gestellt. Die Art und Weise, auf die wir miteinander leben und kommunizieren hat sich in den letzten Wochen völlig verändert, ebenso wie die Arbeitswelt. Seit Mitte März gibt es mehr als 200.000 zusätzliche Arbeitslose. Insgesamt waren Anfang Mai damit beinahe 600.000 Menschen ohne Job, der höchste Wert seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber auch für diejenigen, die weiterhin einen Job haben, ist kaum etwas wie zuvor: Manche sind in ihren Berufen noch mehr gefordert und gehen oftmals große Risiken für ihre eigene Gesundheit ein, die Privilegierteren treffen währenddessen im Home Office auf neue Herausforderungen. Schulen und Kindergärten nehmen nur langsam ihren Betrieb wieder auf, das Wirtschaftsleben und soziale Interaktion sind stark eingeschränkt. Deswegen ist die bisher etablierte hohe Arbeitsteilung im Bereich der Sorge- und Reproduktionsarbeit nicht mehr möglich. Der Fokus auf Erwerbsarbeit als Maßstab jedweder Leistung bröckelt. Es gibt wieder mehr Arbeit, die selbst erledigt werden muss, von der Kinderbetreuung bis hin zur Reinigung. Manche dieser Veränderungen werden nur temporär sein, sehr Vieles aber wird sich nachhaltig verändern. Damit bietet sich die Chance für eine neue Perspektive auf Arbeit als Ganzes.

Das Ganze der Arbeit

Arbeit war schon immer viel mehr als Erwerbsarbeit. Feministische Ökonom*innen und Sozialwissenschaftler*innen weisen seit Jahrzehnten darauf hin, dass das Unsichtbarmachen von Reproduktionsarbeit im gegenwärtigen Wirtschaftssystem problematisch, unnachhaltig und gerade in Krisenzeiten gefährlich ist. Die Ökonomin Adelheid Biesecker unterscheidet zwischen vier Formen von Arbeit: Erwerbsarbeit, Versorgungsarbeit, Gemeinwesensarbeit und Eigenarbeit.[1] In der Krise lässt sich beobachten, dass die bisher vernachlässigten Arbeitsformen an Bedeutung gewinnen: Die Versorgungsarbeit muss wieder zu einem größeren Teil von allen selbst übernommen werden, an vielen Orten entstehen Nachbarschaftshilfen, die zur Gemeinwesensarbeit zählen, und auch die Eigenarbeit im Sinne der Selbstversorgung nimmt wieder einen höheren Stellenwert ein. „Im Normalbetrieb nimmt die Erwerbsarbeit viel Zeit und Energie weg“, sagt Johanna Hofbauer, die an der WU Wien zu Arbeit und Geschlechterbeziehungen forscht. „Die Krise zeigt uns, welche Arbeit gesellschaftlich notwendig ist.“

„Die Krise zeigt uns, welche Arbeit gesellschaftlich notwendig ist.“

Johanna Hofbauer, WU Wien

Welche Berufe wirklich notwendig – oder eben „systemrelevant“ – sind, zeigt die Krise sehr deutlich. Es sind Berufe in der Infrastruktur, in der (Lebensmittel)Versorgung und vor allem Gesundheits- und Sozialberufe, die in direktem Kontakt mit Menschen stattfinden. Die vorwiegend von Frauen geleistete Betreuungs- und Sorgearbeit wurde für lange Zeit nicht durch den Markt organisiert, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. Das wirkt nach: Die Bezahlung dieser Berufe ist schlecht, die Arbeitsbedingungen oft prekär. Dass sie in der Krise neue Wertschätzung erfahren und täglich beklatscht werden, ist erfreulich, ändert aber nichts an den schwierigen Bedingungen. Sorgearbeit war schon immer systemrelevant. Die Krise verdeutlicht vielmehr das Ungleichgewicht in der Bewertung von Arbeit, insbesondere von traditionell Frauen zugeordneten Tätigkeiten. „Man kann eigentlich nicht vernünftig begründen, warum manche Berufe bisher so unsichtbar waren“, meint auch Johanna Hofbauer.

Die Krisenbewältigung erfordert einen neuen Arbeitsbegriff

Die Krise stellt uns alle vor enorme Herausforderungen und verdeutlicht, wie fragil das System der Arbeitsteilung im Bereich der Care-Arbeit, aber auch auf globaler Ebene ist. Barbara Haas, Soziologin an der WU Wien mit Forschungsschwerpunkten u.a. im Bereich Arbeitssoziologie und Care-Arbeit, hält fest: „Mehr denn je wäre eine gerechte Arbeitsteilung vor allem zwischen den Geschlechtern resilienter, um die Herausforderungen der Krise besser zu bewältigen.“ Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass die Corona-Krise vorbei gehen wird – die ökologische Krise wird aber bleiben. Die Herausforderungen von Care-Arbeit und Umverteilung werden uns nach der Krise weiter begleiten. Die Bruchlinien, die derzeit so deutlich zutage treten, bieten aber eine Chance, gesellschaftliche Parameter und bisher festgeschriebene Annahmen neu zu diskutieren. Nicht nur, aber vor allem in Bezug auf Arbeit.

  • Arbeit muss sehr viel breiter definiert werden. Leistung soll sich nicht an den am Erwerbsarbeitsmarkt geleisteten Stunden orientieren, sondern vielmehr daran, was wir für einander tun – für die gegenwärtige Gemeinschaft wie auch für zukünftige Generationen.
  • Arbeit muss in ein neues Wertesystem eingebettet werden. Wir brauchen einen Referenzrahmen abseits der ökonomischen Logik um zu erfassen, wie wichtig gerade Sorge- und Reproduktionsarbeit, aber auch Gemeinwesensarbeit für uns alle ist.
  • Arbeit muss neu verteilt werden. Die bestehenden Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt treten in der Krise besonders stark zutage. Menschen in prekären, befristeten, gering bezahlten Beschäftigungsverhältnissen sind von der Krise überdurchschnittlich betroffen. Schließlich sind auch die Risiken und Möglichkeiten sozialer Absicherung äußerst ungleich verteilt.

Wir werden diese Krise überstehen – und wir sollten sie dazu nutzen, nachhaltige Antworten auf die Herausforderungen, die sie so deutlich sichtbar macht, zu finden. Die Sozialen Unternehmen im Netzwerk von arbeit plus arbeiten in mancher Hinsicht schon seit Jahrzehnten an nachhaltigen Antworten, an Ideen für einen gleichberechtigen Arbeitsmarkt und Möglichkeiten, soziale und ökologische Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden. Ihr Wissen und Potential sind während und vor allem nach der Krise wertvolle Ressourcen, die keinesfalls ungenutzt bleiben sollten.


[1] Biesecker, A. (2000). Kooperative Vielfalt und das Ganze der Arbeit: Überlegungen zu einem erweiterten Arbeitsbegriff. WZB Discussion Paper No. P 00-504. https://www.econstor.eu/bitstream/10419/50298/1/311841341.pdf