Anforderungen an Mädchen auf Lehrstellensuche oder „die Eierlegende Wollmilchsau“

Eine vertrauliche, qualifizierte und parteiliche Beratung kann Mädchen und junge Frauen in ein zufriedenes Berufsleben begleiten.

Junge Frauen haben es bei der Lehrstellensuche doppelt schwer: Zu enorm hohen Erwartungen kommen veraltete Rollenvorstellungen. Eine vertrauliche, qualifizierte und parteiliche Beratung kann sie in ein zufriedenes Berufsleben begleiten: Ein Erfahrungsbericht des Teams der Beratungsstelle sprungbrett für Mädchen und junge Frauen in Wien.

Die Anforderungen an junge Menschen, die eine Lehrstelle suchen, sind hoch: Erwartet werden neben Pflichtschulabschluss, guten Umgangsformen und Berufsinteresse häufig eine große Bandbreite an Qualifikationen. Die Bewerberinnen sollen zeitlich und örtlich sehr flexibel sein und möglichst keine persönlichen Probleme mitbringen.

Junge Frauen sind dazu noch von weiteren Faktoren betroffen: In einer patriarchal geprägten Gesellschaft trifft sie die Selektion nach Aussehen besonders. Junge Frauen, die ein Kopftuch tragen, werden bewiesenermaßen weitaus seltener zum Vorstellungsgespräch eingeladen und somit der Chance beraubt, ihre Stärken persönlich zu präsentieren. Auch dunkle Hautfarbe, Über- oder Untergewicht oder ein „unkonventionelles“ Erscheinungsbild (Zugehörigkeit zu einer Jugendkultur, etc.) oder schlicht der „falsche“ Name können das Aus im Bewerbungsprozess bedeuten. Die Grundbedingung von perfekten Deutschkenntnissen macht es jungen Frauen mit Flucht- oder Migrationshintergrund zusätzlich schwer. Generell beobachten wir in der Beratung, dass die Zugehörigkeit der Bewerberinnen zur imaginierten Norm einer hellhäutigen, heterosexuellen, schlanken, deutschsprachigen Abendländerin durchaus erwünscht ist.

Warum Mädchenarbeit?

Bei der Berufswahl spielen gesellschaftliche, familiäre und persönliche Vorstellungen von Geschlecht eine wichtige Rolle. Viele junge Frauen können sich deshalb kaum vorstellen, etwas Anderes als Bürokauffrau oder Einzelhandelskauffrau zu werden.

Entscheidet sich eine junge Frau dennoch zu einer Lehre in einem männer-/burschendominierten Beruf, machen es ihnen Übergriffe und Witzeleien am Arbeitsplatz, abwertende Kommentare und Unverständnis im privaten Umfeld, häufig schwer, sich am Lehrplatz wohlzufühlen. Gerade im Zusammenhang mit einem Idealbild von Weiblichkeit, das von Mädchen und Frauen verlangt, sich zu fügen und nicht aufzubegehren, ist das sehr problematisch.

Du bist schuld!

Die jungen Frauen erfahren im Laufe des Bewerbungsprozesses meistens viel Ablehnung. Ohne Unterstützung – im Sinne einer wertschätzenden und parteiischen Haltung – ist diese Ablehnung schwer zu verarbeiten und mündet oft in Rückzugsverhalten, Resignation und Frustration bei den Jugendlichen. Bleibt die Lehrstellensuche erfolglos, wird der Grund dafür von Gesellschaft, Familie, verschiedensten (Bildungs-)einrichtungen und den Betroffen selbst bei den Jugendlichen verortet.

Stärken stärken

Bei der Beratung des Vereins sprungbrett geht es darum, bereits vorhandene Stärken erkennbar für die jungen Frauen und das Umfeld zu machen.

