„Arbeitsmarktpolitik muss effizient und effektiv gleichzeitig sein“

Setzen sich für die Arbeitsmarktintegration benachteiligter Gruppen ein: Walter Marschitz, Manuela Vollmann, Eva Leutner, Markus Neuherz (v.l.)

Die Regierung kürzt bzw. streicht die Mittel für die berufliche Integration von älteren, behinderten, langzeitarbeitslosen und geflüchteten Menschen. Standen 2017 für die aktive Arbeitsmarktpolitik im AMS-Budget insgesamt 1.545 Millionen Euro zur Verfügung, sind es heuer um rund 140 Millionen Euro weniger (1.406 Millionen). Das AMS soll bis Ende Juni Maßnahmen für eine Effizienzsteigerung der verbleibenden Mittel ausarbeiten. Effizient ist, die Dinge richtig zu tun. Effektiv ist, die richtigen Dinge zu tun. Beides muss zusammenkommen, damit arbeitsmarktpolitische Maßnahmen bestmöglich wirken, sind die Vertreter*innen von arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich, dem Dachverband berufliche Integration Austria (dabei-austria), dem Österreichische Behindertenrat (ÖBR) und der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) überzeugt. Am Dienstag, den 5. Juni, präsentieren diese vier Verbände im Rahmen eines Pressegesprächs im Restaurant Michl’s in Wien ihre Vorschläge für eine effiziente UND effektive Arbeitsmarktpolitik.

Arbeit sichert gesellschaftliche Teilhabe

Ohne Unterstützung haben benachteiligte Gruppen am Arbeitsmarkt auch bei guter Konjunktur schlechte Karten, sind sich die Vertreter*innen der Sozialen Unternehmen und Behindertenorganisationen einig.

„Ohne Unterstützung haben benachteiligte Gruppen am Arbeitsmarkt auch bei guter Konjunktur vergleichsweise schlechte Karten. Arbeit sichert gesellschaftliche Teilhabe, deshalb dürfen wir diese Menschen nicht im Regen stehen lassen“, sagt Walter Marschitz, Geschäftsführer der Sozialwirtschaft Österreich. „Die Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik behalten auch bei wachsendem Arbeitsplatzangebot ihre Bedeutung, ja sie können sogar eine höhere Wirkung erzielen.“ Nach den Turbulenzen rund um das AMS-Budget 2018 fordert er rasche Klarheit über Ziele und Mittel für 2019. Aktive Arbeitsmarktmaßnahmen seien längerfristig ausgelegt, was 2019 stattfinden solle, müsse in den nächsten Monaten vorbereitet werden. Bei der Festlegung der Ziele solle Problemorientierung vor Ideologie stehen: „Was wir jetzt versäumen, wird uns in den Sozialsystemen noch in Jahrzehnten beschäftigen“, so Marschitz, der auch dafür plädiert, die überbetriebliche Lehrausbildung (ÜBA) als notwendige Ergänzung zum dualen System zu erhalten. Gerade für Menschen, die sich schwerer tun, eine Lehre abzuschließen, bieten die diesbezüglichen Angebote eine Chance für eine qualifizierte Facharbeiter*innenausbildung. Marschitz: „Die Arbeitsmarktpolitik sollte weniger daran gemessen werden ob es gelingt, Menschen, die ohnehin am Arbeitsmarkt gefragt sind, zu vermitteln, sondern wie weit es gelingt, jene zu integrieren, die ungünstigere Voraussetzungen mitbringen.“

Stufenmodelle ausbauen – Wirtschaft stärken

Vollmann: „Es macht keinen Sinn, jene Mittel zu streichen, die anerkannten Flüchtlingen helfen, langfristig auf eigenen Beinen zu stehen.”

