10th ILO Academy on Social and Solidarity Economy

Die Sozial- und Solidarwirtschaft (SSE) als Konzept und Praxis ist ein wichtiger Bestandteil zahlreicher Programme der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO): Um soziale Ungleichheit zu bekämpfen, Kinderarbeit zu verhindern oder soziale Rechte einzufordern ist die Kooperation mit sozialen Unternehmen, genossenschaftlichen Organisationen und NGOs zentral. Zur Förderung von Wissen und Vernetzung von Organisationen der Sozial- und Solidarwirtschaft untereinander sowie mit Politik und internationalen Organisationen rief die ILO 2009 die “Academy on Social and Solidarity Economy” ins Leben.

Das Schwerpunktthema der diesjährigen Ausgabe, die am ILO Weiterbildungscampus in Turin, Italien, stattfand, war die „Zukunft der Arbeit“. Unter den Teilnehmer*innen fanden sich zahlreiche Vertreter*innen von Regional- und Stadtpolitik, Internationalen Organisationen, sozialen Kooperativen oder auch Mikrokreditinstitutionen. Ebenso divers wie die Tätigkeitsfelder waren die Herkunfts- und Arbeitsländer der Teilnehmer*innen: An den Diskussionen beteiligten sich unter anderem italienischen Gewerkschafter*innen, Wissenschaftler aus Pakistan oder auch Berater*innen aus Mexiko. Das einwöchige Programm bestand aus Podiumsdiskussionen mit Politikvertreter*innen, intensiven Workshops und Exkursionen zu Organisationen der italienischen Sozial- und Solidarwirtschaft.

Italien gehörte zu den ersten Ländern in Europa, die eine eigene Rechtsform für Soziale Unternehmen etablierten: Bereits 1991 wurde das Gesetz zu Sozialen Kooperativen verabschiedet, die in Italien und in anderen südeuropäischen Ländern traditionell eine große Rolle spielen. Dieses Gesetz definiert zwei Typen Sozialer Kooperativen: Typ 1 sind Kooperativen für soziale Dienste, Gesundheit und Bildung, Typ 2 umfassen Arbeitsmarktintegrationsbetriebe. Soziale Kooperativen des letzteren Typs sind häufig im Bereich Re-Use und Abfallwirtschaft tätig und zumeist stark in ihren Regionen verankert. Der Besuch bei der Kooperative „Arcobaleno“ („Regenbogen“) zeigte das eindrücklich: Diese besteht seit bald 30 Jahren und bietet langfristige Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung, Suchtkranke sowie Haftentlassene. Acrobaleno hat heute 250 Mitarbeiter*innen, davon insgesamt 30 Prozent aus den Zielgruppen, und ist für die Sammlung des Papiermülls im gesamten Stadtgebiet von Turin zuständig. Darüber hinaus entwickelt die Kooperative weitere Geschäftsfelder im Bereich Re-Use, betreibt einen Catering-Betrieb und beteiligt sich an europäischen Forschungsprojekten. Die Finanzierung des laufenden Betriebs und der Weiterentwicklung bleibt eine zentrale Herausforderung, zumal öffentliche Förderungen kaum verfügbar sind.

Allgemein waren Finanzierungsmöglichkeiten für Soziale Unternehmen in unterschiedlichen Ländern ein häufiges Thema bei den Diskussionen und Workshops. Die kanadische Region Québec hat dafür zahlreiche innovative Instrumente entwickelt. Québec war innerhalb Kanadas lange eine vernachlässigte Region, ländlich geprägt und von der englischsprachigen Mehrheit abgeschnitten. Insofern verwundert es nicht, dass bereits früh zahlreiche soziale Dienste sowie Stadt- und Regionalentwicklung genossenschaftlich organisiert wurden. Sozial- und Solidarwirtschaft ist mittlerweile auch in der Gesetzgebung verankert, genossenschaftliche Besitzverhältnisse sind ein zentrales Kriterium für die Zugehörigkeit einer Organisation zur SSE. Für diese Organisationen gibt es zahlreiche Finanzierungsinstrumente, etwa den RISQ Fonds, der zu je 50 Prozent privat und staatlich finanziert ist, oder den staatlichen Fonds „Investissement Québec“. Wesentlich ist, dass der Großteil der verfügbaren Instrumente von der Sozial- und Solidarwirtschaft selbst entwickelt wurde. Social Impact Bonds und von Banken vorangetriebene „Social Finance“ sind in Québec – anders als im restlichen Kanada – unpopulär. Das für Soziale Organisationen verfügbare Geld soll deren spezifischen Bedürfnissen folgen, und nicht umgekehrt.

Die Erfahrungen der Sozial- und Solidarwirtschaft in anderen Ländern zeigen also, dass kollektives Handeln und genossenschaftliche Organisationsformen in vielerlei Hinsicht erfolgreich sein können. Gerade in Zeiten multipler Krisen ist es notwendig, innovativ und flexibel zu sein, Neues auszuprobieren und als Gesellschaft solidarisch zusammenzustehen. Hier kann Österreich aus alternativen Modellen, die unter anderem in Südeuropa und Lateinamerika entstehen, noch viel lernen.