Beratungsziel des Vereins sprungbrett für Mädchen ist es deshalb, bereits vorhandene Stärken und Ressourcen erkennbar für die jungen Frauen, das AMS, die Betriebe und teils auch die Familien zu machen. Nicht selten erkennt eine Klientin ihr Organisationstalent erst, wenn sie in der Beratung erzählt, wie sie den Familienalltag managt (Begleitungen, Übersetzungen, Amtswege, Betreuung, etc.). Oder ihr handwerkliches Geschick, wenn sie von den vielen Ikea-Möbeln berichtet, die sie zuhause aufgestellt hat. Vieles halten die jungen Frauen für selbstverständlich oder nicht erwähnenswert. In der Beratung fällt auf, wie schwer es vielen von ihnen fällt, ihre eigenen Stärken und Fähigkeiten zu benennen. Gerade das ist aber im Bewerbungsprozess enorm wichtig.

Eine weitere zentrale Aufgabe der Beraterinnen ist es, unsere Klientinnen unverblümt über Jobaussichten in unterschiedlichen Branchen, Gehälter und Konkurrenz am Lehrstellenmarkt zu informieren und ihnen auch unausgesprochene Spielregeln zu erklären. So etwa das Faktum, dass zahlreiche Lehrstellen über persönliche Beziehungen zustande kommen und sprungbrett durch seine Betriebsarbeiterinnen einspringen kann, wenn den Verwandten das nötige Vitamin B fehlt.

Gleichzeitig heißt das aber auch, den Leistungsdruck, der auf den jungen Frauen lastet, zu mildern und aufzuzeigen, dass ihre Person bei weitem nicht der einzige Grund für eine positive oder negative Rückmeldung bei einer Bewerbung ist.

Zeit für Beziehung

Erfolgreiche und nachhaltige Berufsberatung setzt genügend Raum dafür voraus, dass etwa bisherige berufliche und schulische Erfahrungen, Interessen und Fähigkeiten sowie Psychosoziales wie Familie und Freund*innenkreis besprochen werden können. Dazu braucht es Vertrauen, Sicherheit und die nötige Zeit. Eine vertrauliche, qualifizierte und parteiliche Beratung kann Jugendliche auf ihrem Weg in ein zufriedenes Berufsleben eine wertvolle Begleitung sein.

Mit Blick auf eine nachhaltige Berufsentscheidung, ist es von höchster Bedeutung, eine Beschäftigung zu finden, die der jeweiligen Person sinnvoll erscheint. Das ist nur möglich, wenn man dieser Person genügend Zeit lässt, um sich auszuprobieren und verschiedene Tätigkeiten/Berufe kennenzulernen – und sich vielleicht auch mal um zu entscheiden.

Ein zweiter Blick kann viel Potential ans Licht bringen.

Betriebe können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass junge Frauen erfolgreich bei der Lehrstellensuche sind und sich in ihrem Wunschberuf entfalten können. Der erste Schritt wäre die Reflexion der eigenen Anforderungen an die potentiellen Lehrlinge. Lehrlinge stehen VOR der Ausbildung und sollen die Lehrinhalte im Laufe der Lehrzeit erlernen. Ein zweiter Blick – über die drei Genügend im Zeugnis hinaus – und die Einladung zu einem persönlichen Gespräch oder einem Probetag, können sehr viel Potential ans Licht bringen. Auch eigene Vorurteile sollten stetig hinterfragt werden.

Reflexion, das ständige Hinterfragen der in der Beratung zu leistenden Ziele sowie ein reflektierter Umgang mit Druck, ist aber auch von uns Beraterinnen gefragt. Die Anforderungen und Problemstellungen der jungen Frauen, verknüpft mit den Leistungsanforderungen der Fördergeber*innen, wie zum Beispiel sehr ambitionierten Erfolgsquoten, stellen sowohl Beraterinnen als auch Verantwortliche auf Leitungsebene vor die große Herausforderung, die eigene Balance, das Unternehmensziel sowie die geforderte Leistung vonseiten der Financiers unserer Arbeit unter einen Hut zu bringen.

Unter den veränderten sozialpolitischen Bedingungen bleibt sprungbrett seinen Prinzipien und seinem Zugang zur Zielgruppe treu und nimmt die Herausforderungen der neuen Lage an: Junge Frauen wachsen zu lassen, damit sie gut die Herausforderungen in Ausbildung und Arbeitswelt meistern können.

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