10 Jahre „Standfest“: „Es passieren immer wieder Überraschungen“

Wen die Sucht- und Drogenkoordination Wien in das „Standfest“ in die Modecenterstraße im 3. Wiener Gemeindebezirk vermittelt, der hat meist schon einen langen Leidensweg hinter sich. „Unsere Klientinnen und Klienten sind im Durchschnitt 40 Jahre alt und neun Jahre arbeitslos, wenn sie zu uns kommen“, sagt Anjuna Trautmann, die als Sozialarbeiterin in der Beratungs- und Betreuungseinrichtung tätig ist. Der Rucksack an Problemen, die die Menschen mitbringen, wiegt schwer: Viele hat ihre Sucht nicht nur körperlich gezeichnet. Sie leben auch in Armut, haben Schulden, Vorstrafen, leiden an Depressionen und/oder sind völlig isoliert.

In kleinen Schritten zur Beschäftigungsfähigkeit

Sozialarbeiterin Anjuna Trautmann: “Arbeit bedeutet Teilhabe”

„Eine Arbeit zu haben bedeutet für suchtkranke Menschen nichts anders als für andere Personen: gesellschaftliche Teilhabe, einen strukturierten Tagesablauf, finanziell abgesichert zu sein und Kollegen zu haben“, meint Sozialarbeiterin Trautmann.
Aber der Weg dorthin ist schwierig. Genau deshalb geht ihn das Standfest-Team mit den Betroffenen in kleinen Schritten. Neben den Orientierungs- und Arbeitsworkshops gibt es Freizeitangebote, die die Gesundheit stärken und das Gedächtnis schulen. Dazu gehören gemeinsames Kochen und Tischtennisspielen im Park ebenso wie Gesellschaftsspiele. Ein weiteres Plus: Am Standort befinden sich medizinische, therapeutische und psychosoziale Angebote unter einem Dach.

„Harte Arbeit, nicht zum Glas zu greifen“

Das weiß auch Anita Bauer (Name geändert) zu schätzen: Fast unmerklich ist die heute 36-Jährige vor Jahren in den Alkoholismus geschlittert. Zum übermäßigen Trinken kamen Depressionen. Ein Stress-Job in der Gastronomie tat sein Übriges. „Der erste schwierige Schritt ist, sich überhaupt einmal einzugestehen, dass man ein Problem hat“, sagt die Wienerin. Und: „Es ist für mich sowohl seelisch als auch körperlich harte Arbeit, nicht zum Glas zu greifen.“

Wege aus der Einsamkeit

Gemeinsame Aktivitäten helfen gegen die Isolation.

Genau aus diesem Grund ist die junge Frau auch so froh, dass es das Standfest gibt: „Ich kann hier zu meiner Psychiaterin gehen. Auch die Akupunktur, die ich hier bekomme, genieße ich sehr. Sowas kostet ja sonst viel Geld.“ Die Gruppenangebote holen Anita Bauer aus ihrer Isolation: „Wenn man nichts zu tun hat, kommt der Mensch nur auf dumme Ideen.“ Vor allem das gemeinsame Kochen, das mehrmals im Jahr stattfindet, macht der Wienerin Spaß. Zusammen mit drei anderen Standfest-Klient*innen hat sie deshalb eine eigene Kochgruppe gegründet. Solch soziale Kontakte sind für Suchterkrankte nicht selbstverständlich. Viele haben schon vor Jahren Familie und Freunde an die Krankheit verloren.

Erfolg in kleinen Schritten

Sozialarbeiter Maximilian Arnold motiviert die Teilnehmer*innen aufzuschreiben, was sie schon alles können.

Auch das Selbstvertrauen ist bei vielen auf der Strecke geblieben. „Erfolg ist für mich, wenn ich zu jemandem sagen kann: ,Das haben Sie gut gemacht´. Wenn jemand stolz auf sich sein kann“, sagt Sozialarbeiterin Anjuna Trautmann. Ihr Kollege Maximilian Arnold macht in seinen Workshops rund um berufliche Orientierung, Arbeit und Bewerbung ähnliche Erfahrungen.
Die vier Mal im Jahr stattfindenden Orientierungsworkshops starten damit, dass die Teilnehmer*innen aufschreiben, was sie alles schon gemacht und gelernt haben: „Das einmal schwarz auf weiß zu sehen kann sehr motivierend sein“, berichtet Arnold. In weiteren Workshops erarbeitet der Standfest-Mitarbeiter gemeinsam mit den Teilnehmer*innen Zukunftsperspektiven und Berufschancen. Für das Erstellen von Bewerbungsunterlagen steht ein eigener Computerraum zur Verfügung.

Starke Kooperationen

In der Arbeitssuche arbeitet das „Standfest-Team“ eng mit der Wiener Berufsbörse und Sozialen Unternehmen wie dem Druck- und Dienstleistungsbetrieb fix&fertig oder dem Upcycling-Unternehmen gabarage zusammen. Menschen, die schon eine geregelte Arbeit schaffen, erhalten dort eine befristete Anstellung und damit die Chance, wieder ins Erwerbsleben einzusteigen. Generell sei es sehr schwierig für (ehemals) suchtkranke Menschen, wieder einen Job zu finden, sagt Sozialarbeiter Maximilian Arnold. Aber: „Es passieren immer wieder Überraschungen.“
Finanziert wird „Standfest“ aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, dem AMS Wien und der Sucht- und Drogenkoordination Wien. Heuer feiert das Programm des Vereins Dialog sein 10-jähriges Bestehen. Der Fördervertrag läuft Ende des Jahres aus. Vize-Geschäftsführer Wolfgang Kramer hofft, dass das Angebot danach weiter geförderr wird.

Umdenken tut Not

Diesen Wunsch hat auch Anita Bauer: „So etwas sollte es immer geben und noch viel mehr davon“, sagt sie. Sie selbst hofft, dass sie irgendwann wieder ein ganz normales Leben führen kann. Und was wünscht sich die 36-Jährige von der Gesellschaft? „Dass ein Umdenken einsetzt. Es ist eben nicht normal, jeden Tag ein paar Bier zu trinken. Alkoholismus betrifft alle Schichten, alle Altersstufen, Menschen jeder Herkunft. Es braucht generell mehr Problembewusstsein.“