„Bei den Sozialen Unternehmen stehen für 2019 in einigen Bundesländern Kürzungen von bis zu 20 Prozent im Raum“, schlägt arbeit plus-Vorstandsvorsitzende Manuela Vollmann Alarm. Derzeit gehe der politische Trend dahin, den Zweiten Arbeitsmarkt auszuhöhlen. Vollmann: „Das ist der falsche Weg, weil viele langzeiterwerbslose Personen auch individuelle, sozialpädagogische Unterstützung brauchen.“ In NÖ und der Steiermark hätten sich Modelle stufenweiser beruflicher Integration – von der stundenweisen Beschäftigung bis zum Transitarbeitsplatz – auch für sehr arbeitsmarktferne Personen bewährt: „Dieses Erfolgsmodell sollte wiederbelebt und auf Österreich ausgedehnt werden“, so Vollmann. „Soziale Unternehmen bieten echte, existenzsichernde Beschäftigung weil sie Unternehmen im besten Sinn sind: Sie kooperieren mit der privaten und öffentlichen Wirtschaft und qualifizieren und vermitteln Mitarbeiter*innen der Zukunft.“ Auch die komplette Streichung jener 80 Millionen Euro, die für 2018 für die Jobintegration geflüchteter Menschen vorgesehen waren, kritisiert Vollmann scharf: „Es macht keinen Sinn, jene Mittel zu streichen, die anerkannten Flüchtlingen helfen, in ihrer neuen Heimat Österreich Fuß zu fassen und langfristig auf eigenen Beinen zu stehen. Investitionen, etwa in den nun ebenfalls bedrohten Kompetenzcheck, öffnen Türen zum Arbeitsmarkt.“

Anschubfinanzierung für den Jobstart

Neuherz: „Kürzungen bei Eingliederungsbeihilfen sind weder effizient noch effektiv.”

Markus Neuherz, der Geschäftsführer von dabei-austria, plädiert für eine „Anschubfinanzierung“ für Menschen mit Behinderungen und andere am Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppen: „Unternehmen brauchen gute Beratung und finanzielle Anreize – wie etwa die AMS-Eingliederungsbeihilfe. Dann sind sie auch bereit, benachteiligte Menschen einzustellen.“ Gute Beratung zur Integration von Menschen mit Behinderungen ist etwa durch das Angebot der Arbeitsassistenz verfügbar. „In den vergangenen Monaten wurde aber die Eingliederungsbeihilfe des AMS in einigen Bundesländern gekürzt“, ist Markus Neuherz besorgt. Erste negative Auswirkungen zeigen sich bereits: Fixe Jobzusagen für Menschen mit Behinderungen wurden aufgrund der Kürzungen sofort zurückgenommen. Neuherz ist deshalb überzeugt: „Kürzungen bei Eingliederungsbeihilfen sind weder effizient noch effektiv. Es braucht geeignete finanzielle Anreize, um Unternehmen davon zu überzeugen, auch benachteiligte Menschen anzustellen.“

Recht auf einen integrativen Arbeitsmarkt

Dass in Zeiten der Hochkonjunktur gerade bei der Gruppe von Menschen mit geringer Vermittlungswahrscheinlichkeit gekürzt werden soll, ist ineffektiv. Zukünftig sollen arbeitslose Menschen vom AMS aufgrund ihrer Vermittlungswahrscheinlichkeit unterteilt und unterschiedlich behandelt werden. Dies darf nicht dazu führen, dass Menschen mit einem hohen Maß an Unterstützungsbedarf keine angemessenen Leistungen des AMS mehr erhalten werden. Damit würden mit Sicherheit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen zu den Hauptverlierern gehören. Eine exkludierende Strategie läuft der UN-Behindertenrechtskonvention zuwider, die den Staat verpflichtet, Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbst zu verdienen. „Eine geringere Vermittlungswahrscheinlichkeit darf nicht dazu führen, dass weniger Unterstützung durch das AMS angeboten wird. Bei der Arbeitsmarktintegration von benachteiligten Gruppen zu kürzen und ihnen dadurch die Möglichkeit auf ein selbstbestimmtes Leben zu nehmen, wäre schlichtweg ein Skandal“, betont die Vizepräsidentin des Österreichischen Behindertenrats und Geschäftsführerin von pro mente Kärnten, Eva Leutner. „Seit 01.01.2018 sind Menschen mit Behinderungen als ‚besondere Zielgruppe‘ im AMS definiert. Um diese erfreuliche Entwicklung mit Leben zu erfüllen, müssen die entsprechenden Gelder zweckgebunden bereitgestellt werden!“, fordert Eva Leutner.

Live-Mitschnitt der PK

Bericht auf orf.at